#Roman

Nichts für ungut

Maria Benedickt

// Rezension von Arno Rußegger

Der Titel des Buches könnte durchaus als Motto für die bisherige, seltsam zwiespältig verlaufene Karriere der Autorin dienen. Denn einerseits ist es Maria Benedickt zwar gelungen, ihre Romane von Anfang an in einem renommierten bundesdeutschen Verlag zu publizieren, andererseits hat man im Literaturbetrieb diesem Umstand bisher im Großen und Ganzen kaum Beachtung geschenkt.

Zu Unrecht, wie gerade die vorliegende Geschichte beweist. Darin geht es um eine Frau, die vermutlich „nicht mehr jung sein kann. Bürgerliche Existenz, unauffällig. […] Nein, Familie hat sie nicht.“ (S. 16) Die Ich-Erzählerin stellt sich als überaus charmant, gewitzt, mitfühlend, wohlbestallt dar, und man glaubt ihr alles aufs Wort – ungeachtet der Tatsache, dass sie einen gravierenden Charakterfehler hat, den sie gar nicht zu verschleiern trachtet wie vieles andere: Sie ist nämlich, sozusagen von Berufs wegen, Diebin und wird international von der Polizei gesucht. Auf einem Raubzug hat sie, in einem kurzen und für sie selbst überraschenden Anflug von Gedankenlosigkeit, in einem Hotelzimmersafe eine Brosche aus eigenem Besitz vergessenen. Um ihren Verfolgern nur ja kein Indiz bezüglich ihrer Existenz zu liefern, versucht sie nun, das Schmuckstück zurückzubekommen, koste es, was es wolle. Das hat natürlich eine Reihe von Verwicklungen und wirklich spannend geschilderten Ereignissen zur Folge. Denn unter ihrer Klientel befinden sich, wie sie erkennen muss, nicht nur gutgläubige, materialistisch gesinnte, aber normalerweise harmlose Mitmenschen, sondern mitunter der eine oder andere Mörder, der sich ungern ins Handwerk pfuschen lässt…

Was den vorliegenden Roman aus der aktuellen Masse von Geschichten über Verbrechen und Verbrecher, Detektive und Kommissare, Schuld und Sühne heraushebt, ist nicht der Plot an sich, obwohl es eine Fülle von originellen Wendungen gibt und die Protagonistin ihre dubiosen Geschäfte mit geradezu emanzipatorischer Ambition zu betreiben versteht (weshalb der Fischer Taschenbuch Verlag wohl die Reihe „Die Frau in der Gesellschaft“ mit dem Band ziert). Der eigentliche Clou des Ganzen ist der originelle Stil, dem es zu verdanken ist, dass die Krimi-übliche Mehrfachverknotung der Handlungsfäden noch eine weitere Steigerung erfährt. Viele Details werden nämlich variabel gehalten und so erzählt, dass uns dauernd in Erinnerung gerufen wird, wie fragwürdig der Realitätsbezug von Worten ist. Das semiotische Problem der Ambiguität von Repräsentationssystemen wird hier auf leichthändige und unterhaltsame Weise gefasst. Was immer also an realistischen Elementen und Gesellschaftskritik in den Text einfließt, wird gleichzeitig augenzwinkernd einer Poetik unterworfen, die umso mehr das Spielerische jedes literarischen Tuns hervorhebt, als wir Leser permanent und explizit herausgefordert werden, uns unsere Geschichte letztlich selbst zusammenzubauen. Man findet sich unversehens in der paradoxen Position wieder, einerseits als Komplize, andererseits als eine Art von moralischem Über-Ich zu fungieren.

Vorgegebene Figuren- und Rollenmuster wechseln ständig hin und her. Nicht einmal Alfred Hichcock hätte seine Gentleman-Gauner oder mit seelischen Abgründen behafteten Helden differenzierter zu gestalten vermocht, und die verlorene Brosche ist wie ein typischer „Mac-Guffin“, etwas, um das sich bei Hitchcock zwar alles dreht, das an sich aber völlig bedeutungslos, unverständlich und austauschbar ist wie zum Beispiel irgendeine Vertragsklausel, ein beliebiges Codewort oder eine mathematische Formel. Allein der Ich-Erzählerin lässt Benedickt mehrere divergierende Bestimmungen auf einmal zukommen: Sie lügt und deckt doch Wahrheit(en) auf; sie begibt sich auf die Jagd nach einem Killer und muss aufpassen, nicht selbst in einer Falle zu enden; sie hat Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, darf ihre Gefühle aber nicht ohne weiteres ausleben, ohne Gefahr zu laufen, unliebsam als Individuum in Erscheinung zu treten. Das Durchschauen und Verschleiern von Zusammenhängen gehen Hand in Hand. Mehr als einmal muss unsere Delinquentin über jene Schatten springen, die sie zuvor ihren verschiedenen Identitäten wohlweislich zugeordnet hat.

Maria Benedickt hat mit Nichts für ungut ein amüsantes Puzzle vorgelegt, dessen Rekonstruktion weniger Geduld erfordert und fördert als die Lust an sprachspielerischen Verfahren im weitesten Sinn.

Maria Benedickt Nichts für ungut
Roman.
Frankfurt: S. Fischer, 2001.
184 S.; brosch.
ISBN 3-596-14926-6.

Rezension vom 25.06.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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