#Roman

Ohne Schmerzen

Rüdiger Opelt

// Rezension von Barbara Angelberger

oder Die Suche nach den Gen-Tätern.

Rüdiger Opelts Buch ist auch als ein Beitrag zum Gedenk/Gedanken-Jahr zu verstehen. „Es will zeigen,“ so der Autor, „was Gewalt in den Seelen anrichtet und wie die Kriminalgeschichten der Gegenwart mit den Verbrechen der Vergangenheit verknüpft sind.“ (S. 7)
So schlägt Opelt eine Brücke vom Linz des Jahres 1991 ins Protektorat Böhmen und Mähren und von dort wiederum in die knapp vor dem Zerfall stehende Sowjetunion des Herbst 1991. Die verschiedenen Zeitebenen stehen kapitelweise nebeneinander, um am Schluss ein zusammenhängendes großes Ganzes zu ergeben.

Kurz und fragmentarisch zum Inhalt: nach dem Aufwachen aus einem bleischweren Alkoholschlaf findet der junge Psychologe Rafael Makord neben sich im Bett eine Leiche. Sie ähnelt Vera, der jungen Frau, die er liebt – allerdings ist die Ermordete 20 Jahre älter als die Geliebte. Wie das? Erraten – die Geliebte ist Tochter der toten Mara.
Mutter und Tochter haben einander allerdings nie kennen gelernt, da Mara als Aktivistin des Prager Frühlings vom KGB in die Sowjetunion deportiert wurde, als Vera noch ein Säugling war. In der Sowjetunion wurde Mara in eine psychiatrische Klinik gesteckt und dort als Testperson für Schmerz-Versuche missbraucht.
Interessanterweise ist diese Versuchsreihe bereits von den Nazis begonnen worden. Und hier nun kommt der Vater des jungen Psychologen ins Spiel: Albert Makord (vormals Adolf Markosky), mittlerweile pensionierter Primar in Linz und in den besseren Kreisen der Stadt fest verankert, war – was sein Sohn nicht weiß – Lagerarzt in Theresienstadt und Initiator des vom KGB fortgeführten Schmerz-Experiments gewesen. Zu den von ihm gequälten weiblichen Insassen hat auch Maras Mutter gehört.
Herauszufinden, wie die Zusammenführung von Opfer- und Täterfamilie nun endet, sei den LeserInnen überlassen.

Opelt, der als klinischer Psychologe und Psychotherapeut arbeitet, geht es in seinem Kriminalroman nicht nur darum, aufzuzeigen, „welche Traumata der Vergangenheit unser heutiges Verhalten prägen“, er möchte auch „ein Psychogramm einiger fiktiver Täter des Zweiten Weltkriegs erstellen“. Ein solcher Täter ist der bereits oben erwähnte Makord. Der arrogante, gefühllose Technokrat war in seiner Jugend ein sensibler Mann gewesen, beseelt vom Wunsch Schmerz auszuschalten. Dass er sich schließlich ganz den Nazis verschrieb und sein Wunsch für andere Menschen – allen voran Maras Mutter – zum Fluch wurde, liegt vor allem am Verlust des Bruders. Der war, als persönlicher Adjutant Heydrichs, beim Attentat auf den Reichsprotektor ums Leben gekommen.
„Adolf war wie betäubt. […] In dieser tiefsten Einsamkeit rettete sich Adis Seele durch ein magisches Ritual. Adi verschmolz innerlich mit dem toten Bruder. Hermanns Geist sprang auf ihn über und das Vermächtnis des Bruders würde durch ihn weiterleben. Adi nahm Hermanns Eigenschaften in sich auf: die Entschlossenheit, die Kühnheit und die kritiklose Hingabe an den einmal beschlossenen Plan. In seinem Schmerz um den toten Bruder übernahm Adolf dessen rassistische Gedanken.“ (S. 48)

Das Zitat macht möglicherweise bereits deutlich, was das Hauptproblem des Krimis ist: seine holzschnittartige Figurenzeichnung und die zuweilen ans Irrwitzige grenzende Konstruiertheit der Handlung. Die ProtagonistInnen bleiben seltsam fremd, papieren, leblos. Sie dienen dazu, die Thesen des Autors zu illustrieren. Die Handelnden geben in ihren Dialogen gar zu plakative Phrasen von sich.
„Jetzt siehst du, wohin man kommt, wenn man auf alle Werte spuckt, die uns Deutsche groß gemacht haben. Du mit deiner Gefühlsduselei, ohne Manneszucht, ohne Disziplin, die Triebe gehen mit dir durch. Kein Wunder, wenn man glaubt, aus Trieben eine Wissenschaft machen zu können, wie dieser Jude Sigmund Freud. Alles unwissenschaftliches Geschwafel, diese sogenannte Tiefenpsychologie, der du dich verschrieben hast. (Adolf Makord zu seinem Sohn S. 26)
Zudem wird in die Dialoge gerne auch noch Sachinfo gepresst, sodass der Eindruck entsteht, die Personen sprächen nicht miteinander, sondern für die LeserInnen: „[Veras Mutter] war Aktivistin im Prager Frühling 1968, als es darum ging, die Russen loszuwerden und einen Kommunismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen. Dafür konnte sich die Mutter begeistern und wäre Dubcek, der damalige Chef der tschechoslowakischen kommunistischen Partei am Ruder geblieben, dann hätte sie es vielleicht weit gebracht. Wie wir aber alle wissen, wurde der Prager Frühling von den Russen niedergewalzt und trotz anfänglichem Widerstand der tschechischen Bevölkerung gewannen die Stalinisten unter Husak schließlich die Oberhand.“ (Rafael Makord über seine Freundin Vera, S. 53)

Opelt meint es gut mit seinem Lesepublikum. Er will ihm allerhand geschichtliches und psychologisches Wissen (wie funktioniert Übertragung!) angedeihen lassen. Leider ist dabei das Erzählen auf der Strecke geblieben.
Auch dass am Ende des Romans der CIA auf den Plan tritt, um mit Hilfe von Makords kruder Studie schmerzunempfindliche Killermaschinen zu züchten, um „der ganzen Welt die Überlegenheit von ‚Gods own country‘ zu demonstrieren“ (S. 220), ist des Guten ein wenig zu viel.
Weniger wäre mehr gewesen.

Rüdiger Obelt Ohne Schmerzen
Kriminalroman.
Wien: Czernin, 2005.
224 S.; brosch.
ISBN 3-7076-0061-0.

Rezension vom 13.07.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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