Worum handelt es sich hier? Es ist ein Rätsel, das jeder für sich selbst beantworten kann, das für die meisten allerdings „Wort“ zur Lösung haben wird. Mo allerdings, Protagonist in Shoka Golsabahis Debüterzählung Pablo und das ewige Feuer, sieht darin den Begriff „Bewegung“ beschrieben und beweist damit Pablo, in diesem Moment nicht mehr als sein Taxifahrer, was dieser schon an einer Handbewegung Mos erkannt hat: der junge Mann ist ein Tänzer. Allerdings ein spätberufener, dem eines Tages während einer juristischen Prüfung der Rhythmus ins Blut geschossen ist. Doch regiert in der Welt des Tanzes ein Element mehr als überall sonst: die Jugend. Jung hat man seine Ausbildung zu beginnen, und jemand, der als Student aus einer Laune heraus anfängt zu tanzen, hat keine Berufsberechtigung. Dabei bringt Mo, abgesehen von seinem Alter und der fehlenden Ausbildung, die wichtigste Voraussetzung für einen guten Tänzer mit: er empfindet die Bewegung als seine natürliche Ausdrucksform.
Aus Mos Perspektive entfaltet die Autorin auf knapp 90 Seiten drei Handlungselemente: Mos Leben vor seinem Zusammentreffen mit Pablo, gekennzeichnet von unzähligen erfolglosen Castings, in Tanzschulen abgeschauten und selbst einstudierten Choreographien sowie aussichtslosen Nebenjobs. Letztendlich resigniert er, hebt an einer Kreuzung die Hand, um ein Taxi aufzuhalten, das ihn zum juristischen Institut bringen soll. So trifft er auf Pablo, der genausowenig Taxifahrer ist wie Mo Jus-Student, sondern Choreograf. Er wird zur ersten Person, die Mo als Tänzer ernst nimmt – er besetzt ihn in seiner aktuellen Produktion – in der Hauptrolle.
Hier beginnt der zweite Handlungsabschnitt, jene Zeit, die Mo und Pablo gemeinsam verbringen. Mehr als Choreograf und Tänzer sind die beiden allerdings Mentor und Schüler. In oft einseitigen Dialogen – Pablo pflegt von einem Thema zum anderen zu springen – erzählt er dem jungen Tänzer aus seinem Leben und gibt ihm alle möglichen Ratschläge. Neben einer Obsession für Bühne und Publikum – während der Proben spricht Pablo fast ausschließlich davon – zeichnet sich der Choreograf durch eine Vorliebe für Feuer aus: hat er eine zündende Idee, bringt er das zum Beispiel durch einen fackelnden Bleistift sehr vehement zum Ausdruck. Und diese Eigenheit wird ihm schließlich auch zum Verhängnis, er stirbt an den Folgen eines von ihm selbst verursachten Zimmerbrandes.
Womit wir beim dritten Teil der Erzählung wären, nämlich Mos Dasein nach dem Tod Pablos, das sich vornehmlich in seinem Bett abspielt, denn schlafend flieht er davor, daß ihm mit Pablo sein einziger wahrer Lehrer verloren gegangen ist. Und, nachdem Pablos Nachfolgerin ihn aus der Produktion entlassen hat, vermutlich auch seine einzige Chance, als Tänzer zu reüssieren. Doch wie Mos Leben als Tänzer weitergeht, erfährt der Leser nicht mehr.
Natürlich präsentiert Golsabahi diese drei Erzählstränge nicht linear, sondern schafft es, sie auf engem Raum gekonnt ineinanderzuschneiden, fast wie eine jener finalen Tanzszenen aus einschlägigen Hollywood-Produktionen. In einer fast beiläufigen Sprache – großteils die Gedanken Mos, durchbrochen von Dialogen – greift die Autorin Themen aus dem Leben junger Menschen auf: der Meinungsumschwung im Laufe eines Studiums, der Idealismus, mit dem an unrealistisch anmutenden Ideen festgehalten und gearbeitet wird, und nicht zuletzt die Hoffnung, die ein Mentor wecken und nähren kann, wenn er die Träume eines jungen Menschen ernst nimmt und fördert. Und auch das Chaos, in dem eben jener Mensch landet, wenn die Bezugsperson – ohne ihre Aufgabe zu Ende geführt zu haben – wieder von der Bildfläche verschwindet.
Eine Geschichte, die nicht nur das Feuer im Titel trägt, sondern ihre Protagonisten auch damit ausstattet – sei es das Feuer einer Idee (begleitet vom tatsächlichen In-Brand-Stecken diverser Gegenstände bis hin zur eigenen Person), das Feuer der Bewegung, das nicht zum Ausbruch kommen darf oder auch das Feuer der Trauer, das lange, leise und jede Bewegung erstickend vor sich hinschwelt. Manchmal starrt man in die Flamme einer Kerze und muß sich an einem bestimmten Punkt wieder davon losreißen. Ähnlich kann es dem Leser mit dieser Erzählung gehen, nur daß man unter Umständen auf das Sich-Losreißen verzichtet und sie in einem Zug zu Ende liest.