#Lyrik

Parablüh

Cornelia Travnicek

// Rezension von Petra Nachbaur

Am 27. Oktober 2017 wäre die legendäre Schriftstellerin Sylvia Plath 85 Jahre alt geworden. „Miss Plath“ – so hieß es in den frühen Rezensionen seinerzeit gern – bestritt ihre erste Buchveröffentlichung mit Lyrik: Am 31. 10. 1960 erschien The Colossus and Other Poems. Immerhin lief Sylvia Plath nicht unter „Mrs. Hughes“, was die in einer ambitionierten Literatenehe lebende Endzwanzigerin zu diesem Zeitpunkt auch schon war. Der bald mit J. D. Salingers The Catcher in the Rye (Der Fänger im Roggen) verglichene Roman The Bell Jar (Die Glasglocke) wurde 1963 veröffentlicht, einen knappen Monat später vollzog die Autorin den Freitod in der Küche.

Die Wucht dieser Kombination, ergänzt um die postume Gedichtsammlung Ariel, ließ einen Kult um Schwermut und Scheitern der Sylvia Plath entstehen. Und eine vielfältige Rezeption dieses Kultes in der Kunst (von Johann Kresnik bis Pawel Ksiazek), der Popkultur (von Woody Allen bis „Belle and Sebastian“) und nicht zuletzt der Feministischen Philologie, die wohlgemerkt mit der kritischen Aufarbeitung von Plaths Werk dagegenhielt. 2003 genügte sowohl für den Titel des Biopics mit Gwyneth Paltrow als auch für die zweite Hauptrolle im letzten der Prinzessinnendramen von Elfriede Jelinek die Nennung des Vornamens, und Monologe mit Sylvia lautet nun auch der Untertitel zum zweiten Gedichtband von Cornelia Travnicek.

Im Erinnerungsband M Train berichtet Patti Smith von ihrem jüngsten Besuch am Grab der Sylvia Plath. Die frierende Musikerin erlebt den Ort als „such a desolate place in winter, so lonely“. Und dann erzählt sie: „I had an uncontrollable urge to urinate and imagined spilling a small stream, some part of me wanting her [= Sylvia Plath] to feel that proximate human warmth.“ Auf diese außergewöhnliche Eröffnung hin folgt ein Absatz – und die nächste, für sich stehende Zeile lautet: „Life, Sylvia. Life.“ Es ist durchaus vorstellbar, dass Cornelia Travnicek für diese fantasierte Fan-Geste, die einen sprichwörtlich abwertenden Vorgang komplett und fantastisch umdreht, etwas übrig haben könnte.

Die 1987 geborene Travnicek – deren Twitteraccount auf @frautravnicek lautet, was nichts mehr von der „Miss Plath“-Attitüde der 1950er- und 60er-Jahre hat – machte sich seit 2008 einen Namen mit Prosa. Zu den Titeln ihrer Erzählbände und Romane zählen Aurora Borealis (2008), Fütter mich (2009), Chucks (2012) und Junge Hunde (2015). Selbstaussagen der Autorin sprechen allerdings davon, dass sie von der Lyrik komme und von Ingeborg Bachmann geprägt sei. 2015 veröffentlichte sie in der von Nils Jensen, Sylvia Treudl und Hannes Vyoral herausgegebenen Reihe Neue Lyrik aus Österreich (Verlag Berger) den Band mindestens einen der weißen wale.

Nun hat sich Cornelia Travnicek Sylvia Plaths Dichtung zur Brust genommen und dabei nicht das Naheliegende, das Kultbuch Ariel, gewählt. The Colossus, wenngleich von Plath selbst zusammen- und fertiggestellt, erreichte nie auch nur annähernd so viel Beachtung wie der nach ihrem Tod erschienene Lyrikband Ariel mit Gedichten wie „Lady Lazarus“ oder „Daddy“ . Eine deutsche Übersetzung von The Colossus beispielsweise gibt es erst seit 2013.

Und ein Verdienst von Parablüh ist auch, dass dieses Büchlein dazu anregt, nein: es dringend nahe legt, die kunstvollen Verse von Sylvia Plath wieder zu lesen und sich zu vergegenwärtigen, dass ihr Name nur in zweiter Linie mit dem Mythos zu tun hat. In erster Linie war und ist Sylvia Plath eine fulminante Dichterin. Der Link zu Plaths Band ist aber nur ein Nebeneffekt dieser Gedichtsammlung von Cornelia Travnicek. Denn so stark sie sich der Vorlage zuwendet, so stark steht ihr Lyrikband als eigener für sich.

Zunächst greift Travnicek die kompositorische Anlage von The Colossus auf, und das bis ins Detail: 50 betitelte Gedichte, die letzten sieben, zusammengehörenden, noch einmal durch einen Übertitel verbunden, umfasst auch Parablüh (Tüpfchen auf dem i wäre im zugleich handlich und gediegen gestalteten Band der Reihe Limbus Lyrik ein Inhaltsverzeichnis). Die Titel variieren von Beginn an einmal leicht („The Manor Garden“ / „Der Park des Herrenhauses“ – „Herrenhaus“), dann stark („Two Views of a Cadaver Room“ / „Zwei Ansichten eines Leichenraums“ – „Parablüh“).

