#Sachbuch

Not a concrete pot

Ernst Jandl, Ian Hamilton Finlay

// Rezension von Wolfgang Straub

Es war eine sehr mutige Tat, als der junge Wehrmachtssoldat Ernst zu den Amerikanern überlief. Jandl rettete die Desertion nicht nur möglicherweise das Leben, die darauffolgende Kriegsgefangenschaft in den USA bis 1946 wurde zu einer zentralen Station der Lesekarriere des angehenden Dichters:

In der Bibliothek des Kriegsgefangenenlagers lernte er die Autoren der US-amerikanischen Moderne kennen, etwa Cummings, Sandburg, Hemingway oder Stein. Diese „Allianz mit der anglo-amerikanischen (Neo-)Avantgarde“ (Katja Stuckatz) vertiefte Jandl bei einer Teilnahme am „Salzburg Seminar in American Studies“ im Sommer 1950; 1952/53 verbrachte er ein Jahr in London. Diese biographische Grundlegung wurde für das Jandl’sche Werk sehr wichtig, und in diesem Blick weit über den nationalen Tellerrand hinaus begründet sich auch das internationale Netzwerk der Korrespondenz. Die Jandl-Forschung sieht in dieser Ausrichtung auf das Ausland oft eine Kompensation der mangelnden Anerkennung im deutschsprachigen Raum bis Ende der 1960er Jahre. Das übersieht allerdings – Jandls Selbstdarstellungen fortschreibend –, dass er wie kaum ein anderer Autor der Zeit in nahezu allen Zeitschriften und Projekten vertreten war.

Einer jener angloamerikanischen Künstlerkollegen, mit denen Jandl sich über einen längeren Zeitraum brieflich austauschte, war der gleichaltrige schottische Dichter und „Wortskulpturenkünstler“ (Hannesschläger) Ian Hamilton Finlay. Diese über zwei Jahrzehnte andauernde Korrespondenz liegt nun in einer umfassenden Auswahl vor, der der Verlag eine ansprechende äußere Form und typografische Gestalt gab. Die Herausgeberin Vanessa Hannesschläger spricht in der Einleitung davon, dass zwei Drittel des Briefwechsel ediert wurden. Der Umfang habe zu Kürzungen um ein Drittel gezwungen, zudem sei auf den „Austausch über intime Aspekte des Privat- und Familienlebens“ aus Schutz der Privatsphäre der Angehörigen verzichtet worden. Ergänzt werden die jeweils im englischen Original und in Übersetzung wiedergegebenen Briefe durch einen Bildteil, der einige mit Bildgedichten ergänzte Briefe Jandls sowie Finlays graphisch-bildnerische, mitunter ins Skulpturale reichende Textgestaltung sehr schön vor Augen führt.

Die Korrespondenz setzt 1964 mit einem Brief Jandls ein, der Eugen Gomringer, den „Vater“ der deutschsprachigen Konkreten Poesie, als Mittelsmann angibt. Jandl hält sich nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln auf: Gomringer habe ihm Arbeiten Finlays gezeigt, er arbeite seit acht Jahren „on a similar line“ und werde Finlay seine neuesten Arbeiten schicken. Jandl macht klar, dass es ihm um den Zusammenschluss, den Austauschen von „Konkreten“ gehe; er schreibt – im einzigen auffällig verqueren englischen Ausdruck der Korrespondenz, von einer eigenen Menschengattung, von „people like we“. Für Jandl war der Kontakt zu Finlay nur ein Teil seiner internationalen Vernetzung (auch nur ein Teil seiner britischen Briefpartner). So korrespondierte er mit Mitgliedern der brasilianischen „Noigandres“-Gruppe (den „Erfindern“ der Konkreten Poesie) oder mit Dichtern in der Tschechoslowakei, wo es eine starke Bewegung des Konkreten gab. Finlay und Jandl gingen unterschiedliche künstlerische Wege, aber die Entschriftlichung und die anfangs mangelnde Anerkennung ihrer Arbeit in ihren Herkunftsländern verband sie: „The rather isolated position in which, I think, most writers of concrete (and perhaps of all non-traditional) poetry find themselves is somewhat relieved by the knowledge that there are friends in many parts oft he world with whom one can in some way or other communicate even if one cannot meet them in person.“

Schreibt Finlay Anfang 1965 davon, dass es Anzeichen für ein Ende der „springtime of concrete“ gebe, ist Jandl zuversichtlicher. Er sieht Querelen und Auseinandersetzungen als Indiz für die Lebendigkeit ihrer Sache. Und im Gegensatz zu Finlay konnte Jandl Mitte der Sechziger auf große internationale Erfolge verweisen. Seine Arbeiten wurden weltweit in Ausstellungen gezeigt; 1965 ging er auf eine ausgedehnte Lese- und Vortragsreise nach Großbritannien. Finlay und Jandl haben sich während dieser Reise offensichtlich nicht gesehen: Hier wäre eine kurze Erklärung zu diesem naheliegenden Umstand in einer Fußnote für den Leser angenehm gewesen, zumal just aus diesen Monaten Jandls Briefe nicht abgedruckt sind. Vielleicht wären hier Regesten, also kurze Zusammenfassungen des mitteilbaren Briefinhalts, eine Möglichkeit gewesen. So muss der Leser, die Leserin mit leeren Anspielungen wie „thank you for your very nice letter“ umgehen.

