#Roman

Omama

Lisa Eckhart

// Rezension von Alexander Kluy

Manchmal ist es nicht schlecht, ein Buch auf Ursprungstemeperatur abkühlen zu lassen. Und es erst einmal liegen zu lassen. Denn dann wird es – wie im Fall von Lisa Eckharts Omama – zu dem, was es eigentlich ist, ein Buch zum Lesen, zu Räsonnement und analytischer Debatte.

Und nicht Aufhänger für einen medial orchestrierten Skandal um attestierten, unterstellten oder nicht vorhandenen Antisemitismus seiner Schöpferin, der in Leoben geborenen Lisa Lasselsberger, die in Paris und in Berlin deutsche und slawische Literaturen studiert hat und heute in Leipzig lebt. Respetive von deren kabarettistischer Kunstfigur Lisa Eckhart. Sie hat ja in bemerkenswert kurzer Zeit große Kabarettbühnen erobert und TV-Auftritte absolviert, sehr schmal, sehr elegant gewandet, mit auffallend aschgrauer Retrofrisur, einen dekadent misanthropischen Ton anschlagend.
Misanthropie durchzieht auch ihr Romandebüt. Befreiung von jeder Empathie ist der andere Basso continuo dieses Buches. So steht der „Roman“, der, nimmt man das Genre streng, kein Roman ist, durchaus in einer österreichischen Literaturtradition, in der Suada zur Suderei wird, dabei manieristisch überhöht und rhetorisch exaltiert ist. Allzu weit ist Eckhart, artistisch mit Wörtern und Ausdrücken von den Rändern des gängigen Wortschatzes jonglierend, von Wolf Haas oder Heinrich Steinfest nicht entfernt.
Ähnlich wie diese lenkt Eckhart als spöttelnde, bissige Marionettenspielerin ihre Figuren über 384 Buchseiten hinweg, für ein Erstlingsbuch ein alles andere denn kleines Kunststück.
Nach einem reichlich bösen Auftakt, einem Distanzierungskapitel von Enkelin und Omama, beginnt alles in Mautern in Niederösterreich in einer Gastwirtsfamilie. Die zwei Schwestern Helga und Inge sind auf der Schwelle zur Pubertät. Inge ist die Schöne, die Abenteuerliche, Helga, späterhin die Großmutter der Erzählerin, die Unscheinbare mit dem Silberblick. Es ist das Jahr 1945, mit Kriegsende stehen die Russen vor der Tür. Im Klatsch wird das Grauen inklusive unsagbarer physischer Grausamkeiten, die allesamt ausgesprochen und ausgemalt werden, beschworen. Nichts davon tritt ein. Es gibt nur die schräg schnoddrige Sprache. „‚Was hatten wir vor denen Angst! Das waren vielleicht Wilde, diese Russen. Wie viele Mädchen haben die vergewaltigt!‘ Sie stiert mich an. Nach langer Pause fügt sie hinzu: ‚Unheimlich viele!‘ Es war offenbar keine rhetorische Frage. ‚Eine nach der anderen. Mich zum Glück nie!‘ Sie nippt an ihrem Glaserl Rotwein und blickt betroffen auf den Tisch. (…) ‚Doch ich war früher auch sehr hübsch!‘, entfährt es ihr plötzlich gleich einem Freudschen Bäuerchen.“
1953 trennen sich die Wege der Schwestern, Helga zieht nach Gmunden, Inge nach Wien, beide arbeiten als Kindermädchen. Der Unterschied ist: Helga „passt auf die Kinder auf und die Inge, dass sie keine kriegt. Sie hilft dem Doktor in den Mantel, die Inge dem Professor heraus.“ In solch rasantem Stacheldraht-Parlando mit schmerzend schartigen Enden geht es durchs ganze Buch. Und durchs Leben der Omama, die noch 1989 mit dem Fall des Eisernen Vorhangs geschäftstüchtig über Grenzen hin- und her handelt. Es gibt reichlich Außerordentliches, Abwegiges, Abstruses, Absurdes, gern auch Anal- und Ausscheidungsfixiertes inklusive intendierter Vulgarität. Immer wieder werden den Sätzen provokante Sager eingepflanzt, die Tonlage ist durchgehend von pfeffriger Mokanterie. Kein Wunder, dass der Wiener Zsolnay Verlag, ohnehin in letzter Zeit schreibenden Prominenten aus Österreichs Kulturlandschaft zugeneigt, ob André Heller oder Hubert von Goisern, dieses Buch verlegen wollte.
Die Mitleidlosigkeit kehrt am Ende wieder, noch rabiater, und trifft nun die inzwischen hochbetagte Großmutter. Das Feindbild vom alten, weißen Mann, gedankenlos die Welt und jede Mitmenschlichkeit belastend bis zur heillosen Zerstörung, ist hier gewendet zur alten, weißen Frau alias Omama, die Fernreisen mit riesigem Kohlendioxid-Fußabdruck bucht, die ihr Leben lang rassistisch ist und sexistisch. Denn verbiegen, nein, das lässt sich die Omama eben nicht. Es gibt ja genug weinerliche Altexistenzen auf der Welt. Einer dieser tristen Figuren, einem verblühten Kapitän eines Kreuzfahrtschiffs, legt Eckhart einen jammervollen Monolog in den wässrigen Mund, sein Publikum: alte, noch stärker verblühte Passagierinnen. „Von uns Männern“, echauffiert sich kraftlos der Schiffslenker, „wird erwartet, dass wir uns immerzu bekämpfen. Doch Gott verzeih’s mir, dass wir uns lieben! Das heißen sie ein Verbrechen! Nur in der Schlacht dürfen wir uns begegnen. Nur im Krieg dürfen wir uns berühren!“ An dieser Stelle hieße es im Live-Kabarettprogramm in Eckharts geschliffen anti-sentimentalem Schönbrunner Kunstdeutsch: Eh!

Prosa aus dem Nebenreich einer synthetisch fabrizierten Kunstfigur, ein Roman aus dem Abgrund namens Lisa Eckhart. Es wird für die Zukunft interessant zu beobachten sein, wie und ob sich Lisa Lasselsberger von „Lisa Eckhart“ abnabeln und emanzipieren wird. Und wie weitere Bücher ausfallen werden.

Lisa Eckhart Omama
Roman.
Wien: Zsolnay, 2020.
384 S.; geb.
ISBN 978-3-552-87201-5.

Rezension vom 26.11.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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