#Roman

OFT MANCHMAL NIE

Cornelia Hülmbauer

// Rezension von Evelyn Bubich

Warum starb John Lennon? Lag seinem frühen Tod gar ein Pakt mit dem Teufel (vielleicht mit dem Namen Yoko Ono?) zugrunde? Wie formt man – als Frau – am besten seine Hände beim Gemüseschneiden? Was liegt einem Mädchen im Handarbeitsunterricht wohl näher, als ein Babyjäckchen zu stricken? Kriegt eine Frau einmal keinen Mann, wenn ihr das Tortenstück am Teller umfällt – oder vielleicht eine böse Schwiegermutter, wenn sie am Tisch direkt an der Ecke sitzt?

Die Welt war einmal voller Märchen (und ist es immer noch), vor allem, wenn man als Mädchen in der österreichischen Provinz aufgewachsen ist, in den Achtziger- und Neunzigerjahren, an einer Bundesstraße, als die Uhren noch anders tickten, im Autoland Österreich; »mein erstes wort auto«, so die Ich-Erzählerin – offensichtlich ist sie nicht die Einzige mit diesem sogenannten Erweckungserlebnis (das sie sich bestimmt nicht ausgesucht hat), wenn auch sich dessen Verarbeitung im Unterbewusstsein von Mensch zu Mensch verschieden gestaltet … Und nein, so anders ticken die Uhren heute dann auch nicht, nur Bühnenbild und Schauspieler:innen haben ihr Aussehen verändert.

Wie war das damals, als »ich« klein war, und der Vater mir einen Drachen gebaut hat, den ich dann aber aus meiner Hand gleiten ließ, und ich später aus dickem Papier ein Buch bastelte, dem ich den Titel »MEINE HEIMAT« gab, die Mutter aber nicht mochte, dass die schönen fotos so fest in dem buch klebten? »heimat heißt aber etwas anderes, sagte sie.«
In oft manchmal nie blickt die Autorin Cornelia Hülmbauer sehr weit in ihre eigene Kindheit, ihre eigene »HEIMAT« zurück – eine Definition des Begriffes bleibt aus, ohnehin hat jede:r ihre:seine eigene. In kurzen, fragmentarisch aneinandergereihten Sequenzen führt sie mit krasser Unmissverständlichkeit und abseits jedes sprachlichen Ausschmückens vor Augen, wie es damals sein konnte, wenn man ein Mädchen und die Dinge nicht zu hinterfragen waren. Und das tut sie mit viel Einfühlungsvermögen, denn viel Schmuck war da nicht, vielleicht mehr Lametta, aber das auch nur auf einem Weihnachtsbaum, und mittlerweile weiß man, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Und auch was Heimat heißt, wenn es etwas anderes heißt als auf Fotopapier festgehaltene und darauf glänzende Momentaufnahmen, wird die Mutter nicht beantworten, auch der Vater wird es nicht tun. Der leitet eine Werkstatt, mit der er für den Unterhalt der Familie sorgt, und auch das scheint nicht immer problemlos zu gelingen, denn die meisten fahren »zum großen autohaus in der stadt«; als Landflüchtiger wird einem ja auch schon mehr Achtung zuteil, wenn man nur mit dem Autobus dorthin zur Arbeit fährt, dann ist man auch schöner angezogen als die anderen, und hat »einen freund im nachbarort, fügte sie [die mutter] in einem geheimnisvollen Ton hinzu«. Viel gibt es nicht zu berichten im Dorf, da klammert man sich an den Ereignisstrohhalm wie ein Ertrinkender – genauso wie an den Aberglauben, die heilige Hostie der Landbewohner:innen, die Antworten gleich lieber haben, als vorher Fragen zu stellen.

