#Lyrik

Nervös der Meridian

Robert Schindel

// Rezension von Iris Denneler

„Dicht beflockt vom Geratter / Der Wörter liegt das Land. / Unhungrig schlagen die Rehe / Im Forst, kleine, heilige Drosseln / Verschieben die Wolken, wie es ihnen / Wohlgerät. Andere Tiere zerreißen sie wieder / Damit die wörtergeplagten Rinnsale / Auftröpfeln können. / Durch das gehe ich, die Hände / In den Gesäßtaschen. Wütend / Schleuder ich mein Schweigen / Auf die Ebenen. Das hallt“. Nein, diese kaum drei Dutzend Gedichte, versammelt in einem schmalen, petrolgrünen Bändchen und leichtgewichtig überall hin mitzunehmen, sind keine leichte Kost (dabei überaus luftig durchnummeriert).

„Ausgeatmet die Angst, die Lust“, „Um ihn das Zeitgemampf“, „Daweil die Schreie versengen“, so lauten einzelne Kapitel, in denen – wütend und die Hände in den Gesäßtaschen – einer dem Wörtergeratter seine Worte entgegenstemmt. So betrachtet, wird der ausladend weiße Raum, der sich zwischen den Poemen auftut, die Sparsamkeit und Kompromisslosigkeit im Duktus, zur Botschaft; eine Form, die zurückführt auf die Spur dieses Schreibens.

Nervös der Meridian schreibt sich fort in dem, was eines der Gedichte ironisch „das Welthaltige“ nennt, und doch bevölkert ist von Alpträumen und Nachtmahren. Die meisten dieser Texte sind durchnummeriert, die Chronologie weist jedoch Lücken und Verwerfungen auf. Vielleicht kann man darin den Versuch sehen, Ordnung im „Verstehverhau“ zu schaffen, eine Art ‚journal intime‘ der laufenden Ereignisse (in der die Lücken auf Texte aus früheren Werken verweisen). Als einer der bekanntesten gilt „Vineta 1“ aus dem 1992 erschienenen Lyrikband „Feuerchen im Hintennach“, in dem der Ton, mit dem man Schindel bis heute identifiziert, so unnachahmlich angeschlagen war: „Ich bin ein Jud aus Wien, das ist eine Stadt / Die heiße Herzen, meines auch, in ihrem Blinddarm hat / Die schönste Stadt der Welt am Lethefluß / Ich leb in ihr, in der ich soviel lachen muß“… Damals schon war das Lachen bissig, Schindels Abgesang galgenhumorig und von bänkelsängerischem Schmerz.

Heute klingt dieser Gesang ernster, resignativer: „In Wien sterb ich einst / Oder im eignen verwitterten Wort / Ein gläserner ein nachtdurchflossener Ort“, heißt es in „Requiem“. Harald Hartung sah in seiner Laudatio zum Mörike-Preis in Schindel einen Troubadour des späten 20. Jahrhunderts, der wie Villon, Brecht, Rimbaud über derbe und zarte Töne verfüge, das Erotische und das Politische zu verbinden wisse. Ein seismographischer, ein wachsamer Autor ist Schindel geblieben, der inmitten harmonischen Reimgeschnurres blitzschnell seine Zähne und Pranken zeigen kann: „Aus fernen Zeiten / Kommt künftiger Radau nieder“, steht im schönsten „Reisevermerk 2“ („Befreundet der thüringische Volksstamm mit jedem“). Bis wir plötzlich gewahr werden, was wir da übersahen. Die Klammer, wohin die Reise führt: ins braune Anhalt.

Hatte sich Schindel in den sechziger Jahren politisch aktiv engagiert, so ist auch nach vierzig Jahren dieser Autor zornig geblieben, wachsam besonders gegenüber den erschreckend normal gewordenen Xenophobien, die sich landauf landab (nicht nur in der Heimatrepublik) ausbreiten und im Kleinbürgerlich-Gemütlichen besonders gern zuhause sind. Gezeichnet von traumatischen Kindheitserlebnissen (die mitnichten individuelle waren), leiden die meisten Figuren auch seiner Prosa an existentieller Angst und den täglichen, mehr oder minder starken Deformationen durch Autorität und Macht. Die Schicksalsverwandten nicht nur deshalb: Celan, Hölderlin, Huchel. Politische und ästhetische Weggefährten. Aber auch Bachmann, Goethe, Heine werden alludiert; Vorbilder und Vorgänger, nicht zuletzt wegen der Verbindung von Eros und Zeit-Wachheit, die auch Schindels Schreiben „befeuert“. Doch die Fremdheit gegenüber dem menschlichen Treiben – das andere Geschlecht nicht ausgeschlossen („Im Herzen die Krätze“) -, sie hat zugenommen. Immer noch an prominenter Stelle das Thema Liebe („Über deduktive Liebe“ gibt es als Nummer 2, 3 und 5; „Verlustlied“ ebenfalls als 2, 3 und 5 ). Doch hieß es einstmals, „Wir müssen vorsichtig sein mein Lieb / Das verlangt unser Realitätsprinzip“ („Liebeslied 10“), so ist heute die Liebe zum leeren „Abgestoß“ geworden. Wenig Zärtlichkeit strahlt auf, eher erscheint das Eindringen in die „umzäunte[n] Herzstellen“ wie die Erledigung von misslichen Ritualen und Übungen, deren Ende von Enttäuschung, Zurückweisung, Gekränktsein und, ach, dem fehlenden Glauben an Liebe und Hoffnung geprägt ist: „Die Leiber sie schnellen schwitzen und ruhn / Zwischen den Mündern die Wörter vergilben / Auswendiges Nattern versinkt im Milden …“ („Über deduktive Liebe 3 (Im Innern)“).

