#Prosa
#Debüt

Onkel Norberts denkwürdiger Nachmittag

Christoph Pichler

// Rezension von Daniela Völker

Denkwürdig ist nicht nur Onkel Norberts Nachmittag, denkwürdig sind alle 16 Geschichten, die Christoph Pichler in seinem Debütband vorlegt. Das Schöne an ihnen ist: hier wird bewusst der lakonische Unterton vermieden, der doch in den letzten Jahren so sehr in Mode gekommen ist. Christoph Pichlers Geschichten spielen mit dem Unerwarteten im Alltäglichen, verwundern, verblüffen oder sind eben denkwürdig, wie es die Titelgeschichte benennt.

„Versprich mir … dass du sie (die Geschichte) … aufschreibst“, hat Onkel Norbert auf seinem Sterbebett gekeucht, „und dass du … dich ja nicht … darüber lustig machst.“ Die Einlösung dieses Versprechens ist die Motivation für den Neffen, diese Geschichte zu erzählen, so, wie er sie unzählige Male von Onkel Norbert gehört hat. Sie schildert eine Begegnung zwischen dem Onkel und einem merkwürdigen Wesen mit wuscheligem Haar, Hörnern und großen, gespaltenen Hufen, das eines Nachmittags im Garten der Familie auftaucht, dem Onkel die Zunge herausstreckt und wieder verschwindet. Die Begegnung unterstreicht den Wunsch des Onkels, alles einfach stehen und liegen zu lassen und dem „Bockmann“ zu folgen. Weil er aber nicht den Mut dazu hat, zeigt dieser ihm die Zunge und verschwindet. Natürlich glaubt keiner aus der Familie die Geschichte. Bis der Ich-Erzähler und der kleine Bruder Theo einen Sonnenhut entdecken, der verdächtig streng nach Ziege riecht … .

Viele von Pichlers Figuren stecken in verfahrenen Situationen: Ihnen wird nicht geglaubt, sie müssen mit dem Tod eines geliebten Menschen zurechtkommen, sie werden für eine andere Person gehalten, sie flüchten in andere Welten wie die Protagonistin in der Erzählung „Faust-Ouvertüre“, die die geistige Umnachtung wählt als Reaktion auf den zu trauriger Berühmtheit gelangten Knaben, der an der Aufnahmeprüfung der Wiener Kunstakademie scheiterte.

Oft tragen die Zustände, in denen sich Pichlers Figuren befinden, etwas Kafkaeskes in sich. „Lass bitte Erna nicht warten“ heißt eine dieser Erzählungen, in denen ein Protagonist im Hochsommer seine Eltern besuchen möchte, sich aber dann plötzlich in einer ganz anderen Familie wiederfindet und in die Rolle des Sohnes Burkhard gedrängt wird. Doch wie bei den wirklichen Eltern schreibt er auch hier schon bald in sein Tagebuch: „Seitdem ich wieder hier bin, kann ich an nichts anderes denken als an Flucht. Nur an Flucht.“ Und auch die Geschichte „Der Schwarm“ erzählt eine ähnlich verfahrene Geschichte von einem Jungen, der Tag für Tag im Park von einem Penner verfolgt wird, aber nicht umhin kann, täglich auf seinen Schulweg durch diesen Park zu gehen und dem eine andere Gefahr – ein Schwarm Bienen – eine gefährliche Rettung verheißt.

Christoph Pichlers Erzählungen sind meisterhaft im Spiel, sie treiben das Spielerische auf die Spitze. Da werden Situationen, Figuren, Erzählperspektiven, Längen und Kürzen ausprobiert ohne etwas Werkstatthaftes zu bekommen. „Der Innenhof“ wird zum Protagonisten, um dem herum sich alles Bedeutende abspielt, der aus seiner Sicht die Geschehnisse beobachten kann. Onkel Norberts denkwürdiger Nachmittag ist ein würdiges und beachtliches Debüt, von dessen Autor, der 1999 das Österreichische Staatsstipendium für Literatur erhielt, man sich noch einiges erhoffen darf.

Christoph Pichler Onkel Norberts denkwürdiger Nachmittag
Erzählungen.
Frankfurt am Main: Schöffling & Co, 2005.
200 S.; geb.
ISBN 3-89561-381-9.

Rezension vom 09.01.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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