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Nur Du.Allein

Marlen Schachinger

// Rezension von Martina Wunderer

„Ich wollte dir nur sagen, ich habe Anna angerufen. Ihre Tochter heißt wirklich Lara, und wir werden einander morgen treffen…“ Mit diesen hoffnungsvollen Worten endet dieser wunderbare Roman, verstummt erneut, hüllt das noch Kommende, das Zukünftige, für das die soeben erzählten Episoden den Boden bereitet haben, in Schweigen.

 

Ich hebe langsam den Kopf, sitze noch einen Moment bewegungslos da, lausche dem Nachhall der Worte, will noch nicht Abschied nehmen von Nora, Mira, Julia und Lore, von Joana, Anna, Sophia, Jakob, Jan und Ben. Ich habe sie lieb gewonnen im Laufe der Lektüre, sie sind mir zu Freunden geworden, zu vertrauten Fremden. Es gibt sie, solche Bücher, die nicht enden sollten, die eine Lücke hinterlassen, gleich dem Abschied eines geliebten Menschen.

Vorsichtig schäle ich das Buch aus dem Schutzumschlag, neugierig auf diesen Roman der österreichischen Autorin Marlen Schachinger. Ein schmaler weißer Band kommt zum Vorschein, der mich in seiner Gestaltung unangenehm an Todesanzeigen erinnert. Nur Du.Allein, ohne Leerzeichen zwischen dem Punkt und dem A. Ein Versehen? Wohl kaum. Ich lasse meinen Finger zwischen die Seiten gleiten, blättere vor und zurück, ärgere mich bereits vorab über das unruhige Layout, rufe mich zur Ordnung: keine vorschnellen Urteile. Ich schlage das Buch auf der ersten Seite auf und beginne zu lesen:

„Für Bedryeh. Vor allem aber für dich, Taty, die du mir nicht mit verhüllendem Schweigen begegnest.“

Schon diese Widmung stimmt mich wieder versöhnlich, sie stimmt mich ein auf den zarten, luftigen, melancholischen Ton, der diesen Roman auszeichnet. Das verhüllende Schweigen, in das sich jede der vier Freundinnen, von denen die Rede sein wird, wie in einen Kokon einspinnt, soll gebrochen werden, Nora soll endlich all das Ungesagte, höchstens Angedeutete „beim Namen nennen“, fordert A’ishah. Und so beginnt Nora tastend, vorsichtig, dieses Verborgene zu erzählen, an dessen Beginn das verlorene Paradies steht, zerstört durch Unverständnis, Kurzsichtigkeit und blinden Hass.

Paradies Feuer Wasser Luft Lust Wandel Metamorphose Wiederkehr –

Nein, nur in der literarischen Fiktion ist ein versöhnliches Ende dieser vorausgeschickten schmerzhaften Episoden denkbar, die Wirklichkeit holt die Erzählerin und den Leser allzu bald ein.

WienWien wird nun zum Schauplatz der folgenden Ereignisse, mit seinen Cafés und Plätzen, Straßenzügen und Wasserläufen. Die Stadt figuriert gleich dem weiblichen Körper als verlockende Schöne, als Spiegel der Geliebten, gibt – verdichtet zu sinnlichen Bildern – dem Begehren, der Sehnsucht Raum, Wien, W., „Sinnlichkeit ist ihr zweiter Name.“ Der Stadtraum Wiens rahmt die einzelnen Episoden, die, nur scheinbar in sich abgeschlossen, vielfältig aufeinander bezogen sind, sich gegenseitig ergänzen, fortschreiben, erhellen. Wie raffiniert verstrickt, wie fein verwoben die einzelnen Erzählstränge sind, offenbart erst eine zweite Lektüre, erst dann beginnen die einzelnen Puzzleteile sich ineinander zu fügen, lassen sich die in der Gegenwart des Buches verschmolzenen Zeitebenen wieder chronologisch ordnen, lassen sich die Häute, die die Erzählerin Nora sich überstreift, die einzelnen Stimmen, mit denen sie spricht, unterscheiden:

„Wie viele Ichs macht sie sich zu eigen, um nicht ihres zu Wort kommen zu lassen?“ fragt sich Mira, Noras Freundin und Lektorin, während der Lektüre des Manuskripts. „Und ist dieses Verbergen für sie bereits Gewohnheit, wo zieht sie die Grenze? Steht sie vom Schreibtisch auf, und ist dann sie selbst, Nora? (…) Welches Nora-Ich treffe ich im Café? Und weshalb haben wir nie darüber gesprochen?“

Erneut die Frage nach dem Ungesagten, das jedoch auch in Noras Erzählungen nicht grob ans Licht gezerrt, nicht entblößt, nicht ausposaunt wird: die Wut über die gewaltsame Vertreibung aus dem Zuhause, die Trauer um den Tod der Geliebten, die Enttäuschung über zerbrochene Beziehungen, all die Verletzungen und Wunden, die Narben zurückgelassen haben, wie die Feuernarbe auf Noras Haut, sie sind nicht benennbar. Das Ausgesparte, es wird daher nicht beim Namen genannt, wie A’ishah es forderte, und damit zerstört, sondern behutsam in Worte gehüllt, die das Ungesagte, weil Unsagbare, schützend umgeben.

„Allein.“ lautet der Arbeitstitel, als Nora mit ihrer und der Geschichte ihrer Freundinnen beginnt. Doch indem sie zu erzählen anhebt und sich dabei an A’ishah, an ihre Leser wendet, durchbricht sie ihre Einsamkeit, öffnet sich ihrem Gegenüber und damit der Möglichkeit einer neuen Beziehung, einer neuen Liebe: „Der Wunsch, ein Du mit Geschichten zu bannen, zu binden, ist wohl so alt wie die Menschheit selbst; im Guten wie im Schlechten, Scheherezâd bis Vorleserin, erzähle ich dir.“
Nur Du.Allein.

Nur Du.Allein.
Roman.
Klagenfurt, Wien: Kitab, 2008.
147 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-902585-52-8.

Homepage der Autorin

Rezension vom 05.05.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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