#Prosa

Neun seltsame Frauen

Daniela Chana

// Rezension von Jelena Dabić

Der Titel des ersten Erzählbandes von Daniela Chana kann ganz sicher das einhalten, was er verspricht: hier hat man es mit neun Frauen zu tun, von denen die meisten – nicht alle – mehr oder weniger seltsam sind. Benannt sind die neun Kapitel mit den neun Musen des Apoll: von Thaleia (Komödie) bis Terpsichore (Tanz). Angesiedelt sind alle Geschichten in der Gegenwart und in Österreich, von einem Sommerurlaub in Griechenland einmal abgesehen.

Chana lässt in ihrem recht umfangreichen Buch eine ganze Reihe von sehr unterschiedlichen Frauenfiguren Revue passieren: ein unerfahrenes, sich selbst überlassenes junges Mädchen, eine kultivierte, alleinlebende Frau mit mehreren Liebhabern, eine privilegierte, selbstbewusste Gymnasiastin, eine völlig verschrobene Vierzigjährige voller Ticks, eine attraktive Alleinreisende mit vorgeschobener Fernbeziehung, eine Dorfapothekerin … All den Frauen ist aber eines gemeinsam: ihre unbändige Lust am Beobachten anderer Frauen. Das Beobachten bringt sie fast immer dazu, sich eine Geschichte zu ihrem interessanten Objekt auszudenken und diese weiterzuspinnen. Die junge Küchenhilfe, scheinbar ohne Vergangenheit, beobachtet eine elegante, perfekt gestylte Dame im Gastraum, die souverän mit ihren männlichen Begleitern umgeht. Die fünfzehnjährige Schülerin am Land entwickelt ein starkes Interesse an der geheimnisumwitterten Apothekerin, einer ebenfalls sehr attraktiven und selbstbewussten Frau. Die Gymnasiastin aus einer anderen Erzählung, die, wie es die Zeit und die Peergroup verlangt, sich in Magersucht übt, beobachtet heimlich und voller Faszination ein sehr blasses, sehr dünnes Mädchen aus einer anderen Klasse. Die neurotische „unheimliche Frau“ wird von ihrem Liebhaber und Hobby-Psychotherapeuten genauestens beobachtet. Das junge, recht vernünftige Paar auf Griechenlandurlaub beobachtet zum einen ihre etwas aufdringliche Nachbarin in der Ferienwohnung, zum anderen eine angeblich seit Jahren im Ort herumspukende „einsame Frau“, die ständig alle Urlauber beobachtet.

Und das kann Daniela Chana: beobachten! Einmalig ist etwa die Wiedergabe der Innen- und Außenwelt einer sozial gut aufgestellten Jugendlichen von heute „Polyhymnia (Gesang)“: ihre diffusen Sehnsüchte, ihr geschickter Umgang mit Burschen, die sie bewusst auf Distanz hält, um stets Macht über sie zu behalten; das Bewusstsein der eigenen Überlegenheit als Sängerin in einer Schulband; die unbändige Lust auf Essen verbunden mit einer als gesunde Ernährung getarnten, selbstauferlegten Pflicht zum Hungern. Die Dialoge der Schüler, alle Details rund um Schule, Lehrer und SchülerInnen überzeugen auf voller Linie. Nicht weniger überzeugend gelingt Chana auch die Schilderung einer alleinstehenden, gebildeten Frau, wohl Ende Dreißig, die den Gedanken an ein Kind noch nicht aufgegeben hat, aber voller Verachtung und Unverständnis die Mütter in ihrem Wohnblock beobachtet. Ihre Phantasien über ein harmonisches Familienleben entlarvt die Frau bald selbst als reine Projektion, fern jeder Realität. Weniger gelungen ist hingegen die völlig aus dem Ruder laufende Beobachtung der kaum erträglichen Neurotikerin in „Klio (Geschichtsschreibung)“: es bleibt letztlich unklar, warum diese einen an den Rand des Wahnsinns treibende Person die Liebe des offenbar um sie bemühten Mannes bekommt, über eine ganze Weile und ohne Trennung am Ende. Nicht wirklich schlüssig ist auch, warum das unscheinbare Mädchen – Chana zeigt mehrmals eine Vorliebe für ungeschminkte Frauen – plötzlich wie aus dem nichts heraus das Interesse des cholerischen Chefkochs auf sich zieht, und zwar gleich mit einer handfesten, gemeinsamen Lebensplanung.

Chana übereilt nichts. Manche Geschichten geraten dabei gar zu lang. Die an sich immer meisterhaft aufgebaute Spannung droht manchmal den Bogen zu überspannen, etwa bei den unzähligen Szenen der immer wieder scheiternden Psychotherapie an der angeblich unheimlichen Frau. Allerdings wird auch hier die Geduld des Lesers, der Leserin doch noch irgendwann belohnt: die Frage, wer hier eigentlich vom Wahnsinn befallen ist, gelangt zu einer unerwarteten Auflösung. In einigen wenigen Geschichten vermag das Ende nicht im erwarteten Ausmaß zu überzeugen. „Polyhymnia (Gesang)“, die Geschichte der jungen Schulbandsängerin, fasziniert von Anfang an und dürfte sogar als die beste Geschichte des Bandes bezeichnet werden; ihr allzu harmloses Ende wird ihr – und ihrer Protagonistin – kaum gerecht.

Einige Themen tauchen in den Erzählungen leitmotivisch auf: das Stigma der Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Frauen aus einem bildungsaffinen Elternhaus; die Schwierigkeiten der Paarbeziehung in allen Nuancen; die zwiespältige Lage von allein reisenden und allein lebenden Frauen; psychische und psychosomatische Störungen; die Fragen um Gelderwerb und Wohlstand; die Lust am Phantasieren und Weiterspinnen von Geschichten. Chanas Erzählungen sind auf der Höhe der Zeit, ohne die Vergangenheit außer Acht zu lassen oder den Kontakt zum Mythisch-Märchenhaften zu scheuen. Sie sind authentisch in der Wiedergabe des Lebensgefühls der Gegenwart, dabei voller Leichtigkeit und nicht selten Heiterkeit. Auch wenn manche der seltsamen Frauen und ihre vertrackte Lebenslage einen nachdenklich machen.

Daniela Chana Neun seltsame Frauen
Erzählungen.
Innsbruck, Wien: Limbus, 2021.
300 S.; geb.
ISBN 978-3-99039-195-2.

Rezension vom 30.03.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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