#Sachbuch

Neue Kunst und neue Menschen

Ernst Fischer

// Rezension von Walter Fähnders

Endlich verfügen wir über eine Ausgabe mit den frühen literarischen und kunstkritischen Schriften des Politikers, Schriftstellers, Kritikers, Kunst- und Literaturtheoretikers Ernst Fischer – ein veritables Desiderat angesichts der unvollendet gebliebenen Fischer-Werkausgabe im Sendler- bzw. später im später Vervuert-Verlag. Mit diesen von Karl-Markus Gauß herausgegebenen „Frühen Schriften“ von 1984 gibt es dabei nur eine ganz marginale Berührung, denn der längst vergriffene Band enthielt fast nur Texte aus Fischers Wiener Zeit (1927-1934). Aus Fischers Grazer Jahren nun datieren die in der vorliegenden Ausgabe präsentierten Texte, die überwiegend die Jahre 1920 bis 1927 umfassen: Gedichte, Sprechchöre, Dramen, Erzählungen, ein Romanfragment, dazu Kunstkritiken.

Der 1899 geborene und in Graz aufgewachsene Ernst Fischer scheint in jungen Jahren geradezu schreibwütig gewesen zu sein, von der Lektüre Nietzsches ebenso beeinflusst wie vom elementaren Konflikt mit dem Vater, den er einmal mit dem auf dem Schreibtisch liegenden Revolver bedrohte: eine „für die expressionistische Generation typische Urszene“, wie der Herausgeber anmerkt (S. 344). In der Tat, sie könnte geradezu Walter Hasenclevers seinerzeit Furore machendem expressionistischen Vatermorddrama „Der Sohn“ entnommen sein. „Für mich war Nietzsche der Rebell, der meine Rebellion gegen die Vaterwelt bekräftigte, der Zerbrecher der alten Tafeln“, schreibt Fischer selbst über seine jungen Jahre in seiner Autobiographie (S. 348).

Ernst Fischer, der 1917 in Graz die Kriegsmatura ablegte, trat allem oppositionellen Gestus zum Trotz und wie viele seiner späteren Weggefährten bald darauf in den Militärdienst ein und kam im Sommer 1918 an die norditalienische Front. Gegen Kriegsende wurde er in einen Soldatenrat gewählt. Der Tod des Vaters 1919 stürzte die Familie in Armut und den jungen Fischer in wachsende Desorientierung. Zu dieser Zeit knüpfte er, wie er selbst diese Zeit beurteilte, „Kontakt mit einigen Juden und anderen Outsidern, Malern, Bildhauern, Schriftstellern […] schrieb Gedichte und hungerte. Am liebsten hätte ich die Stadt in die Luft gesprengt, die Republik, den Kontinent“ (S. 346).

Damit sind Koordinaten für seine weitere, auch künstlerisch-literarische, Entwicklung gegeben: Offener Radikalismus und politische Indifferenz, die aber bald Politisierungsprozessen wichen, die sicher auch durch seine Tätigkeit als Hilfsarbeiter in einer Brikettfabrik und sein damit einher gehendes Eintauchen in das proletarische Milieu mitgeprägt haben. Er wurde Gewerkschaftsmitglied, trat 1920 der österreichischen Sozialdemokratie bei und wurde Redakteur bei der von der Partei herausgegebenen Grazer Tageszeitung „Arbeiterwille“ (Untertitel: „Organ des arbeitenden Volkes für Steiermark und Kärnten“). In Graz übernahm er auch die künstlerische Leitung der dortigen Arbeiterbühne, in der u.a. sein Stück „Der ewige Rebell“ uraufgeführt wurde 1927 wechselte er dann nach Wien über, wo er bis 1934 als Feuilletonredakteur des sozialistischen Zentralorgans „Arbeiter-Zeitung“ tätig war, in der er bereits vorher publiziert hatte..

Aus diesem Grazer Umfeld nun stammen die Texte des vorliegendes Bandes, dessen Titel bereits einen Fingerzeit auf deren Profil gibt: Es geht um die Neue Kunst und den (oder die) neuen Menschen. Damit sind Zeitgeist und künstlerisches Umfeld dieser vielfältigen Arbeiten Fischers benannt, nämlich der Expressionismus, der um 1920 im deutschsprachigen Raum seinen Höhepunkt erreicht und der seit spätestens Mitte der zwanziger Jahre von anderen künstlerischen Parametern abgelöst wird, so von der Neuen Sachlichkeit und der sich neu formierenden proletarischen bzw. sozialistischen Kunst und Literatur. An allen Strömungen hat Fischer Teil.

