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Narrenschiff auf großer Fahrt

Mladen Savic

// Rezension von Walter Fanta

Nicht NUR Literatur

Das Narrenschiff hat sich schon einmal auf große Fahrt begeben. Das war um 1500. Der Kapitän hieß damals Sebastian Brant. Mit dem Mittelalter abzurechnen und das vorzubereiten, was Karl Marx die frühbürgerliche Revolution nannte, darin sah der Baseler Professor für Rechtswissenschaften und Straßburger Stadtsyndikus seine Aufgabe. Er versammelte auf seinem Schiff mit Kurs auf Narragonien hundert Narren, also hundert verschiedene Arten der mittelalterlichen Devianz. Die unterhaltsame satirische Schilderung war damals die Form, der Welt den Spiegel vorzuhalten, mit Aberglauben, mit Scholastik, dünkelhaften Scholaren fertig zu werden und gegen die Amoral einer durch und durch verdorbenen Gesellschaft vorzugehen. Brants Schrift wurde zum erfolgreichsten deutschsprachigen Buch vor der Reformation.

Heute ist Mladen Savic der Kapitän. Wir befinden uns wieder mitten in einer Zeitenwende. Das Schiff beladen mit den modernen Narren durch die gebeutelten Fluten der größten Krise der Menschheit zu führen hat sich der Autor vorgenommen, der auf keinem gut bezahlten Lehrstuhl sitzt und offenbar weit davon entfernt ist, mit der Sicherheit von vierzehn fetten Gehältern im Jahr schreiben zu dürfen. Ich stehe nicht an, für das Buch von Kapitän Savic (K. S.) den selben großen Erfolg zu wünschen, nein zu fordern wie für das Narrenschiff von Brant. Es ist mein voller Ernst, aber ich weiß, dass es schwer zu erreichen ist. Denn das Mittel von K. S. ist nicht die Unterhaltung durch Satire. So unbedingt ich auch für dieses Buch eintrete, für so mitreißend humorvoll ich seine Sprache auch halte, bestehe ich dennoch darauf, das WIE seiner Rede hinter das WAS zu stellen. Natürlich ist die Form der Rede, die uns K. S. hält, nicht unabhängig von ihrem Inhalt, unserer Dummheit! Anders als bei Brant ist die Form bei K. S. aber nicht die Poesie. K. S. spielt nicht in der Liga der Literatur. Dafür ist ihm sein Anliegen zu wichtig, um Geschichterln zu erzählen.

Diese Besprechung dürfte, sollte, müsste nicht im Buchmagazin der literarischen Neuerscheinungen veröffentlicht werden. Aber wo dann? K. S. spielt in seiner eigenen Liga. Was er schreibt, so direkt, so unverblümt, sucht seinesgleichen. K. S. ist Kapitän eines Kriegsschiffs. Das rhetorische Waffenarsenal seines Schreibschiffes ist geteilt in die Waffengattungen Essay, Reflexionen, Polemik und gefüllt mit Tropen aller Art aus der klassischen Rhetorik, mit Allegorien, Hyberbeln, Parabeln, Paraprosdokien, Paronomasien aller Art, und, und und, und gespickt mit symbolgeladener Polysemie. Von seinem Kriegsschiff beschießt K. S. das Narrenschiff, in dem wir sitzen, mit seinen rhetorischen Torpedos. Wir, das sind die deutschschreibenden Dichter und Denker. Wir, die postmoderne Intelligenz, wir haben uns alle gesetzt, ins Unrecht, und sind sitzen geblieben, in der alleruntersten Klasse, wir träge Bagage. Diese Rhetorik unterhält nicht, das darf sie nicht, sie beunruhigt vielmehr, das muss sie. Überzeugen Sie sich selbst von der Schweinerei! (Leseprobe)

AUF zum Aufstand!