So unversöhnlich mancher der Texte, so moderat kennt man den Autor als Juror im Bachman-Wettbewerb: als einen versöhnenden Vorsitzenden, der keineswegs seine eigene Sicht durchgesetzt sehen musste, und der nur in puncto Qualität unnachgiebig war (immmer den Jandelschen Wortverdrehern – „begletschert“, „rinks und lechts“ – in Verehrung zugeneigt und durch Wortneu und Umschöpfungen – „Verhauzeug“, „Gepercht“, „Frostpol“ – dem Wortgeratter seinen eigenen Sound entgegensetzend, drinnen es knirscht und knackt). Dass solche souveräne Toleranz sich über Jahre praktizieren ließ, liegt nicht zuletzt an der Distanz, die der „Satzverdichter“ und „Satzverknödler“ auch gegenüber seiner eigenen Person wahrt. In Blut hat dieses Ich gebadet, verletzbar ist es geblieben: „… die Blätter / Schön sind sie, fallen mir aufs Blatt // Da kleben sie, da machen sie / Das Seelchen unverwundbar“. Und weil dieses Ich ein Dichter ist, nimmt er das (Linden-)Blatt auf und liest darin („Nature Morte I“). Und was? Zum Beispiel, dass eine „Unerhörte Begebenheit“ zu einer „Gewöhnlichen Begebenheit“ wird. Dazwischen hallt jenes Schweigen, das ‚unerhört‘ ist, und das doch Lyrik wieder hörbar machen kann. Noch lange nicht mag der Autor seinen Rückzugsbedürfnissen, die ihn vorzugsweise in tiefer Nacht überkommen, nachgeben („daweil / Ich da liege in meiner Behaustheit / Blöd und träge lächle“). Der stoische Traum bleibt ein Traum, derweil der Ich-Verhau weit aufgerissen ist, in dem sich mit Würgen und Rattern die eingesperrten Furien melden.

„Bleiben die Schnauze gesenkt“, so geht Schindel, kritisch, wachsam, Lindenblätter suchend und auffindend durch die Zeit. Am liebsten als Wanderer, zuhause und anderswo. „Reisevermerk 4“, durch die Klammmer – „(Parisbar)“ – als Berliner Mitbringsel zu entziffern, notiert, wie man in der Künstlerkneipe „Gerühmtes ineins“ keltert: „Vorneweg das Intime des Aufgerauten / Hinternnach der Ärger der Glättungen / Zwischendrin der Flüsterwitz aus Neugekautem“. Da ergreift der Dichter die Flucht, leider in Richtung Anhalt. Danach geht’s in die „Lessingstadt“. Doch auch da: „Der Fluß Oker floss von / Der Fallbeilhinrichtungsstätte rotfarben / Weg ins tiefe Deutschland herauf“.

Seit der „Nacht der Harlekine“ spielt Schindel gegen dieses Weltungeheuer die Rolle des melancholischen Sprachmachers aus. Aber sie ist nur eine seiner vielen Maskeraden, wenn auch vielleicht seine am liebsten eingenommene. „Ich bin so leer im Abgestoß/ Und inbrünstig die Hoffnung los“, klagt das „Verlustlied 4“. Das letzte Poem dieses Bandes macht uns die ungeheuere Dimension dieser Verluste hör und sichtbar: Getötete Menschen, der Hindukusch, versengte Schreie: „Einer legt an / Einer legt aus / Still die Tage nervös / Der Meridian“

Robert Schindel Nervös der Meridian
Gedichte.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003.
69 S.; brosch.
ISBN 3-518-12317-3 .

Rezension vom 15.12.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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