#Prosa

p-attacke

Hilde Langthaler

// Rezension von Emily Walton

Panik. Es ist ein Modewort. Überall Panik: An der Börse, beim Pop-Festival, bei der Hochwasserkatastrophe. Menschen auf engem Raum, die ihre Ängste nicht mehr unter Kontrolle haben, wähnen sie sich doch in Gefahr.
Nicht immer aber braucht es eine echte Bedrohung, um von der Panik gefangen genommen zu werden: Allein der gewöhnliche Alltag kann schieres Entsetzen mit sich bringen. Eine Angst, die trommelt, pocht, drängt und sich tief in die Schädeldecke bohrt.

Es ist dieser schreckliche Zustand, den Autorin Hilde Langthaler einzufangen versucht: p-attacke ist eine Sammlung von Kurzgeschichten mit augenscheinlich harmlosen Titeln: anna k., non scholae sed vitae, schinkenfleckerln. Lediglich hinter der namensgebenden ersten Geschichte p-attacke lässt sich Beklemmung vermuten. Sie handelt von einer Frau (Langthalers Protagonistinnen sind durchgehend weiblich), die Furcht vor dem nächsten Tag hat. „die angst vor etwas unbestimmtem, die alles andere beherrscht. – existentielle angst, oder die angst vor dem heutigen tag. wo denn in aller welt die kraft für diesen tag hernehmen?“

„panikattacke.panikattacke.panikattackepan…klopfts gegen die Schädeldecke.“

In den Geschichten droht keine wahre Gefahr: Es ist nur das leise Anschleichen schizophrener Gedanken, die den Schädel zu sprengen drohen. Die Frauen kämpfen um einen Ausweg: Es ist die Suche nach einem Loch im Boden, in dem man sich verkriechen kann. Das Verlangen, die eigene Haut zu verlassen, nur ein paar Stunden Urlaub von der eigenen mühsamen Person zu haben.

Langthaler lässt Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen. Da treibt etwa eine junge Frau durch die „Stadt des Kindes“ (ein Projekt und Bauwerk der Siebziger-Jahre, das tatsächlich in Wien existierte und 2009 abgerissen wurde) auf der Suche nach dem toten Großvater. Sie wird von Teddybären, Puppen, Schaukelpferden und dem Gefühl der Hilflosigkeit in die Enge getrieben. Während im nächsten Text anna k. zwischen zwei Männern steht, vom Schweigen des Telefons in den Wahn getrieben, wartend auf die Fliegenklatsche, die den Zufall schlagend machen soll. Es ist eine Ratlosigkeit, die sie am Ende mit einem gewaltigen Tortenstück erschlägt.

Es bedarf nicht vieler Worte, um Beklemmung zu beschreiben. Langthaler setzt auf Minimierung, macht ihre Texte dicht und schafft es allein mit den subjektiven Gedanken ihrer Protagonistinnen, dem Leser ein enges Band um den Hals zu schnüren. Das verleiht den Geschichten trotz ihrer Kürze (sie sind nur wenige Seiten lang, in großer Type gedruckt, durchgehend in Kleinschreibung) eine enorme Sogwirkung.

Zudem bedient sich Langthaler des Weißraums, lässt etwa in der Geschichte „crescendo“ ganze Seiten frei: Vielleicht, weil Platz und Raum (= leere Seiten) die Panik mildern. Vielleicht auch, um dem Leser Fläche für die Notiz eigener (sur)realer Gedanken zu geben. Denn am Ende der Lektüre stellt man sich immer wieder die Frage: Wann und wie kann ich Urlaub vom eigenen mühsamen Ich haben?

Hilde Langthaler p-attacke
Kurzgeschichten.
Maria Enzersdorf: Edition Roesner, 2010.
102 S.; geb.
ISBN 978-3-902300-47-8.

Rezension vom 31.08.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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