#Roman

Nidri

Christian Futscher

// Rezension von Petra Nachbaur

Urlaub total.

Jetzt, wo es früh dunkel wird und spät erst wieder hell, jetzt, wo die winterliche Kälte schon überfällig ist und nur darauf wartet, uns plötzlich aus dem schleichenden Nebel heraus klirrend zu treffen, da ertappen wir uns dabei, auf den Ladentischen der Buchhandlungen verlegen und sehnsüchtig nach Titeln wie „Lanzarote“ oder „Nidri“ zu schielen. Ersteres kommt großformatig und im Schuber daher, und mit sehr prominentem Autornamen versehen. Zweiteres fühlt sich mit geschlossenen Augen an wie eine halbe Portion von „Pippi in Taka Tuka Land“ – gleiches Format, knapp halber Umfang und damit, obwohl gebunden, eines der leichtesten Bücher der Saison!

Diese schwer beeindruckende Leichtigkeit gibt dem Griechenland Christian Futschers schon einen Startvorteil gegenüber dem gar so feinen insularen Spanien Michel Houellebeques: Es ließe sich wirklich problemlos verstauen und mitnehmen ins Flugzeug oder aufs Schiff, und es läßt sich auch gut und passend mitnehmen auf die Bahnfahrt zum Basislager des Weihnachtsfeierns. Denn Futschers kanariengelber „Urlaub total“ ist mit seinen gut und guten hundert (kleinen!) Seiten ein sehr bemerkenswertes Stückchen Urlaubslektüre und Urlaubsécriture, ein gleichzeitig lockeres und dichtes Beispiel selbstreflexiv witziger Reiseliteratur.

Dabei erfahren wir über das Ziel dieser Reise, Nidri und Umgebung, über „Land und Leute“ wenig. Ziel dieser Reise ist ja eigentlich, ein Buch zu schreiben, und so ist diesmal zur Abwechslung das Ziel (aus dem Tourismusprospekt) nur der Weg.
Im Gegensatz zum herkömmlichen Reisenden, auch im Gegensatz zu seiner Begleiterin, hat der Autor des vorliegenden Reiseberichtes und Reiseberichtberichtes kein volles Buch, Marke Schmöker, mitgenommen, sondern eines mit leeren Seiten. Daß dieses zuletzt in irgendwelcher Hinsicht sein Ferientagebuch von ca. 26 Jahre früher übertreffen möge, könnte eine der Ambitionen des Schreibenden sein – immerhin ist auch dieses Sehrfrühwerk, gezählte drei „Große Ferien“-Tage anno ’71 konsequent durchgehaltenes Protokoll, am Beginn des Bandes abgedruckt. Österreichischer Urlaubsort, österreichische Bahnstation, Hotel-, Gasthaus- und ein sich mit dem realen des Autors deckender Brudername streuen Authentizitätsschnitzerln aus, die auch auf den wirken, der nicht auch selber vor Jahrzehnten ein Feriendreitagebuch mit Auflistung kulinarischer Ereignislosigkeiten geführt hat.

Dieser einführende Teil gibt sich quasi linear transkribiert. Auf Seite 15 geht’s dann endlich gen Süden, und nach einem Motto von Dominik Steiger sagt uns die Zwischenüberschrift „Das Buch“, wo’s langgeht. Nämlich Richtung Lesen und Schreiben, übers Lesen Schreiben und übers Schreiben Schreiben, Richtung im Urlaub Lesen und im Urlaub Schreiben, Richtung im Urlaub übers Lesen und im Urlaub übers Schreiben Schreiben. „Sie geht ins Wasser, während er schreibt: Sie geht ins Wasser. Sie schwimmt, während er schreibt: Sie schwimmt, während er schreibt.“ (S. 78) – Der Autor und Urlauber als Kronzeuge des Schreibprozesses.
Dieser Prozeß wird nämlich in der Tat protokollarisch, beinah schriftführerisch dokumentiert. Von Hand, so die Erzählsituation, „live“ und „vor Ort“ in das ehemals leere Buch eingetragen und dann, zurückgekehrt, für den Druck abgetippt und praktisch „unredigiert“ (so zumindest die – glaubwürdige – Behauptung) transkribiert, samt Auslassungen, durchgestrichenen Passagen, „Fehlern“, Abkürzungen und so weiter. Das verleiht dem ganzen Band mit dem poppigen Umschlag und dem auf textkritisch aufgemascherlten „eckige Klammern“- Layout samt „Anmerkungen“ im Anhang einen paradoxen Charakter.

