#Sachbuch

Otto M. Zykan

Irene Suchy

// Rezension von Hermann Schlösser

Am 25. Mai 2006 ist der Komponist Otto M. Zykan gestorben – und zwar, wie der sorgsamen Lebenschronologie des vorliegenden Bandes zu entnehmen ist, „nach etwa 20 Minuten Radfahrt auf der Landstraße Kleinburgstall, Gemeinde Maissau, L 1244, bei Straßenkilometer 3260“. Seither müssen seine Kompositionen ohne ihren Erfinder weiter leben, was nicht ganz einfach ist. Denn zum einen trug Zykan als Pianist und Performer zur Wirkung seiner Musik entscheidend bei, zum anderen war er (wie viele Avantgardisten) von der ständigen Veränderung des Materials stärker fasziniert als von der Kodifizierung des ein für allemal Gelungenen: „Auch ein gesichertes Sein ist nicht so erfüllend wie ein ungesichertes Werden“ heißt es einmal in seinen „Zettelkastentexten“, die literarisch ambitionierter sind, als ihr Name glauben machen will – und auf einem anderen Zettel aus dieser Sammlung steht: „Keine Erregung ist wert, dass man sie 2mal erlebt.“

Ein Künstler, dessen Lebensarbeit unter derartigen Prämissen zustande kommt, hinterlässt nach seinem Tod kein klassisch vollendetes „Werk“, sondern verstreute Spuren seiner intensiven, vielseitigen Tätigkeit. Wie Zykans Nachlassverwalterin Irene Suchy berichtet, weigerte sich der Komponist bis zum Schluss, seine Arbeiten selbst zu ordnen oder gar zu archivieren. „Archiv bedeutete ihm Sterben“ schreibt Suchy, und deshalb ist es nur konsequent, dass Zykan bis zu seinem abrupten Tod im Alter von 71 Jahren immer wieder Neues komponierte, konzipierte und schrieb, während er sich um die Archivierung seiner älteren Arbeiten nicht kümmerte.

Was der Komponist zu Lebzeiten verweigerte, wird jetzt von Irene Suchy in beeindruckender Sorgfalt nachgeholt. Der Band „Otto M. Zykan. Materialien zu Leben und Werk“ enthält neben der bereits erwähnten Lebenschronik ein mustergültiges Werkverzeichnis, das Zykans Schaffen in sechs Gruppen gliedert. Jede Komposition ist darin aufgelistet und mit Datum und Ort der Uraufführung versehen. Am wichtigsten für Musiker und Musikhistoriker ist aber die Inventarisierung des Notenmaterials. Da Zykan seine Stücke für neue Aufführungen immer wieder umzuarbeiten pflegte, existiert eine Reihe von Werken in mehreren Fassungen, die zuweilen stark voneinander abweichen. Das „Suchy-Verzeichnis“ (wie man es in Anlehnung an Köchel oder Deutsch durchaus nennen könnte) bringt eine systematische Ordnung in Zykans Nachlass, die dem Komponisten selbst wohl eher fremd war, die aber für das Weiterleben seiner Musik von großer Bedeutung ist.

Dieses Werkverzeichnis ist das sehr brauchbare Hauptstück des Buches. Darüber hinaus findet man in dem ausnehmend schön gestalteten Band Fotos und Dokumente aus Zykans Leben. Kulturhistorisch aufschlussreich ist zum Beispiel ein Foto, das 1969 auf dem Cover von Zykans Schallplatteneinspielung sämtlicher Klavierwerke Schönbergs zu sehen war: Der Pianist ist hier zusammen mit seiner zwei Jahre alten Tochter zu sehen, die vollkommen nackt neben ihm steht. Das Bild, das heute besorgte KinderschützerInnen auf den Plan rufen könnte, wurde in den späten sechziger Jahren vermutlich als Dokument fortschrittlicher Elternschaft verstanden.

