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Niemandsland

Hans Weigel

// Rezension von Walter Wagner

Im Zuge von Recherchen für ihre Diplomarbeit stößt die Germanistin Veronika Silberbauer in der Wienbibliothek auf ein bislang unbekanntes Manuskript von Hans Weigel. Das Konvolut trägt keinen Titel und ist vom 14. Mai 1938 datiert. Selbst engen Freunden ist die Existenz dieses Weigel-Textes unbekannt, der uns einen jungen, an seiner Begabung noch zweifelnden Autor nahe bringt. Elfriede Ott und Veronika Silberbauer, die jeweils ein Vor- bzw. Nachwort beigesteuert haben, verdanken wir die Herausgabe des Romans.

Etwas unglücklich scheint allerdings die Wahl des Untertitels: Ein autobiographischer Roman weist den Leser schon auf dem Umschlag auf die Ähnlichkeit zwischen dem Helden und dem Autor hin. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Weigel mit dieser Gattungsbezeichung zufrieden gewesen wäre. Wozu einen „Roman“, der einen so genannten fiktionalen Pakt anbietet, mit dem Attribut „autobiographisch“ versehen, das eine nicht fiktionale Lesart vorschlägt? Wozu sollte sich der Autor hinter der Figur „Peter“ verstecken – gleichsam als ob dieser nicht mit Hans Weigel identisch wäre -, um dann zu betonen, dass es sich doch um den Verfasser, nämlich Hans Weigel, handelt?

Vexierspiel oder nicht, das vorliegende Buch lohnt allemal eine nähere Auseinandersetzung. Niemandsland erzählt die Ereignisse von Hitlers Machtergreifung 1933 bis zu seinem Einmarsch in Österreich. Im Mittelpunkt der Handlung steht der vielseitig begabte Schriftsteller Peter. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung ist er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland gezwungen, das Land zu verlassen. Seine Freundin Käthe, eine Arierin, bleibt im Land, während Peter in seine Heimatstadt Wien zurückkehrt, wo er für Kabarett und Theater schreibt.

Von patriotischem Eifer erfüllt, glaubt er, wenigstens literarisch seinen Teil zur Rettung des gefährdeten Österreich beitragen zu können. Durch einen glücklichen Zufall lernt er den Musiker Alfred kennen – eine Begegnung, aus der sich eine für beide fruchtbare menschliche und künstlerische Beziehung entwickelt.

Trotz der Gefahr, die eine Liaison mit einem Juden birgt, entschließt sich Käthe, Peter nachzureisen. Aber auch in Österreich können sie sich auf Dauer nicht sicher fühlen. Nach dem Anschluss wird die Lage für die Protagonisten lebensbedrohlich. Während Alfred festgenommen wird, machen sich Peter und Käthe getrennt auf den Weg ins „Niemandsland“. Der Ausgang der Flucht bleibt ungewiss.

Weigels fiktionalisierter Bericht stellt eine hellsichtige Analyse jener Jahre dar, die den allmählichen Verlust der Souveränität Österreichs vorbereitet haben. Er zeigt die fortschreitende nationalsozialistische Unterwanderung der heimischen Politik, denunziert die Lähmung des kulturellen Lebens und den Verlust einer kritischen Presse. Er macht aber auch klar, welche Macht eine Minderheit politischer Extremisten über eine Mehrheit lethargischer Bürger auszuüben vermag. Wo mit Entschlossenheit und Einheit gegen Einschüchterung und Gewalt hätte vorgegangen werden müssen, wurde mit Nachsicht und falsch verstandener Toleranz geantwortet, so Weigels implizites Resümee.

Die rührselig-sentimentalen Dialoge und das üppige Pathos mögen bisweilen peinlich berühren, gleichwohl nimmt der Roman als Chronik einer unruhigen Zeit den Rezipienten gefangen und lässt ihn bis zum Schluss nicht los. Weigels leidenschaftliches Bekenntnis zur Heimat vermittelt uns dabei nicht nur historische Einsichten, sondern zeichnet auch ein subtiles Porträt der österreichischen Seele, in dem wir uns nur ungern wiedererkennen.

Niemandsland.
Ein autobiographischer Roman.
Wien: Amalthea Verlag, 2006.
283 Seiten,; gebunden.
ISBN 3-85002-571-3.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 13.09.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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