Aus „Night Shift“ / „Nachtschicht“ wird „Schicht“, und „Sow“ / „Sau“ wird zu „Säue“; „The Eye-Mote“ / „Das Augenstäubchen“ aber bringt’s gewiss nicht nur dem gleichnamigen Verlag zulieb‘ zu „Limbus“. Der folgende Titel, „Hardcastle Crags“, ist in der Übertragung von Judith Zander, welche Travnicek laut dem kundigen Nachwort von Daniela Strigl neben den Originalen als Grundlage diente, beibelassen. Bei Cornelia Travnicek heißt das Gedicht „Idyll“.

Manchmal gibt es Verschiebungen in die Nähe her – aus „Lorelei“ wird „Donauweibchen“, manches verschiebt und konkretisiert sich auch zeitlich – und zwar nicht nur durch Ausdrücke wie „Bioethanol“ oder „Pixelrauschen“, die genau so wenig Fremdkörper sind wie die entgegengesetzt gelagerten Wörter à la „Kanapee“ und „Paraplui“.

Ein einziger Text in Parablüh weicht gleich auf den ersten Blick von der Vorlage ab und nimmt schon dadurch eine Sonderstellung ein. Bei Plath lautet die Überschrift „Suicide Off Egg Rock“ / „Selbstmord am Egg Rock“. Travnicek setzt auf zwei Zeilen, sie titelt paradox mit „Untertitel“ und fügt als tatsächlichen Untertitel an: „(Kein Bild)“. Die ungewöhnlichen Klammern, in denen sich die zweite Zeile des Gedichttitels befindet, verstärken noch einmal den besonderen Charakter.

Im Gedicht selbst, das anhebt wie das Original, tut sich eine ähnliche Atmosphäre auf wie dort: Sonne, Wasser, Wellen, Möwen, Wind. Während aber bei Plath der Suizid schon vom Titel aus in die folgende Szenerie prägend hinein ragt, baut sich das Unbehagen bei Travnicek erst nach und nach auf. Zunächst noch „Eine Verheißung. Die /Ägäis“ – erster Fingerzeig! Unmittelbar darauf wird „that landscape / Of Imperfections“ / „diese Landschaft / Aus Unvollkommenheiten“ geradezu lakonisch ins Gegenteil verkehrt („Eine vollkommene Szene, zu der / sein Körper gehört“), um „dieses Bild“ durch eine Parenthese noch einmal hinauszuzögern und dann als „Ein schlafendes Kind“ zu fassen. Mit einer eigenen Zeile, das Zentrum des Gedichtes bildend, beschließt der Satz „Europa sieht von Kreta aus zu.“ die erste Strophe.

Die zweite Gedichthälfte spricht Klartext. Plaths Vorgabe wird nun eingefärbt – „the forgetful surf“ / „die achtlose Brandung“ macht Travnicek zur „verächtlichen Brandung“, und das letzte Wort ihres Gedichtes lautet gar „Mord“. Man kann nicht umhin, das explizit verweigerte „Bild“ doch zu sehen: Eine Fotografie, die sich aus den Medien heraus ins kollektive Bewusstsein eingespeichert hat: Das tote Flüchtlingskind am Strand – Cornelia Travniceks Gedicht als empathisch-poetische Bildunterschrift zu einem in mehrfacher Hinsicht symptomatischen Dokument unserer Gegenwart.

Die offensiv politische Dimension kommt auch durch die Position des Gedichtes zum Tragen, denn es folgt unmittelbar auf „The Thin People“ / „Die dünnen Leute“. In Travniceks „Von den gar dünnen Leut‘“ ist wie im Text von Plath die Rede vom Näherrücken der Geschundenen. „Großer Bahnhof“, heißt Cornelia Travniceks im Textfluss abgehobene Schlusswendung, eingeleitet durch das Ende der vorigen Strophe: „[…] ihnen zum Empfang:“. Selbstironie schwingt mit, wenn die Autorin das gegenwärtige Wohlstands-„wir“ charakterisiert, welches jene mit Argwohn beobachtet, die „zusammenstehen / Mais- oder Reissuppe trinkend aus Plastiktassen“ (bei Plath gab’s noch Essig aus Blech-). „Wir sagen, wir wissen eine bessere Welt, während / Unsere Augen auf den Tassen ruhen, eine / in der auch die Tassen aus Mais sind […]“.

