#Roman
#Debüt

Omka

Barbara Aschenwald

// Rezension von Monika Maria Slunsky

In einer Lebenskrise mag man davon träumen, das Gedächtnis zu verlieren, um sich wie neugeboren und bereit für einen Neuanfang zu fühlen. Man könnte ohne die Vergangenheit in die Zukunft starten. Omka lautet der Titel des Romandebüts von Barbara Aschenwald. Der gleichnamigen Romanheldin fehlt die Erinnerung jedoch nach einem misslungenen Selbstmordversuch. Hinter ihrem Schleier des Nichtwissens findet Omka somit keine Erlösung, sondern ein traumatisches Gefühl des Mangels. Leitmotivisch wird sie von sich und anderen wie ein hüllenloses, seelenloses und übermenschliches Wesen wahrgenommen, das an eine Nixe erinnert.

Die österreichische Schriftstellerin erzählt von Omka intensiv und empathisch, mit einem Hang zur Tiefenpsychologie. Sie kreiert distanzlos eine Frauenfigur, die wir gleich einem Abbild in uns allen entdecken werden. Denn Barbara Aschenwald hat ihren Roman für jede Leserin individuell geschrieben. Jeder Satz darin ist eine Aufforderung, das eigene Unterbewusstsein zu erforschen.
Omka ist ein Buch von einer Frau für Frauen. Ein möglicherweise erhoffter feministischer Feldzug bleibt jedoch aus. Im Gegenteil bricht Barbara Aschenwald mit der vermeintlichen Opferrolle. In überspitzter Weise und ziemlich provokativ erzählt sie vom Gewaltexzess einer Frau gegenüber ihrem Kind und Ehemann. Erschrocken denken wir nach der Lektüre an den einen oder anderen aktuellen Zeitungsartikel über ein solches Familiendrama, wobei wir – entgegen der traditionellen Vorstellungsweise – der Frau die Täterrolle zuschreiben müssen.

Eigentlich ist der Roman Omka von Barbara Aschenwald eine romantische Liebesgeschichte. Josef trifft Omka, die unter Amnesie leidet, schicksalshaft im Krankenhaus. Da sie weder verheiratet ist noch Kinder hat, steht einer gemeinsamen Zukunft nichts im Weg. Als das frisch verliebte Paar einen Sohn bekommt, scheint das Familienglück perfekt.
Uneigentlich ist „Omka“ die tragische Lebensgeschichte einer Frau, die ihren Platz im Leben nicht finden kann, nachdem sie sich ohnehin ertränken wollte. Unmittelbar begleiten wir Leserinnen Omka auf ihrem rutschigen Abweg und erfahren dabei, welche Auswüchse eine unbehandelte psychische Erkrankung annimmt.
Barbara Aschenwald dringt dafür in die Träume von Omka ein, gräbt Bilder und Emotionen aus ihrem Unterbewusstsein, bis sie uns Leserinnen letztendlich im rasanten Erzählfluss in ihren Amoklauf mitreißt. Diese fiktive, exzessive Gewaltdarstellung kommt einer realen Gewaltverherrlichung nahe, grenzt sich aber durch das Erzählen des pathologischen Prozesses, der dem Gewaltakt vorangeht, ab. Omka schlägt nämlich nicht einfach so zu, sondern nachdem sie implodiert ist und sich ihr Inneres nach außen gekehrt hat. Anfangs verstört sie mit Gefühlslosigkeit beim Töten einer Möwe oder in der Kirche, als sie die Gottesmutter und den Rosenkranz nicht erkennt. Mit Skurrilität überwindet Barbara Aschenwald den erzählerischen Kraftakt, dass Omka ihren Sohn mit einem Küchentopf erschlägt. In diesem Moment ist sie eine an Land gestrandete Nixe, die durch den Befreiungsschlag endlich wieder Luft bekommt.

„Es war einmal“ kokettiert Barbara Aschenwald am Romanbeginn mit einem Märchen, das von einem Mädchen mit einer Seele aus Wasser erzählt. Es entpuppt sich aber bald als groteske Geschichte, verpackt in 15 kurzen Kapiteln. Omka ist ein märchenhafter Roman, der ein blutiges Ende hat. Dass Märchen nicht bezaubernd enden, wissen wir bereits seit den Brüdern Grimm. Die Zerstörung der Idylle erzählt Barbara Aschenwald in poetischer Sprache, mit zahlreichen Metaphern und Symbolen, wie zum Beispiel einem bedrohlichen, feuerspeienden Drachenwagen oder dem Wasser, das Omkas Element ist. Ihre Gefühlslosigkeit verwandelt sich allmählich in eine wahnhafte Euphorie, die mit emotionalen Worten wie „totgeweint“ ausgedrückt wird. Zwar ist Omka ein Frauenroman, doch wird die Geschichte aus der personalen Erzählperspektive im Wechsel zwischen Mann und Frau erzählt. Der Fokus liegt auf Omka und Josef in ihrem Haus, und es wirkt, als würden wir LeserInnen das Paar mit einem Fernglas beobachten.
Omka leidet, fachmedizinisch ausgedrückt, unter „somatoformer Dissoziation“. Faktoren einer solchen Erkrankung reichen von traumatischen Erfahrungen und beklemmenden Angstzuständen über Schmerz und Emotionslosigkeit bis hin zu mangelndem Selbstbewusstsein und Identitätsverlust. Davon sind wir alle mehr oder weniger betroffen oder wir kennen jemanden, der davon betroffen ist. Es geht in Omka um eine Frau, die Themen sind aber geschlechtsneutral und überzeitlich. So richtet sich das gelungene Romandebüt von Barbara Aschenwald an jene Leserinnen, als auch Leser, die es wagen wollen, in ein Seelenleben zu blicken.

Barbara Aschenwald Omka
Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe, 2013.
221 S.; geb.
ISBN 978-3455404326.

Rezension vom 01.05.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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