#Biografie

Party im Blitz

Elias Canetti

// Rezension von Anne M. Zauner

Die englischen Jahre.

Für den noch jungen Elias Canetti, er ist Anfang dreißig, bedeuten die englischen Jahre Kriegsjahre und Jahre der Emigration. 1938 gelingt ihm mit seiner Frau Veza die Ausreise in das Land, in dem er schon als Kind einige Jahre mit seinem Vater verbracht hat.

In London versucht Canetti, der zeitlebens von Künstlerzirkeln magisch angezogen wird, Eintritt in die Kreise der Hampstead intellectuals zu erlangen. Im Gepäck hat er die „Blendung“ (1935), seinen ersten Roman, den jedoch außer einer Handvoll Emigranten, wie er selbst einer ist, kaum jemand gelesen hat. So wird er ein mit britischem Inselhochmut geduldeter Noname, der sich aufs Zuhören verlegt und interessante Köpfe sammelt, um mit heimlich sezierendem Blick an einer Menschenmenagerie zu feilen.

Viel später wird er für diese Gabe den Nobelpreis bekommen und die dreibändigen Lebenserinnerungen („Die gerettete Zunge“, 1977, „Die Fackel im Ohr“, 1980, und „Das Augenspiel“, 1985) werden zu Recht Weltruhm erlangen.

Vorerst herrscht aber noch Krieg, Canetti geht auf Londoner Künstlerparties, am liebsten ohne seine Frau, und beobachtet. Darüber scheint er den Krieg fast zu vergessen. In seinen Englandaufzeichnungen kommt dieser jedenfalls nur am Rande vor. Er wolle sich mit seiner Niederschrift vom Überfluss an britischen Figuren befreien, sagt er Jahrzehnte später. Also erinnert er sich an Künstlerbekanntschaften, zeichnet manche fesselnd, andere weniger spannend, während vom Himmel die Bomben fallen und Hitler in Paris einmarschiert. Selbst die eigenen Lebensumstände, die finanziellen Engpässe, unter denen er und Veza nachweislich gelitten haben, sind ihm keine Erwähnung wert. Die Evakuierung aus London in der kritischsten Zeit des Krieges verkümmert sogar anekdotisch zu einem bizarren Landurlaub – und doch ist Canetti in diesen Jahren intensiv damit beschäftigt, die Schrecken der Zeit in sein philosophisches Hauptwerk „Masse und Macht“ zu destillieren. Mag es ein weiteres Schlaglicht auf seine komplizierte Persönlichkeit werfen, dass er in einem Nebensatz erklärt, er habe beschlossen, für die Dauer des Krieges nicht zu publizieren, und sich auch das Schreiben literarischer Texte verboten … um den Krieg durch schmerzhaften Verzicht zu bannen? Wer weiß.

Canetti war sich jedenfalls der Skizzenhaftigkeit seiner Englanderinnerungen bewusst, denn über das zentrale Textfragment, das für die vorliegende Ausgabe herangezogen wurde, hat er geschrieben: „Aus England – vorläufige, ungeordnete Niederschrift (in dieser Form nicht zu veröffentlichen)“, aber Herausgeber, Verleger und Erben finden bekanntlich immer ausreichend Gründe, um sich über derlei Kleinigkeiten hinweg zu setzen.

Entstanden sind die Texte erst kurz vor Canettis Tod, zwischen 1990 und 1993, und sie lassen tatsächlich die klassische Form- und Stilsicherheit der großen dreibändigen Autobiografie vermissen. Dem Buch fehlt aber auch die Unmittelbarkeit und Leidenschaftlichkeit, mit der der Autor noch in „Über den Tod“ (2003, ebenfalls postum erschienen) gegen das Ende anschreibt.

Grob und ungeschlacht wirken einige Passagen, wie mit dem Holzhammer zurecht gehauen, und so manches Porträt ist ihm verwischt. In einigen seltenen Momenten ist Canetti sogar schreiend bösartig. So stürzt er sich mit unvermuteter Häme und plötzlich aufplatzendem Geifer auf T. S. Eliot. „Abgrundschlecht“ nennt er ihn und seine Stücke „impotent“. Ähnlich springt er mit Iris Murdoch um, selbst Menschensammlerin. Einen „illegitimen Dichter“ nennt er sie und rühmt sich im selben Atemzug ihrer mehrjährigen Affäre. Am meisten jedoch gerät sein spaniolisches Blut angesichts britischer Gefühlskälte und des indigenen Hochmuts der einstigen Empire-Eroberer in Wallung.

Gegen Schluss heißt es dann hellsichtig: „Der Zufall deiner englischen Begegnungen. Das wäre gut. Aber es ist in soviel Jahren etwas anderes daraus geworden: eine Hierarchie, von deinen Abneigungen und Kränkungen abhängig, was wird das für ein unzulässiges, verkehrtes Bild eines Landes geben, …“

Elias Canetti Party im Blitz
Autobiografie.
Herausgegeben aus dem Nachlaß von Kristian Wachinger.
Nachwort von Jeremy Adler.
München, Wien: Hanser, 2003.
248 S.; geb.
ISBN 3-446-20350-8.

Rezension vom 28.01.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.