#Sachbuch

Neues über "Feder, Tinte und Papier" sowie über "Bücherwelten"

Eric LeCollen, Susanne von Meiss

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl / Christine Schmidjell

Bibliophilie geht häufig einher mit Interesse oder gar Sammlerleidenschaft für alles, was mit Lesekultur in Verbindung zu bringen ist. Endlos ist die Reihe der Publikationen, die sich dieses Interesse zunutze machen. Im Verlag Gerstenberg sind soeben zwei neue, besonders sorgfältig gestaltete Bände zum Thema erschienen.

Feder, Tinte und Papier ist die von Eric LeCollen gestaltete Zeitreise durch die Geschichte des Schreibens betitelt. Es ist beeindruckend, was hier in lockerem Plauderton an Information verpackt ist. Die Geschichte des Schreibgeräts setzt ein mit dem 1000 Jahre währenden Zeitalter der Gänsefeder und den kalligraphischen Kunstwerken, die in den klösterlichen Schreibstuben mit ihrer Hilfe entstanden, bewahrt vom Klosterbibliothekar, einem wahren Thesaurarius. Die trotz aller technologischen Verbesserungen in punkto Zuschnitt rasche Vernutzung der Gänsefeder machte mit Zunahme der Schreibtätigkeit zwar den Gänsefedernhandel zu einem lukrativen Geschäftszweig, stellte aber auch vor große Probleme. Tagte etwa das belgische Parlament, war ein Bediensteter nur mit dem Nachschneiden der Federn beschäftigt. Das änderte sich erst mit dem Aufkommen der Stahlfeder um 1830. Ihre Entwicklung und Verbreitung wird hier als spannendes Stück Industriegeschichte lesbar.

Nahezu ein Jahrhundert dauerte der Kampf um zunehmende Freiheitsgrade vom umständlich zu transportierenden Tintenhorn oder -faß. Anfang des 20. Jahrhunderts ist die erste funktionsfähige Füllfeder auf dem Markt, in den 30er Jahren dann die erste (Glas-)Patronenfeder und erst 1954 entwickelte die Firma Waterman die erste Plastikpatrone. Es ist faszinierend zu lesen, welche Marke zu welchem Zeitpunkt aufgrund eines technologischen Vorsprungs in Führung ging, welche Neuerungen sich jeweils durchsetzten, wie riesig die Produktpallette war (am Höhepunkt der Stahlfedern-Kultur sind 10.000 Modelle am Markt) und mit welchen Imageträgern (u. a. auch Schriftsteller) für Feder wie Tinte geworben wurde, wobei in diesem Kapitel die Konzentration des Autors auf Frankreich vielleicht am stärksten bewußt wird. Zu erfahren ist auch, weshalb alte Federhalter einander so ähnlich sehen: es liegt am Material. Das damals verwendete Ebonit ließ nur Schwarz- und Rotfärbungen zu.

In einer Porträtreihe von Modellen, die technisch oder ästhetisch ihre Zeit geprägt haben – u. a. von Waterman, Parker, Montblanc (bis 1914 Simplo), Lamy, Cartier, Pelikan – wird die geschilderte Entwicklungsgeschichte noch einmal anschaulich nachvollziehbar. Dargestellt werden darüberhinaus auch die Geschichte der Tinte, die Entwicklung von Tintenfaß, Federkasten (sogar das Federläppchen findet Erwähnung), Bleistift, Radiergummi (beginnend beim Bimstein im mittelalterlichen Skriptorium), Spitzer, Kugelschreiber, Filzstift, Rollerball und nicht zu vergessen das Papier, das im frühen Mittelalter europaweit auf Mißtrauen stieß. Der Normannenkönig Roger von Sizilien ordnete Ende des 11. Jahrhunderts sogar an, zur Sicherheit von allen auf Papier geschriebenen Dokumenten Abschriften auf Pergament zu fertigen – ein frühes Beispiel für das Mißtrauen, das ein schreibkultureller Medienwechsel hervorruft.