Die Idee des Buches ist, uns Sch…-Intellektuelle zu aktivieren. Der grüne Blitz auf dem Cover bedeutet Revolution. Der über den Text hinausweisende Fluchtpunkt des Buches ist ein globaler Umsturz. K. S. orientiert sich dabei an einer Philosophie-Tradition von Vorsokratikern und Anti-Platonikern bis zu den utopischen Frühsozialisten, deren Analysen und Träume er auf das global village unserer von Klimakatastrophen-gebeutelten Welt mitten in der digitalen Revolution projiziert. Die insgesamt 22 Texte sind vom niemals besserwisserischen Impetus einer Lust zu Aufklärung, zum Aufrütteln beseelt. K. S. Rede über die Dummheit beschreibt den Zustand der Intelligenz als „gefroren“. „Längst ist etwas festgefahren. Die Klugheit hat kapituliert, der tiefere Sinn sich erübrigt. Was sich durchzieht, ist ein Innenleben im Leerlauf, fixiert auf Äußerlichkeiten und symbolische Ergänzungen, wahrscheinlich, um die innere Verkümmerung wettzumachen.“ (Der gefrorene Augenblick, S. 88.)

Als die zeitgenössische Form der Dummheit, welche die institutionalisierte Intelligenz (Wissenschaft, Bildung, Kultur, Kunst) in den Augen von K. S. erfasst hat, erscheint das Unvermögen, auf die perfekte Dehumanisierung durch Kapitalismus und Neoliberalismus adäquat zu reagieren: mit einem Denken, einer Wissenschaft, einer Bildung, einer Kunst und Kultur, die das weltzerstörerische globale Unrechtssystem aktiv bekämpft. „So werden wir die Wissenschaften von ihren Zwangsjacken befreien. Das Kriterium der Nützlichkeit wird das der Verkaufbarkeit bis aufs Letzte ersetzen und der Gebrauchswert, wie es den größten Teil der Geschichte gewesen ist, wieder über dem Tauschwert stehen.“ (Aus Eicheln Eichen, S. 114) Verkennung des ökonomischen Seins innerhalb der globalisierten Gesellschaft, Mangel an Bewusstsein, Trägkeit, Korrumpiertheit kennzeichnen die Existenz des spätest-bürgerlichen Intellektuellen. Als Versager verortet K. S. die „postmoderne Linke“: „Sehr viel humanitärer Gefühlsstau, Allerweltsmoral oder Sektierertum und viel linguistischer Idealismus, der sprachlich geradebiegen will, was im Leben schon schief und verbogen ist,“ (Ebd., S. 131) bestimmt sie. Die zentralen Theoreme der Posthistoire und die Turns (linguistic, medial, visual, …) des Postmodernismus geraten ins Visier der Kanonen von K. S. Die Gegenwartskultur (Hollywood & Co.) trägt Mitverantwortung an der drohenden Katastrophe, globalem Krieg und Vernichtung, indem sie ein falsches System deckt, eine „Ordnung von eingespielten, alten Mächten der Geldsäcke, Kutten und Uniformen. Nur riecht der Nachwuchs sie nicht, denn sein Sinn für feine Gerüche ist völlig verklebt durch Schulbildungskitt und die Zungen der Zeitungen und Blogs, durch bunte Nischen- und Bilderwelten, durch sogenannte soziale Medien und das Marketing der Influencer, verklebt bis zur bewusstlosen Geschichtslosigkeit. (Nachwuchs ohne Vorwarnung, S. 159) Die schonungslos wütende Kulturkritik mündet in Identifizierungen zahlreicher Gegner, Verantwortlicher, als einer der Verursacher der modernen Dummheit wird beispielsweise „Bruder Martin“ namhaft gemacht, „Heidegger ist ein aufgeblasener Sonderling mit religiösem Mundgeruch, auch ohne Religion“ (Ein Blick in die Kristallkugel, S. 194)

Alldem bin ich gern gefolgt, den anti-idealistischen, anti-existenzialistischen Tiraden, dem unerbittlichen Abwatschen des heutigen akademischen, kulturellen, literarischen Betriebs. Gerne habe ich das gelesen. Mit Vergnügen. Weil es sprachlich so schön trifft. Nur vor einem schrecke ich zurück. Da spüre ich dünnes Eis. Typisch für mich. Für uns. Ich glaube nicht an eine sozialistische Revolution im 21. Jahrhundert. Aber reden wir weiter darüber.

Narrenschiff auf großer Fahrt.
Essays, Reflexionen, Polemiken.
Klagenfurt, Celovec: Drava Verlag, Edition TRI, 2020.
111 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-85435-931-9.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 17.08.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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