Finlay nimmt im Juni 1965 Bezug auf Jandls “ GREAT READING“ und schreibt ihm ein kleines Gedicht, das nur aus dem Buchstaben „l“ besteht – weil Jandl die Lesung so „well“ hinbekommen habe. Es ist schwer vorstellbar, dass Finlay in seiner schottischen Landeinsamkeit völlig ohne Neid auf Jandls Hauptstadterfolg blickte: Er las bekanntlich im Juni 1965 in der Royal Albert Hall als einziger Deutschsprachiger auf der „International Poetry Incarnation“ vor 7000 Leuten und wurde zum Lieblingsinterpreten des Publikums (Jandls Auftritt kann man anhand von Peter Whiteheads Dokumentarfilm „Wholly Communion“ im Netz verfolgen). Im Juli meint Finlay, nun sei Jandl „truly back in Vienna and far from triumphant Albert Halls“.

In dieser Anfangszeit der Korrespondenz ist der Austausch intensiv und häufig, man beurteilt die Kollegenschaft, berichtet von der eigenen Arbeit und den mangelnden Veröffentlichungsmöglichkeiten (Jandl: „Isolation: no letters, no publication of concrete poetry from anywhere“). Jandl versucht in diesem Jahr auch, Finlays Faible für Heidegger zu hinterfragen und ihm von der Veröffentlichung von Heidegger-Gedichten abzubringen. Zugleich bekundet er Ende 1965, nicht auf Finlays „thoughts about poetry etc.“ einsteigen zu können, für ihn seien Philosophie, Ideologie und Ästhetik nur Ablenkungen von der eigentlichen poetischen Produktion.

1966 plant Finlay eine Ausgabe seiner Literaturzeitschrift („POTH“, „Poor. Old. Tired. Horse.“) nur mit übersetzten Jandl-Gedichten. Jandl zeigt sich anfangs geschmeichelt und macht Vorschläge zur Textauswahl. Nach Monaten aber, „after long and careful consideration“, zieht er die Gedichte zurück. Es wären Texte aus der 1956 erschienenen Sammlung „Andere Augen“ gewesen, und im Jahr des Erscheinens von „Laut und Luise“ will der nun progressive, konkrete Jandl nicht mehr mit dem konventionellen Frühwerk in Zusammenhang gebracht werden. Für den POTH-Herausgeber Finlay war das sicher eine niederschmetternde Nachricht, ein Vertrauensbruch – und die Korrespondenz wird denn auch ab da an kühler, zurückhaltender. Hinzu kommt, dass Jandls literarische Karriere nun bergauf geht, während Finlay im September 1967 von einem „poor year“ schreibt.

So sind die ersten eineinhalb Jahre der Korrespondenz eindeutig die interessanteren, sie machen auch gut die Hälfte des Buchumfangs aus. 1984/85 kommt es noch einmal zu einem kurzzeitigen Anschwellen der Korrespondenztätigkeit. Finlay wird vom „20er Haus“ in Wien eingeladen, ein Skulpturenprojekt im Schweizer Garten zu realisieren und holt sich bei Jandl Rat für die Übersetzung seiner später auf Stelen in einem kleinen Birkenhain platzierten Kurzgedichte. (Leider gibt es keinen Hinweis im Buch auf den Verbleib der „Gedichtskulpturen“ Finlays.)

Einzelne Nuancen bei der Übersetzung könnte man diskutieren, und es verwundert, warum die Auslassungspunkte, die Finlay in den 1960ern gerne und gehäuft verwendet, in der Übersetzung ganz anders und inkonsequent wiedergegeben werden. Aber das sind peanuts. Alles in allem ein schönes, ein für die Jandl-Forschung und für Jandl-Aficionados unentbehrliches Buch. Wir sind Jandl dankbar, dass er seine eigenen Briefe mit Durchschlag getippt und aufgehoben hat. Thank you, Ernst!

Ernst Jandl, Ian Hamilton Finlay Not a concrete pot
Hg.: Vanessa Hannesschläger.
Briefwechsel 1964-1985.
Wien, Bozen: Folio, 2017.
232 S.; geb.
ISBN 978-3-85256-702-0.

Rezension vom 31.01.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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