Die reiche Bebilderung mit ausführlichen Bildunterschriften machen den Band im besten Sinn des Wortes zu einem Bilderbuch der Schreibkultur. Im Anhang finden sich eine Reihe nützlicher Informationen: ein kleines Adreßverzeichnis (auch mit österreichischen Beispielen) traditionsreicher Schreibwarenhandlungen, Reparaturwerkstätten und Museen, ein Brevier zur richtigen Kaufentscheidung, kurze Porträts der bekanntesten Hersteller und Marken, ein Glossar in Sachen Schreibkultur sowie eine kleine Bibliographie, die für die deutsche Ausgabe um einige Titel ergänzt wurde (die Originalausgabe erschien 1998).

Der zweite, von Susanne von Meiss (Text) und Reto Guntli (Fotos) gestaltete Band Bücherwelten. Von Menschen und Bibliotheken bildet gleichsam eine natürliche Fortsetzung der Beschäftigung mit Schriftkultur. Es ist ein Streifzug mit fünf, qualitativ allerdings sehr unterschiedlich dargebotenen Stationen: Büchertempel, Bücher sammeln, Wohnen mit Büchern, Buch und Kunst und Büchermacher.

Informativ und anregend ist die Auwahl zu den „Büchertempeln“, in der geistliche Bibliotheken (Stiftsbibliothek St. Gallen, Biblioteca Angelica in Rom), Hofbibliotheken (Wolfenbüttel, Potsdam, Den Haag) und Staatsbibliotheken (Österreichische Nationalbilbliothek, Bibliothèque nationale de France) vorgestellt werden. Auch in den Porträts privater Spezialsammlungen sind – neben dem durchgängig kulinarischen Bildmaterial – interessante Details zu finden, sei es über die Bibliotheca Proustiana des Kölner Kunstsammlers Reiner Speck oder die Bibliotheca Bodmeriana in Cologny bei Genf, die unter anderem einen Teil der Handschaft des „Faust II“ beherbergt.

Im dritten Kapitel über private Wohnlandschaften wird die Darstellung deutlich flacher und nähert sich tendenziell dem Niveau von Illustriertenberichten über designergestylte Wohninterieurs (auch mit Büchern) prominenter oder sich für prominent haltender Persönlichkeiten an. Etwas spannender dann wieder der Abschnitt Buch und Kunst (unter anderem Beiträge zu Arnulf Rainer und André Heller). Kapitel fünf versammelt sehr unterschiedliche Kurzporträts von Buchhandwerkern (je ein Buchrestaurator, Kalligraph und Buchdrucker), Verlegerinnen (Daniel Keel vom Diogenes Verlag, Inge Feltrinelli, Siegfried Unseld und der aus Österreich nach England emigrierte Doyen der britischen Verlagsszene Georg Weidenfeld) und Literaturkritikern (Marcel Reich-Ranicki). Am wenigsten überzeugend die Auswahl im Abschnitt „Schriftstellerinnen und Schriftsteller“, wo Cees Nooteboom, Volker Kühn, Siegfried Schmidt-Joos und Kathrin Brigl, Maren Sell, Mário Soares und Stephen Calloway in ihren (Bücher)Wohnlandschaften vorgestellt werden. Insgesamt ist in diesem Band die Balance zwischen kulinarischer Bilddarstellung und informativer Textaufbereitung deutlich weniger geglückt, über weite Strecken ist die Autorin der Versuchung erlegen, die unbestrittene optische Qualität der gezeigten Buchwelten mit eher leerem Plauderton zu unterlegen.

Analog zum vorangegangenen Band listet der Anhang nützliche Adressen und Buchtips auf. Auch wenn die Auswahl für Österreich etwa was die angeführten Antiquariate und Literaturcafés (Café Schottenring, Schwarzes Café, Zum Goldenen Pelikan) nicht ganz überzeugen kann, die originell zusammengestellte Leseliste (inklusive Internetadressen), die thematisch gebündelt Primär- und Sekundärliteratur vermischt, lädt in jedem Fall zum Weiterlesen ein.

Eric LeCollen Feder, Tinte und Papier.
Die Geschichte schönen Schreibgeräts.
Aus dem Französischen von Cornelia Panzacchi.
Hildesheim: Gerstenberg, 1999.
176 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-8067-2860-7.

Susanne von Meiss Bücherwelten.
Von Menschen und Bibliotheken.
Fotos: Reto Guntli.
Hildesheim: Gerstenberg, 1999.
256 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-8067-2855-0.

Rezension vom 21.10.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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