Hülmbauer wählt für ihren persönlichen literarischen Bericht mit unweigerlich viel Tatsachenreichtum, der auch exemplarisch ist für eine Dorf-Kindheit und -Jugend Ende des 20. Jahrhunderts, durchgehend die Kleinschreibung und äußert damit Kritik an jeder Art von Regelwerk, dem man gesellschaftlich schon früh ausgesetzt ist. Mädchen, die haben eben so und so zu sein, »zum schularzt mussten wir zu dritt hinein. nachdem er mich gewogen hatte, sah er mich an und sagte, du weißt es eh. er nahm mein handgelenk, zog mit zwei fingern seitlich an der haut, drückte sie bis ins darunterliegende fleisch zusammen, sah mich wieder an und sagte nichts mehr«. Damals war das harmlos. Kurz war man irritiert und hat es gleich darauf vergessen, erst Jahre, manchmal Jahrzehnte später fällt es einem mit einem Schauer über dem Rücken wieder ein. Mädchen mussten eben schlank sein, und sie durften nicht dreckig werden, »ein mädchen als lehrling konnten wir nicht haben [sagte der vater], weil wir dann zwei wcs gebraucht hätten. außerdem brauchte man bei der arbeit in der werkstatt viel kraft und wurde sehr dreckig. des is nix, sagte der vater«.

Die Einfachheit der Sprache reflektiert Kargheit, Simplizität, Funktionalität, ist Ausdruck von Zurücknahme, Sprachlosigkeit, »wenn d’eseln gaumpn, wird’s wetter schlecht, sagte die mutter, wenn der bruder und der vater rangelten. dann lachten alle … ein früher ausflug [der eltern], er kauft ihr ein vanilleeis, drei kugeln, sie mag kein vanilleeis. er sagt, dann schmeiß es weg«. Im Grunde hat man sich nichts zu sagen, Bauernregeln treten an die Stelle von individueller Aussage und Inhalt, man leitet von ihnen das Schicksal der Menschheit ab und hüllt sich selbst in Schweigen. Unprätentiös erzählt die Ich-Erzählerin von Banalitäten, Begebenheiten wie Alltagssituationen im Familienbetrieb, gemeinsamen Essen mit Verwandten, der Wiedergabe von Redewendungen, die Menschen dem Dialog untereinander vorziehen, um nicht (insbesondere unangepasst) aufzufallen, aus der Reihe tanzend, aufwieglerisch, nicht normal eben; »nie verrieten die eltern, wen sie wählen würden, wahlgeheimnis, sagte die mutter. und der vater sagte, wenn das geschäft einmal zu ist, ist schluss mit dem ganzen zirkus.«

Zusammengefügt zu einem Konglomerat ergeben die Ausschnitte einer Lebensgeschichte (wie viel davon fiktiv ist, ist der Autorin überlassen) jedoch ein Bild dessen, in welches Korsett mensch sich gesteckt hat, in welche verstaubten Schubladen, aus denen er nicht mehr herausfindet. Die Welt ist aber auch eine andere, oft, manchmal, nie, hat mensch (nicht) die Möglichkeit, sie für sich zu entfalten. Cornelia Hülmbauers Text ist mutig in seiner Art, etwas zu beschreiben, er pfeift darauf, zu beschönigen und literarisch aufzustocken; er schockiert ob seiner Nicht-Verfremdung. »wenn während der messe alle auf die knie gingen, ging ich auch auf die knie. durch meine schuld, durch meine schuld, durch meine große schuld. ich sagte nichts. ich klopfte mir aber mit der faust gegen die brust, wie alle. / manchmal spielte ich mit meinen barbies vergewaltigung. meistens wollte dann die freundin nicht mitspielen.«
Banalitäten eben – apropos, Vergewaltigung, früher auch ein harmloses Kinderspiel, gilt in – unserer Heimat – Österreich erst seit 1989 als Strafdelikt.

Cornelia Hülmbauer OFT MANCHMAL NIE
Roman.
Salzburg, Wien: Residenz, 2023.
192 S.; geb,
ISBN 9783701717705.

Rezension vom 20.03.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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