Wovon die Texte sprechen, ist weder neu noch unbekannt, was aber nicht bedeuten soll, dass Leser und Leserinnen in Kärnten oder anderswo ihre Augen und Ohren davor verschließen sollen: die Texte der Kärntner Autoren und Autorinnen legen allesamt und jeder in seiner Weise geistige Kleinräumigkeit und Abhängigkeitsverhältnisse dar, den Fluch der Provinz, und das unbewältigte große Trauma der Kärntner Geschichte, die erzwungene Assimilation der Kärntner Slowenen. Insofern sind die Autoren, die in der Anthologie vertreten sind, Repräsentanten jenes ‚anderen Kärnten‘, das gegen das touristische Bild vom sonnigen Bundesland im Süden mit seinen mehr als sechzig Badeseen steht. Das Büchlein erfüllt auf eindringliche Weise den Zweck, eine gespaltene Kärntner Identität zu zeigen.
In ihrem Schreiben gegen die Grenze zwischen den Volksgruppen in den Köpfen der Menschen schreiten die Autoren und Autorinnen über die Grenzen zwischen den Sprachen des Landes hinweg. Alle zehn Texte sind sowohl auf Deutsch als auch in slowenischer Sprache dargeboten: sechs auf Deutsch verfasste Beiträge, von Fabjan Hafner und Marija Smolic ins Slowenische übersetzt, ein Beitrag aus dem Slowenischen ins Deutsche übetragen, drei Texte aus der Feder zweisprachiger Autoren. In den Wetschernitze / Vecernizze / Vecernice von Jani Oswald vermischen sich die Sprachen zu einem ‚Windisch‘, das statt der Dialektwelt der alten slowenischen Dialekte aber ein neumodisches Multikulti-Sprachenmischmasch zum Ausdruck bringt. Etwas Ähnliches steht am Anfang des Buches mit den ‚Listen der Wörter‘ (Leseprobe), Orientierungstafeln der Kärntner Biglottie. Wer immer als deutschsprachige/r Leser/in das Terrain betritt, stößt im Gestrüpp der ideologisierten Begriffe der deutschnationalen Sprachausrottung auf Tretminen, auf deutsche Lehnwörter in der ‚anderen‘ Sprache, welche die feindliche Übernahme, die hier stattgefunden hat, hinerlistig bestätigen – „KHD hajmatdienst„. Die vermählten Wörter führen eine Scheinehe, in Wirklichkeit hat die eine Partnerin die andere schon halbwegs zum Aussterben gebracht, die Wunden sind offen, davon reden die Texte, und als Mittel bleibt oft nur die Flucht.
Andrej Kokot beschreibt den Aufbruch in literarische Fantasiewelten als Flucht aus einer Realität, die er als slowenischer Kärntner Bauernbub bis zur Aussiedlung erlebt hat, anhand der drastischen Bedeutungsverwandlung des Worts „Herrschaft/Herrsoft“. Fabjan Hafner teilt Narrative des Kärntner Bruderkampfs in der ihm eigenen unverwechselbaren Form mit, zweisprachig in Vers und Strophe: was sich nämlich dort zuträgt, wo im Zentrum Klagenfurts „die 10.-Oktober-Straße und die 8.-Mai-Straße sich kreuzen“. Peter Truschner erzählt vom gescheiterten Versuch, die Leiche des Großvaters in den Kärntneranzug zu zwängen, also von der Heimatbekenntniszwangsverweigerung. Auch Antonio Fian ist mit einer Miniatur vertreten, Janko Ferk mit einer Hänsel- und Gretel-Adaption, immer wieder ist der sogenannte Volksgruppenkampf als Geschwisterkonflikt gestaltet. Corinna Soria experimentiert mit einer ‚windischen‘ – gemischten – Sprache, die reziprok übersetzt ist (die slowenischen Einsprengsel im deutschen Text als deutsche Einsprengsel im slowenischen Text). Lydia Mischkulnig wartet mit einer sarkastischen Parodie auf politische Mythologeme und Narrative der gestörten kollektiven Identität auf (Ödipus entrinnt dem zweiköpfigen Lindwurm, indem er die Köpfe gegeneinander aufbringt; Kärnten erhält eine Kopie in der arabischen Wüste). Maja Haderlap dekonstruiert den Mythos von Kralj Matjaz, dem verheißenen gerechten König, der die Slowenen einst befreien würde, und Christoph W. Bauer schließlich hat ein experimentelles globales Entgrenzungsgedicht beigesteuert.
Der Rezensent, ein eingeborener Deutschkärntner, hat über die rein-slowenischen Seiten des Büchleins hinweg geblättert; was hätte ich denn auch tun sollen? Auf den gemischen Seiten aber habe ich manches slowenische Schwesterwort buchstabiert – „da ward mir seltsam zumute; ich meinte nicht anders, als ob das Herz recht angenehm verblute“ (Heine) – und das Gefühl gehabt, man müsse in ganz Kärnten zweisprachige Ortstafeln aufstellen, nicht der Politik, aber der Geschichte und der Schönheit zuliebe.