#Prosa

Paarweise. Acht Pariser Episoden

Lilian Faschinger

// Rezension von Susanna Rupprecht

Über drei Jahre hat Lilian Faschinger in Paris gelebt, mit größeren und kleineren Unterbrechungen, bevor sie die acht Pariser Episoden dann im Winter 2001 in Wien zu Papier brachte – mit einem Pariser Stadtplan und Erinnerungsfotos an den Wänden, die dabei helfen sollten, in die Atmosphäre der Stadt wiedereinzutauchen.

Gleich zu Beginn wird in ein paar unscheinbaren Nebensätzen von einem Streik und von Gewalt erzählt, und der Araber Karim, der gerade mitten im Stau steckt, meint: „Diese Stadt macht einen fertig … Hier regiert der Teufel, nichts funktioniert, die Luft ist schlecht, … man schuftet sich die Seele aus dem Leib, immer mehr Leute drehen durch, … und bringen den Nächstbesten um! Ist es ein Wunder Monsieur Blue, ist es ein Wunder? Nein, es ist kein Wunder, das ist die Strafe für die Gottlosigkeit …“ Monsieur Blue, ein amerikanischer Schriftsteller, der die Trennung von Chantal noch nicht überwunden hat und wieder einmal übersiedelt, da er die ideale Wohnung, um seinen großen Roman über das Minnesota der 50er Jahre zu schreiben, noch nicht gefunden hat, wird auch in der neuen, vom Feng-Shui-Experten Monsieur Lu ausgewählten Wohnung nicht die ersehnten strahlenfreien Bedingungen finden. Mit der nächsten Episode fällt der Blick auf die Mexikanerin Julieta, die, um Geld für ein Psychologie-Studium zu sparen, als Altenpflegerin arbeitet und einen Tangokurs besucht, in der Hoffnung, dort ihre große Liebe zu finden.

In der Folge ergeben sich noch eine Menge weiterer Bekanntschaften mit Protagonisten unterschiedlichen Alters und aus den verschiedensten sozialen Schichten, und mit ihnen auch eine aktuelle Sicht auf das Pariser Großstadtleben – das in Grundzügen auch stellvertretend für das Leben in anderen Metropolen stehen könnte, mit all den gesellschaftlichen Problemen wie Diskriminierung, Rassismus, Kindesmißbrauch, Gewalt oder soziale Ungerechtigkeit. Erstaunlich ist, daß diese Probleme auf den ersten Blick nicht so wichtig erscheinen, sie erscheinen fast wie Landschaftsbeschreibungen, stumme Begleiter der Protagonisten, die so selbstverständlich sind, daß man vor dieser Selbstverständlichkeit fast erschrickt. Vielleicht verblassen sie auch angesichts der inneren Landschaften der Individuen, denn das Hauptmovens erscheint mir die Darstellung der Beziehungen der Menschen untereinander, ihrer Sehnsüchte sowie der Strategien, um mit ihren jeweiligen Problemen fertigzuwerden. Faschinger schildert die individuellen Schicksale wie aus einer inneren Distanz heraus beobachtend, der Grundton ist lakonisch. Diese Distanz bewirkt aber überraschenderweise nicht ein kritisches Über-den-Dingen-stehen, auch wenn Personen wie Pascale und Blue, die sich ganz nach den Ratschlägen einer Wahrsagerin bzw. eines Feng-Shui-Meisters ausrichten, etwas lächerlich erscheinen.

Die erzählten Existenzen machen vor allem deutlich, wie schwierig es ist, angesichts der individuellen Freiheiten und gleichzeitig fehlenden verbindlichen Orientierungsmuster dem eigenen Leben Halt zu geben. Im übrigen stehen verschiedene Interpretations- und Orientierungsmuster ziemlich gleichberechtigt nebeneinander: Der überaus neurotische Luc ist in seinen psychoanalytischen Sichtweisen ebenso gefangen wie Pascale oder Blue in den Ratschlägen ihrer Berater. Unterhaltsam wird es, wenn Alain Bouquet, der, während er noch damit beschäftig ist, sich davon zu überzeugen, nicht eifersüchtig zu sein, den klischeehaftesten Eifersuchtsphantasien nachhängt – seine gelassene Aufgeklärtheit ist nur eine vermeintliche.

So wie die krassen sozialen Gegensätze mit den zahlreicher werdenden Geschichten immer deutlicher werden, entsteht, fast wie von selbst, aus den einzelnen Mikrokosmen ein größeres Ganzes, denn Faschinger begnügt sich nicht mit dem Aneinanderreihen von Episode an Episode. Vielmehr sind diese kunstvoll miteinander verwoben, – gerade noch im Mittelpunkt des Geschehens, taucht jemand an unerwarteter anderer Stelle flüchtig oder zufällig wieder auf – und es ist ein Vergnügen, den Fäden dieses feinmaschigen Netzes, den für gewöhnlich nicht wahrnehmbaren unsichtbaren Verbindungslinien, zu folgen. Eine weitere Konstante dieser Episoden ist die Musik. Sie erscheint oft als Symbol für Ursprung und Endpunkt einer Suche der Menschen, einer Suche nach einem Gefühl, einem Glück, einer Liebe. Schwierig und problematisch ist diese Suche für alle, aber Faschinger läßt keine allzu große Bedrückung aufkommen. Durch ihr Verwobensein verlieren die einzelnen Mikrokosmen viel von ihrer Begrenztheit und Isoliertheit – besonders deutlich am 14. Juli, Tag der Französischen Revolution, der mit einem großen Feuerwerk gefeiert wird und an dem, gleichsam in einer Polyphonie, die verschiedenen Stimmen zusammengeführt werden.

Mit postmodernem Vokabular könnte man auch sagen: Die große Erzählung ist durch viele kleine Splitter ersetzt. Die Besonderheit dieses rasch verschlungenen Buches ist vielleicht, daß die Sprünge deutlich sichtbar sind, das Glas aber nicht zerbrochen ist: Ein Fundstück mit großer Aktualität.

Lilian Faschinger Paarweise. Acht Pariser Episoden
Episodenbuch.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2002.
239 S.; geb.
ISBN 3-462-03132-5.

Rezension vom 22.01.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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