„Urlaub total“ sagt also wohl vor allem etwas über die Perspektive dieses Mitteldings zwischen „Last Minute“- und „All inklusive“-Text. Auch das mitgebrachte Lesematerial (also doch nicht nur das eine, leere Buch!), je drei Titel für „ihn“ und für „sie“, wird herangezogen, die ersten Sätze, die letzten Sätze, fragmentarisch Vorgelesenes dazwischen. „‚Das ist Sagte- er-und-zündete-sich-eine-Zig.-an-Literatur!‘ sagte er und zündete sich eine Zigarette an.“ (S. 16)
Dennoch ist dieses Büchlein nicht nur Metatext. Auch Metaxa und co., die gängigen Urlaubsfreuden – Stranddialoge, Bankomatversager, Körpertaxierungen, Speisekarten lesen, Postkarten schreiben, – und Spielregeln („Das ist hier so OUZO!“) werden hinlänglich aufgezeichnet. Dabei fällt Futscher kaum ins satirische Urlauber-Geißeln à la Gerhard Polt. Dafür sind „Walter u. Susanne“, die potentiellen ProtagonistInnen der Feriengeschichte, dem urlaubenden Autor im Selbstversuch und seiner auch nicht naiven Freundin zu nahe. Da kommt dann also durchaus so manche kritische und selbstkritische Bemerkung daher, andererseits ist auch der Urlaubs- und UrlauberInnen- Zynismus bereits ein Topos und wird als solcher dokumentiert.

Dennoch steht als wichtigstes das Dilemma des Schreibens im Mittelpunkt – und das sich Aufreiben zwischen breitenwirksam belletristischem Anspruch (der sich aufdrängt angesichts der ins internationale Handgepäck wandernden Bestseller) und Nischenliteratur – ist es doch gerade im Urlaub verbindliches Thema, „Geheimtips“ zu entdecken, die leeren Buchten, einsamen Strände und verlassenen Bergdörflein, die als „Nischen“ zumindest imaginativ dem entsprechen, was sich in der Literatur in den Fünfhunderter-Auflagen abspielt. „Kein Schwein liest hier Zauner, Glück, Hell, Priessnitz, Czernin, Schmatz und Donhauser, alle nur King, Konsalik, Heineken, Amstel und Homer.“ (S. 36) Da drängt sich die Analogie auf: Kein Schwein schreibt hier Zauner, Glück etc. – Näher ist Futscher aber, bei aller Gegensätzlichkeit, die von seinem vorwitzigen Humor und sehr smarten Ansatz her rührt, auf jeden Fall der ersten Gruppe; und so ist er eben auch bei Droschl gelandet und nicht bei Diogenes, Griechenland hin oder her und retour.

Kernstück von „Urlaub total“ ist eine auf Seite 55 beginnende Liste „Was man alles am Meer machen kann:“
Die Form der strengen Aufzählung ist unterwandert, schiebt der Autor doch immer wieder andere Beobachtungen, Sub-Listen usw. ein, um nachher in der Liste fortzufahren und dort, komprimiert, Beobachtungen, Vorschläge und sich selbst ad absurdum führende „Tips“ zum besten zu geben. Da kommen „Schreiben“ und „Ein Buch lesen (z. B. ein ätzendes über BEACH PEOPLE)“ immerhin erst gute zwanzig Seiten später daher, unter Punkt 30 und 31. Bis 37 geht die Liste noch weiter, dort wird dann George Perec angerufen unter dem Vorsatz „Freiwillig aufhören.“ (S. 81). Na gut, von mir aus.

Christian Futscher Nidri
Roman.
Graz, Wien: Droschl, 2000.
109 S.; geb.
ISBN 3-85420-549-X.

Rezension vom 29.12.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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