Wie viele Komponisten der Moderne – etwa Schönberg, Eisler oder Krenek – war auch Otto M. Zykan ein begabter Schriftsteller. Die bekanntesten Ergebnisse seiner literarischen Tätigkeit sind zum einen das Drehbuch für das seinerzeit so skandalträchtige Fernsehspiel „Staatsoperette“, das Zykan 1977 zusammen mit Franz Novotny verfasst hat, und zum anderen das Libretto zu seiner Oper „Joseph Fouché“, die er nicht mehr vollenden konnte. (Götz Fritsch und Irene Suchy haben daraus ein Hörspiel zusammengestellt, das unter dem Titel „Zykan Fouché Stimme“ als ORF-CD erhältlich ist.) Doch ist der Komponist auch in dem hier besprochenen Buch als Schriftsteller zu entdecken, und zwar mit seinen bereits erwähnten „Zettelkastentexten“: An verschiedenen Stellen des Bandes tauchen diese elegant formulierten Aperçus und Aphorismen auf, die teils satirischer, teils musikästhetischer und philosophischer Natur sind. Einmal heißt es zum Beispiel: „Meine religiöse Überzeugung ist, dass man im Jenseits dafür bestraft wird, wenn man im Diesseits Spuren hinterlassen hat. Und zwar solange, bis die Spuren erloschen sind. Nicht auszudenken, was ein BACH für ein elendes Jenseits zu durchleben hat. Nun schon 250 Jahre!“ Wer das ganz und gar ernst nähme, dürfte sich um Zykans Nachlass eigentlich gar nicht bemühen, da die Jenseitsqualen des Komponisten durch die postume Pflege seines Werks ja nur verlängert würden. Aber so schwer gewichtig ist diese „religiöse Überzeugung“ wohl doch nicht. Wie Suchy anmerkt, hat Zykan selbst viel Material aufgehoben und gesammelt, obwohl er immer wieder behauptete, seine alten Arbeiten interessierten ihn nicht. Vor allem aber hat er testamentarisch eine Nachlassverwalterin bestimmt, von der er sicher sein konnte, dass sie sein Werk nicht der Vergessenheit überantworten würde: Irene Suchy.

Irene Suchy ist nicht nur eine profilierte Musikwissenschaftlerin und -journalistin, sie war auch Zykans Lebensgefährtin von 1995 bis zu seinem Tod. Dieses Nahverhältnis wird im Buch nicht nur nicht verschleiert, sondern geradezu gefeiert. In einem langen Vorwort schildert Suchy ihr Leben mit dem Komponisten. Sie wählt dafür die Form eines Briefes an den Verstorbenen, und es ist nicht zu verkennen, dass es sich hier um einen hoch emotionalen Liebesbrief handelt, in dem es etwa heißt: „Du warst nicht der beste, du warst der Einzige“ oder auch, in durchaus pathetischer Idealisierung: „Du warst mein Heil, meine Heilung“, und: „Du bist für mich gestorben.“ (S. 21) Wer die Analogie von Zykan und Christus an dieser Stelle noch nicht wahrhaben will, wird fünf Seiten später noch einmal deutlicher darauf hingewiesen. Auf S. 26 heißt es nämlich: „Du hast mich erlöst. Weil du meine Welt warst und ich deine, hast du die Welt erlöst.“

Natürlich ist der Wert solch hemmungsloser Bekenntnisse umstritten. Dem Rezensenten zum Beispiel hätte diskrete Zurückhaltung im Ausdruck der Gefühle besser gefallen. Andererseits weiß Irene Suchy selbst, welches Risiko sie eingeht. Sie berichtet, dass ein Journalistenkollege ihre Äußerungen zu Zykan als „peinlich und mutig“ bezeichnet habe, und sie steht zu ihrem Mut, und achtet die Gefahr der Peinlichkeit gering. Wer das exaltiert findet, muss sich eben an das Werkverzeichnis, die Chronik und an Zykans Texte halten. Zurzeit arbeitet Irene Suchy an zwei Fortsetzungsbänden ihrer Schriftenreihe, die Zykan vor allem als Schriftsteller zeigen werden: Band 2 wird die Libretti seiner musiktheatralischen Arbeiten enthalten, Band 3 seine Gesammelten Schriften. Für das Nachleben dessen, der nur den schöpferischen Augenblick gelten lassen wollte, wird also energisch gesorgt.

Irene Suchy Otto M. Zykan
Band I. Materialien zu Leben und Werk.
Wien: Gezeiten, 2008.
191 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-9502272-7-7.

Rezension vom 15.04.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.