#Lyrik

Palas

Regina Hilber

// Rezension von Sabine Schuster

Regina Hilber lebte viele Jahre in Tirol, seit 2006 ist die Lyrikerin und Essayistin, die auch als Herausgeberin und Publizistin tätig ist, in Wien zu Hause. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, ihre lyrischen Zyklen in mehrere Sprachen übersetzt. Regina Hilbers schriftstellerische Arbeit ist geprägt vom Unterwegssein, stets mit dem Fokus auf politische und gesellschaftskritische Themen. Immer wieder erhält sie Einladungen zu internationalen Poesiefestivals und Schreibaufenthalten, zuletzt war sie 2017/18 Burgschreiberin in Beeskow / Brandenburg mit dem Auftrag, während ihres sechsmonatigen Aufenthalts sogenannte Burgprotokolle zu verfassen. Dabei entstand der vorliegende Band Palas, in dem sie festhält, wie die Stadt Beeskow auf sie wirkt, wie sie sich herantastet an Ostbrandenburg und ihre Land-Erkundungen bis nach Cottbus, Frankfurt an der Oder und Berlin ausdehnt.

Der Text ist weit mehr als ein Bericht, zahlreiche Momentaufnahmen sind literarisch verdichtet, stecken voller Assoziationen und springen munter von der Prosa zur Lyrik, vom Hochdeutschen zum kecken Spiel mit der Brandenburger Umgangssprache, etwa in den Bergfried- und Palas-Songs, die als Gedichtzyklus den Text durchziehen. Ob wortreich, laut und fröhlich wie im KemenatenSONG mit seinen Frollein-Fräulein Alliterationen, ruppiger Rap wie im FriedSONG oder lyrische Wiederholung wie im PalasSONG, in diesen Gedichten werden die Gebäudeteile der Burg lebendig und personifizieren als schützender Palas Weiblichkeit, als Bergfried oder Fried martialische Männlichkeit. (siehe Leseprobe)

Palas und Bergfried, Weiblichkeit und Männlichkeit und ihre Symbole und gesellschaftlichen Zuschreibungen sind für die Burgschreiberin auch beim Blick über die festen Mauern hinaus ein Leitthema, auf das sie immer wieder zurückkommt, ein roter Faden, dem sie scheinbar beiläufig folgt.
Zum Beispiel sucht sie, die nur mit Handgepäck, also ohne Bücher angereist ist, in der öffentlichen Bibliothek von Beeskow nach Anregungen für ihr Journal und stößt auf Peter Sloterdijks Notizen Zeilen und Tage, in denen der Autor u.a. über Wien schreibt, wo er lange Jahre Professor an der Akademie der bildenden Künste war. „Messerklingenscharfe, kluge Aphorismen“ und „philosophische Randbemerkungen, die durch die Jahrhunderte purzeln“ findet Regina Hilber in seinem Buch, aber auch Beobachtungen über die osteuropäische Frau über Vierzig und die ungarische „Hauskittelästhetik“, die den berühmten Philosophen nicht nur im Licht heutiger Gender-Debatten alt aussehen lassen und denen Regina Hilber ein ironisches und nicht minder verschwurbeltes Pendant, betreffend Männer mittleren Alters, entgegenschleudert. (S. 26).
Die Dichterin, deren lyrisches Ich selbstbewusst „keen Frollein Fräulein“, sondern „herrlich fraulich Fraue“ (S. 30) sein will, protokolliert im Jahr der aufflammenden der Me-too-Debatte einerseits Auswüchse männlicher Hybris wie den Fall Harvey Weinstein und das Attentat von Stephen Paddock, der in Las Vegas 59 Menschen tötet mit Waffen, die er unter anderem in einem Shop namens „Guns & Guitars. Safe and Sound“(!) gekauft hat.
Eugen Gomringers Gedicht avenidas auf der Fassade der Berliner Alice Salomon Hochschule dagegen verteidigt die Lyrikerin beherzt gegen Sexismusvorwürfe, hier treibe die Genderdebatte doch seltsame Blüten. In Erinnerung an eine Argentinienreise kommentiert sie den Streit mit einer Nachdichtung der avenidas, in der sie – ebenfalls auf Spanisch – den inkriminierten „admirador“ zum „fusil“ macht, das auf „mariposas“ (Schmetterlinge) zielt. Eine wunderbar schwebende Pointe!
Auch dem Genderdilemma beim eigenen Schreiben begegnet die Autorin mit Lässigkeit und spielerischen Versuchsanordnungen (Queerversuche und Genderversuche, S. 76f). Aber dass die Stadt Beeskow keinen einzigen Straßennamen hat, der auf eine Frau verweist, versetzt ihr dann doch einen Stich. Allgegenwärtig in Brandenburg ist dafür Martin Luther, er wird im Jahr des Reformationsjubiläums sogar als Playmobilfigur zum „Bestseller“. Und dann sofort abgelöst von der 750-Jahr-Feier des barocken Klosters Neuzelle. Der katholische Konvent musste 200 Jahre ohne Mönche auskommen und wird nun mit vier Zisterziensern aus dem österreichischen Stift Heiligenkreuz zu neuem Leben erweckt. Eine kleine Gegenreformation. Die Autorin besucht dort Pater Kilian, betritt zum ersten Mal in ihrem Leben eine Sakristei und erfährt Grundsätzliches über das klösterliche Leben, das Wesen von Gott, das Gebet. Und über die Hoffnung der verschickten Mönche, bald wieder in einer größeren Gemeinschaft zu leben.