Der chronologisch geordnete Band enthält 20 Beiträge aus dem „Arbeiterwillen“ (1920-1926) – Gedichte, Erzählungen, Kritiken – und ein halbes Dutzend aus der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ (1921-1930). Hinzu kommen Gedichte aus Fischers Lyrikband Band „Vogel Sehnsucht“ von 1920, des Weiteren Auszüge aus dem 1923 am Burgtheater uraufgeführten Stück „Das Schwert des Attila“, Auszüge aus dem bereits erwähnten Stück „Der ewige Rebell“ sowie das Lenin-Drama von 1927. Auch der nicht vollständig überlieferte Nachlass-Roman „So kann man nicht leben!“, eine Art Gesellschafts- und Schlüsselroman über das Graz der frühen zwanziger Jahre, findet Berücksichtigung.

Fischers frühe Gedichte, aber auch Erzählungen wie „Der Tod in der Stadt“ oder „Das Irrenhaus“ bilden einen markanten Beitrag zur zeitgenössischen Avantgarde, zum Expressionismus – in ihnen finden sich zentrale Positionen, Aufgeregtheiten, Bilder und Metaphern der expressionistischen Literaturrevolte seit den zehner Jahre des 20. Jahrhunderts. Das zeigt die provokante Feier der Außenseiter und Deklassierten, die dem Bürger die Stirn bieten, gleich im ersten Gedicht des Bandes, „Ewiger Knabe Du!“, werden „die Heimatlosen, Rebellen im Namen der Seele, / Verlorene aller Kontinente“ (S. 9) angerufen und gefeiert. Das beeindruckende „Landstreicherlied“ (S. 15f.), liegt auf eben dieser Linie, ebenso die bereits erwähnte Erzählung „Das Irrenhaus“. Dazu passen auch die stark religiös (aber nicht christlich) gefärbten Verse („Der Gott“, S. 13) sowie die intensive Großstadt-Kritik im „Tod in der Stadt“, die expressionistisches Gemeingut war.

„Kunst ist gesteigertes Leben, Erkenntnis, Bekenntnis“, schreibt Fischer 1920 in seiner rundum positiven Kritik einer expressionistischen Kunstausstellung in Graz, der Artikel endet mit einem entschiedenen Postulat für die neue Kunst (und das neue Leben): „Etwas Neues ist angebrochen, der Morgen einer neuen Zeit vielleicht, und wir bekennen uns zu dem Neuen, weil wir eines vor allem hassen: Erstarrung – eines vor allem lieben: Bewegung.“ (S. 29) Dieses Credo in Sachen Avantgarde mag ebenso wie die frühen literarischen Arbeiten Fischers erneut Virulenz und Vielfalt des Expressionismus in Österreich belegen, der, gerade auch im Vergleich zu Deutschland, durchaus eigene Stimmen anzuschlagen wusste. Vergleichbares mag auch für die späteren, die expressionistische Phase hinter sich lassenden proletarisch-sozialistisch orientierten Werke gelten. Hier fallen bei Fischer vor allem die ritualisierten und z.T. religiös konnotierten Sprechchor-Arbeiten auf, die Fritz Rosenfeld einmal als „proletarische Bekenntniskunst“ bezeichnete (S. 382) und die an diesbezügliche Arbeiten von Ernst Toller gemahnen, so der im Grazer Opernhaus aufgeführte „Ewige Rebell“ mit dem beredten Untertitel: „Ein proletarisches Passionsspiel“ (S. 207-217).

In dem Maße, wie Fischer in den zwanziger Jahren seine sozialistischen Überzeugungen festigte und damit expressionistische Positionen aufgab, gewannen auch seine neuen ästhetischen Auffassungen an Profil. Der Bezug zum zeitgenössischen Diskurs über die Neue Sachlichkeit wird dabei deutlich, so wenn er im Zusammenhang mit seinem Lenin-Stück äußert, der Dichter sei gehalten, „möglichst wenig zu ‚dichten‘, nach besten Kräften nicht ein ‚Poet‘, sondern ein Reporter zu sein“ (S. 388).

Diese knappen Hinweise auf die in dem vorliegenden Band versammelten Texte mögen verdeutlichen, dass mit Neue Kunst und neue Menschen ein gleichermaßen literarisch wie literaturgeschichtlich äußerst interessanter Band vorliegt, der das Bild von Ernst Fischer ebenso schärft wie den Blick auf die Literatur der frühen zwanziger Jahre insgesamt. So ist dem Herausgeber Jürgen Egyptien, einem der führenden Ernst Fischer-Forscher, der sich bereits zuvor über Fischers Grazer Jahre geäußert hat (in: „baustelle kultur“. Diskurslagen in der österreichischen Literatur 1918-1933/38. Hg. von Primus-Heinz Kucher und Julia Bertschik. Bielefeld: Aisthesis 2011), ein wichtiges Lesebuch zu danken.

Ernst Fischer Neue Kunst und neue Menschen
Literarische und essayistische Texte aus seinen Grazer Jahren (1918-1927).
Hg und Nachwort von Jürgen Egyptien.
Graz: Clio, 2016.
400 S.; geb.
ISBN 978-3-902542-47-2.

Rezension vom 12.06.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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