Wenn Sylvia Plath zwar auch für Sarkasmus, aber eher nicht für Witz und Leichtigkeit steht, so ist ihre poetische Nachfahrin in dieser Hinsicht ein Stück weiter. Etwa, wenn sie im Gedicht über einen Tierkadaver das erste Wort aus „Blue Moles“ / „Blaue Maulwürfe“ ganz einfach nur als Buchstabenmaterial betrachtet und eine Letter abzwackt: So wird aus „They“ ganz einfach „Hey“, und die saloppe Anrede kontrastiert die Sprecherin frech mit einem alten Wort, bei dem man nicht umhin kann, den Tod gleich mit zu hören: „Gevatter“.

Auch das darauf folgende Gedicht zeigt Cornelia Travnicek als Genossin einer Zeit, in der sich manche Bilder überlebt haben. Mag Plath vollmundig die Klaviatur des „Strumpet Song“ / „Dirnenlied“ bedienen, mit einem Pathos, dessen Ton wir noch bei Ted Hughes Award-Trägerin Kate Tempest finden, entscheidet sich Travnicek fürs Unentschieden: Ihr „Ratespiel“ steckt unter dem Ostinato eines „vielleicht oder vielleicht auch nicht“ die diametralen Extreme der Achse „Sexarbeit“ ab. Opulenz? Fehlanzeige! Da grüßt – rein sprachlich – eher der Ariel-Übersetzer Erich Fried von den Begrabenen herüber.

Was nicht heißen soll, Travniceks Sprache sei karg: Allein schon ihre Farbausdrücke …! Da gibt es „kleinweiß“, „schlickgrün“ und „sickergrau“, da malt die Dichterin ihre Verse „seefarben“ oder „invertzuckersirupfarben“. Meistens gelten diese anschaulichen Zuschreibungen der Natur – Pflanzen (von „Akelei“ bis „Zitronenverbene“) und Tiere (von „Aitel“ bis „Wasserläufer“) haben große Präsenz in Cornelia Travniceks Lyrik und verleihen ihr auch dann eine organische Basis, wenn Wortmaterial aus dem gar prosaischen Alltag („Rüstungsstahl“) dazukommt. Verortet sind die Gedichte im nichtalpinen, ländlichen Raum, Echos katholischer Traditionen und kleinindustrieller Prägung hallen herein – gelegentlich durchaus akzentuiert. Immer wieder scheinen sich die Texte aus Kindheitserinnerungen zu speisen.

Das abschließende „Poem for A Birthday“ / „Gedicht für einen Geburtstag“, in dessen erstem Teil es heißt „October’s the month for Storage.“ / „Oktober ist der Monat für Einlagerung“, verlegt Cornelia Travnicek noch ein paar Wochen vor, an die geheimnisumrankte Grenze zwischen den Jahren: „Gedicht für Raunächte“. Da „schrumpfen Kürbisse, / schrumpfen Äpfel und Kartoffeln“. Auch bei Travnicek überwintern die Blumentöpfe im Keller, doch wenn ihre „Geranien“ dort auch „lange Hälse [machen]“, knickt das lyrische Ich beileibe nicht so ein wie jenes bei Plath: „My heart is a stopped geranium“ / „Mein Herz ist eine welke Geranie.“ – „Ach, Sylvia“ möchte Cornelia da vielleicht sagen, im Wortlaut von einem der Travnicek-Titel, wie er schwesterlich mit dem Ellbogen stoßend über einem weiteren Herbstgedicht (“ […] Ein Eis am Stiel noch, bevor der Sommer schließt.“) steht.

Formale Strenge scheint nicht Cornelia Travniceks Fall. Auch Sylvia Plath bedient sich ihrer im Extrem nur selten: „Metaphors“ / „Metaphern“ ist eine solche Ausnahme, ein neunzeiliges Gedicht, von dem jede Zeile, so wie die erste (lautend: „I’m a riddle in nine syllables,“ / „Ich bin ein Rätsel in neun Silben“) aus wiederum exakt neun Silben besteht. Travnicek nimmt’s locker und macht daraus eine Tugend: „Gegenrede“ heißt ihr Gedicht, in dem sie die Struktur der Plath’schen Zeileneinheiten auch durch trotziges Dauerenjambement knackt. „Gegenrede“ meint aber auch, dass Travnicek konsequent das „du“ durchzieht, wo Plath ein lyrisches Ich sich auffächern lässt.

Der Song, in dem „Belle and Sebastian“ davon erzählen, wie jemand Verliebtes eine tote Schriftstellerin zu retten versucht, heißt „Enter Sylvia Plath“. Auch das wäre ein denkbarer Untertitel für den Gedichtband von Cornelia Travnicek gewesen. „Error“-Meldung wurde jedenfalls keine registriert. Parablüh ist ein ausgesprochen lesens- und bemerkenswerter, dichter Band, ganz für sich. Besonders lesenswert sind die Gedichte tatsächlich und ganz konkret „mit Miz Plath“. Somit: Gleich zweifache Empfehlung!

Parablüh. Monologe mit Sylvia.
Gedichte.
Mit einem Nachwort von Daniela Strigl.
Innsbruck: Limbus Verlag, 2017.
120 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-99039-101-3.

Homepage der Autorin

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 30.10.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.