Zwischendurch berichtet Regina Hilber auch vom ganz banalen Alltag ihres Schreibaufenthaltes: Die erste Nachtruhe in ihrer einsamen Kemenate wird vom Nachtwächter gestört, tagsüber tummeln sich Besuchergruppen auf dem Burghof, ein Workshop für bildende Künstler und eine Baustelle beleben die Szenerie. Zudem beobachten die Ortsbewohner die Frau in der Burg – man sehe ihr Küchenlicht an- und ausgehen, erfährt sie in der Kneipe gegenüber. Missverständnisse mit männlichen Gesprächspartnern verdankt sie vermutlich folgendem Satz in der Lokalzeitung: „Groß ist sie, schlank und sehr aufgeschlossen – die neue Burgschreiberin von Beeskow!“
Der erste Sonntagsausflug führt die Dichterin nach Lieberose, dessen Ortsname „ein Gedicht für sich“ ist, „Rosenliebelei“ assoziiert sie angesichts blumenumrankter Gartenmauern und einer barocken Schlossfassade in der Septembersonne. Alles lieblich – umso härter der Kontrast zur dachlosen Ruine der ausgebombten gotischen Stadtkirche, kein Geld da, um sie zu renovieren, ein Abriss kommt auch nicht in Frage. „Ruinen als unsichtbare Trennlinie zwischen den Begrifflichkeiten des Ostens und Westens“, notiert die Autorin. (S. 20)
Frankfurt an der Oder mit seinen Plattenbauten hinterlässt einen traurigen Eindruck, die Besucherin wagt jedoch einen zweiten Blick auf die historische Stadt an der polnischen Grenze, für die doch andere Maßstäbe gelten sollten als für Wien mit seiner besonderen Lebensqualität.
Auch für Berlin und die berühmte „Prenzlberggesellschaft“ kann sich die Gastautorin nur bedingt erwärmen: „Eine Stadt, die nirgendwo eine Mitte hat, hat nirgendwo ein Herz, an dem man sich festhalten kann“. (S. 48) Ihr Herz schlägt für Italien, so sehr, dass sie sich vom mittelalterlichen Beeskow an die Renaissancestadt Ferrara erinnert fühlt – die Stadtmauer, die Steinpflaster aus Findlingen, die engen Gassen. Nur das goldene Licht der Emilia Romagna fehlt unter dem grauen Brandenburger Himmel.

„Selbstevakuierung“ heißt ein Gedicht in Regina Hilbers Band „Landaufnahmen“ aus dem Jahr 2016 – ein Begriff, der die Situation einer Künstlerresidenz treffend beschreibt: Die Verlagerung des Lebensmittelpunktes als kreatives Wagnis, „Rausfallen aus dem Alltag“, Hingabe an Landschaften, Menschen, Mentalitäten. (S. 7)
In diesem Sinne ist der Band Palas ein erfrischendes Plädoyer für Offenheit und Neugier, nebenbei auch ein lebendiges Portrait der Autorin selbst, mit der man sich lesend bestens unterhält.

Literarische Landvermessungen betreibt Regina Hilber auch als Herausgeberin, 2018 erschien ebenfalls in der Edition Art Science ihre zweisprachige Anthologie Armenische Lyrik der Gegenwart – Von Jerewan nach Tsaghkadzor. Auch ein Essayband zum Thema Galizien und die Ränder des Ostens war parallel zur Burgschreiberei in Arbeit.
Das Unterwegssein ist dann auch Thema des nächsten Literaturhaus-Sofas mit Regina Hilber am 26. 02 2019. Unter dem Titel Hotel und Literatur erörtert sie mit ihren Gästen Felicitas Hoppe und Doron Rabinovici die Magie von Hotels im realen SchriftstellerInnenleben und in literarischen Texten.

Regina Hilber Palas
Lyrik.
St. Wolfgang: Edition Art Science, 2018.
128 S.; geb.
ISBN 978-3-902864-85-7.

Rezension vom 13.01.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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