#Roman

Onans Kirchen

Christoph Braendle

// Rezension von Spunk Seipel

Die Sehnsucht nach dem Anderen oder nach einem höheren Sinn treibt viele Menschen zu Taten, die keinen rationalen Hintergrund haben. Christoph Braendles Held in seinem Buch „Onans Kirchen“ wird von solchen Sehnsüchten getrieben und findet dadurch seinen Untergang. Anders als der Titel erwarten lässt, legt der Autor keinen Masturbationsroman im Stil der „Skandalromane“ der letzten Jahre, sondern einen veritablen Entwicklungsroman vor.

Der Manager P. hatte in Europa einem Freundeskreis angehört, der sich selbst die „Tafelrunde“ nannte und neben Karriereplänen vor allem dem Prahlen um weibliche Eroberungen gedient hatte. Eine Stufe der Karriereleiter führt P. nach Zimbabwe, um das Geschäft eines Weltkonzerns im südlichen Afrika zu leiten. Doch der einheimische Manager gibt ihm zu verstehen, dass seine wichtigste Aufgabe ist, sich aus den Geschäften herauszuhalten. Gelangweilt von dem, was Harare ihm bietet, vor allem in sexueller Hinsicht, macht er sich auf eine Reise durch Zimbabwe. P. erlebt die Schönheiten und Gefahren der afrikanischen Natur, gerät mit den einheimischen Weißen wegen deren Rassismus aneinander und findet doch keinen Zugang zu der schwarzen Bevölkerung. Er, der Macher, ist zur Untätigkeit verdammt und wird in einen paradiesischen Garten in Chipinge zum Nichtstun abgeschoben, aus dem ihn eine Frau mit dem Vorwurf einer angeblichen Vergewaltigung wieder vertreibt.

Auf der Flucht landet er durch Zufall in einer Einöde am Rand der Kalahari in Namibia, wo er seine Erlebnisse und Gedanken nicht mehr seinem Tagebuch anvertraut, sondern einen über Jahre hinweg entstehenden Brief an eine ihm unbekannte Frau in Wien schreibt. Er kennt diese Frau nicht, er hat nur durch Zufall eine Zeitungsanzeige von ihr gelesen, dass sie einen reichen Gönner sucht und Wagneropern liebt. P. steigert sich in eine minnenhafte Verehrung, die mit einem tragischen Unfall endet, als er versucht, für seine unbekannte Angebetene einen Diamanten zu suchen.
Körperlich versehrt, findet er seinen Rückweg nach Europa über einen Zwischenaufenthalt als Pfleger in einem Altenheim, wo er die letzten Reste des kolonialen Afrika erlebt, um endlich in Bayreuth bei einer Parsifal- Aufführung seine Angebetene kennenlernen zu wollen.

Braendle gelingt mit „Onans Kirchen“ eine Neufassung des berühmten mittelalterlichen Parsifalstoffs, der schon 1865 von Richard Wagner neuinterpretiert und zu einem sakralen Stoff überhöht wurde. Motive aus dem Parsifal werden neu formuliert: die Tafelrunde, die Verbannung, das Leiden des einsamen P., die Beinahekastration des Helden im afrikanischen Busch durch einen martialischen Initiationsritus, die Minne und vieles mehr. Die Anspielungen sind zahlreich, dabei nur selten platt, und vermischen sich mit genauen Betrachtungen der afrikanischen Welt. Selten kann man so genaue und zugleich lakonische Beschreibungen der Schwierigkeiten vieler Europäer lesen, wenn sie in Afrika Anschluß suchen. Oder von der, entgegen aller Klischees, entsexualisierten Welt des südlichen Afrika. Politik wird in diesem Buch nicht durchexerziert, die Verbrechen eines Diktators wie Mugabe bleiben bis auf einen Nebensatz unerwähnt. Der Romanheld agiert in seiner eigenen Welt.

Es ist nicht unbedingt nötig, den Parsifalstoff zu kennen, wenngleich dies das Vergnügen über die Einfälle des Autors erhöht. Dabei nutzt Braendle, ohne den Namen Christoph Schlingensief und seine gescheiterte Parsifalinszenierung in Bayreuth namentlich zu nennen, die damalige Aufregung in der Kulturwelt und zugleich das Wissen des Lesers von Schlingensiefs Utopie eines Opernhauses in Burkina Faso, um seinen Roman voranzutreiben. War Schlingensief gar der indirekte Ideengeber für dieses Buch? Allein der Titel lässt schon darauf schließen.
Aber auch stilistisch ist es Braendle gelungen, diesen Roman als authentisches Zeugnis einer gescheiterten Suche nach der Verwirklichung einer Minne zu schildern, indem er das Buch in vier Teile gegliedert hat: Zwei Tagebuchabschnitte, einen langen Brief und den Bericht des Sachbearbeiters einer Versicherung, der die drei Dokumente als übriggebliebene Reste eines Verstorbenen sichtet und einzuordnen sucht.

Parsifal im Original ist ein dem heutigen Leser schwer zugänglicher Stoff, und auch Richard Wagners Bearbeitung macht es dem spirituell desinteressierten Leser nicht leichter. Im Gegenteil. Aber die Suche nach dem Anderen, nach einem höheren Sinn des Lebens treibt immer noch viele Menschen an, Handlungen zu begehen, die keinen rationalen Hintergrund haben. Christoph Braendle ist mit „Onans Kirchen“ nicht nur eine neue, lesbare und nachvollziehbare Bearbeitung des Parsifal- und Minnethemas gelungen, er hat auch einen sehr modernen Entwicklungsroman geschrieben.

Christoph Braendle Onans Kirchen
Roman.
Wien: Czernin, 2012.
272 S.; geb.
ISBN 978-3-7076-0399-6.

Rezension vom 26.03.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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