#Prosa
#Debüt

nee

Sophia-Therese Fielhauer

// Rezension von Christine Rigler

Unter dem Titel „Literatur &“ eröffnete der Löcker Verlag im Herbst 1999 eine neue Reihe, die Literatur in ihren Beziehungen zu anderen Kunst- und Kulturbereichen präsentieren will. Bei Sophia-Therese Fielhauers Berlin-Geschichte ist dieses angrenzende Gebiet der Journalismus, den die Autorin seit Anfang der 90er Jahre und seit kürzerem in der neuen deutschen Hauptstadt als Beruf ausübt. Die satirische Parabel nee, Fielhauers literarisches Debüt, enthält dementsprechend auch viele Passagen, zum Beispiel über Stadtteile oder Szenen Berlins, die wie Reportagen mit offensichtlich recherchiertem Material angereichert sind.

nee ist zugleich jedoch ein fiktives Stück Literatur, das sich der Stadt abstrakt zu nähern versucht. Im Zentrum steht dabei die junge Journalistin Alice, die als Realfigur einem Set von Allegorien gegenübergestellt ist. „Frau Liebe“ und ihre beiden ständigen Begleiter „Libido“ sowie der persische Nasen- und Geruchsgott Nasfras haben nämlich den Auftrag, die Liebe nach Berlin zu bringen. Ihre beharrlichsten Gegenspieler sammeln sich in der GMB&E – sprich Größenwahn, Macht, Bosheit & Eitelkeit -, einer destruktiven Gesellschaft, die vorwiegend in der Baubranche ihren finsteren Machenschaften nachgeht. Der Auftrag erweist sich für das erotische Dreigespann als so gut wie unerfüllbar, denn „Berlin schien der Platz zu sein, an dem plötzlich alles, woran sie geglaubt hatten zu Bruch ging“, von Liebesbereitschaft keine Spur.
Nicht nur die Journalistin Alice scheint dort häufig unter dem „nee-Gefühl“, einem Zustand völliger Emotionslosigkeit, zu leiden.

Fielhauer gelingt eine nicht ungeschickte Verknüpfung moderner Alltagsphänomenologie mit traditionellen Erzählmustern. In überwiegend nüchterner, klarer Sprache – mit Lakonie und ohne falsche poetische Töne – beschreibt sie etwa wie „Frau Liebe“ am Computer, die ziemlich unbefriedigende Liebeskorrespondenz der Menschen via E-mail verfolgt oder sich im Getümmel der Love-Parade – ganz im Gegensatz zur Libido, aber auch zur glatzköpfigen Macht – vollkommen deplaziert vorkommt. Assoziationen zu Bert Brechts Drama „Der gute Mensch von Sezuan“, das auf einem ähnlichen Modell basiert, erscheinen durchaus beabsichtigt, – wie man nicht nur aufgrund seiner Erwähnung als Gegenstand sentimentaler Erinnerungen schließen könnte: Im kleinen Ort Buckow, östlich von Berlin, hätten Liebe, Libido und Nasfras den Dichter oft besucht, „aber waren niemals wirklich sicher gewesen, ob er sie in seinem Eifer bemerkt hatte“.

Den Gefahren, die ihr literarisches Verfahren mitunter birgt, zu entgehen, schafft Sophia-Therese Fielhauer nicht immer: so wirkt das allegorische Konzept nicht bis in die letzte Konsequenz durchdacht und gerät manchmal ein bißchen plump. Wenig plastisch fällt in diesem Buch auch die über gängige Großstadtmythen vermittelte Berlin-Darstellung aus: Love-Parade, Kiez, Graffitis, Industrieviertel, U-Bahn, Einkaufszentren … Die Stadt als Moloch, der als dunkle Macht seine Bewohner verschlingt und zermahlt oder beschädigt wieder ausspuckt, ist ein Bild, das schon mit den Großstadtromanen der 30er Jahre zum Topos wurde. Ob sich dieses Bild mit dem Lebensgefühl heutiger Berlin-Bewohner zu decken vermag, können diese wohl nur selbst beantworten; eine spezifische, intensive atmosphärische Vorstellung dieser Stadt bekommt der Berlin-unkundige Leser allerdings kaum.

Sophia-Therese Fielhauer nee
Eine Berlin-Geschichte.
Wien: Löcker, 2000.
112 S.; geb.
ISBN 3-85409-316-0.

Rezension vom 27.04.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.