#Prosa

Naquora

Franz Hammerbacher

// Rezension von Walter Wagner

Der Krieg zählt zu den großen Themen der Literatur, die dem militärischen Alltag in seiner schillernden Belanglosigkeit, eingespannt zwischen Systemerhaltung und Verwaltung, wenig Beachtung schenkt. Übung als monotones Zurüsten auf den Kampf scheint zu unspektakulär, um erzählt zu werden. Dabei ist der Krieg als sozialer Supergau ohne die langen Phasen des Wartens, die im geschlossenen System von Kasernen oder auf dem Feld absolviert werden, schlicht undenkbar.

Das vorliegende Bändchen umfasst Prosaminiaturen, die, wie der Autor versichert, während eines Einsatzes als UN-Soldat im libanesischen Camp Naqoura entstanden sind und die wichtige Friedensmission als endloses Vorspiel darstellen, auf das keine bewaffnete Auseinandersetzung folgt, was nicht gerade für Begeisterung sorgt. Denn wer sich für einen derartigen Einsatz meldet, erwartet nämlich nicht nur höheren Sold, sondern auch jenen Adrenalinkick, den ein Einsatz im Kriegsgebiet verspricht. Letzterer findet – und man müsste eigentlich sagen: gottlob – nicht statt und bleibt für die Soldaten von Naqoura bloße Fiktion. Als die wahren Feinde der so genannten Peacekeeper erweisen sich nämlich nicht gegnerische Truppen, sondern vielmehr die Langeweile und das Fehlen einer wirklichen Aufgabe. Dieses Ausbleiben realer Gefahren stellt hohe mentale Anforderungen an den Einzelnen und wird durch eine penible Routine im Schatten einer ins Groteske übersteigerten Bürokratie gefüllt. Der Militärdienst gerät solcherart zu einem absurden Theater und bietet dem kontemplativ veranlagten Betrachter breites Material zur soziologischen und philosophischen Reflexion.

Hammerbacher, der als Soldat in mehreren friedenserhaltenden Missionen einschlägige Erfahrungen hat sammeln können, bringt die besten Voraussetzungen mit, um der Leserschaft über jenes Stück zu berichten, das im Camp von Uniformierten mit großer Präzision aufgeführt wird. Fragmentarische, tagebuchartige, mitunter aphoristisch pointierte Notizen wechseln mit Anekdoten, scharfsinnigen Beobachtungen und literarisch aufbereiteten Schriftstücken, die das Leben in diesem Camp protokollieren. Naqoura ist ein buntes Sammelsurium an Schnurren, die den Unsinn als Methode entlarven und treffsicher das skurrile Potenzial einer leerlaufenden militärischen Maschinerie ans Licht bringen.

Mit kabarettistischem Ernst beschreibt Hammerbacher, was es bedeutet, in Naqoura zu landen, wo die vor Idealismus strotzenden Grünschnäbel eine „Existenz als eingezäunte Zweibeiner im Gehege“ erwartet und sich neben institutionalisiertem Müßiggang gleichwohl überraschende mikrosoziologische Beziehungen entwickeln. Diese lassen sich, so der Autor, in drei Kategorien unterteilen, denen die Gattung der einsamen Wölfe, die Freundschaften von zwei Kameraden und ein Gespann von drei stets gemeinsam auftretenden Herren, die den Spitznamen „Die drei Schwestern“ tragen, angehören.

Privatsphäre gibt es in den hellhörigen Containern, wo sich der Wohnbereich auf ein Bett beschränkt, zwar so gut wie keine, dafür zahllose Möglichkeiten, sich auf dem Areal des Camps zu begegnen. Dazu trägt wesentlich die „Edelweiß“-Bar mit ihrem täglichen Stammtisch bei, deren Mitglieder auf der „Wall of Shame“ verewigt sind. Zu nennen wäre auch die „stille Clique“ der Bücherleser, die am Rand des Areals ihre schweigsamen Zusammenkünfte abhält. „Auf dem leicht erhöhten Platz vor dem Campzaun und dem rauschenden Meer sitzt jeder für sich in Lektüre versunken da, auf verstreut herumstehendem, ausrangiertem Mobiliar: einer desolaten Trainingsbank, einer unbequemen Holzliege und kaputten Klappstühlen.“ Diese marginale Gruppe könnte geradezu als Allegorie eines systemischen Paradoxons gelten, wonach die Bezeichnung „aktiv beim Heer“ in Wahrheit ihr Gegenteil meint.

Kämpfe, wenn sie schon stattfinden müssen, werden lediglich gegen Gelsen ausgetragen. Darüber hinaus bleibt reichlich Zeit, sich in Scheinaktivitäten zu verlieren und sein Ego zu kultivieren. Während die einen mit schicken Uniform-Accessoires auftrumpfen, freuen sich die anderen hämisch, wenn es ihnen gelingt, die Grenzen der streng geregelten Rasurbefreiung auszuloten. Ob Vollbart oder nicht, Rasur jeden dritten oder fünften Tag, sind in der Tat Fragen von existenzieller Tragweite, mit denen sich die Administration zu befassen hat. Das Militär punktet in dieser Perspektive vor allem durch die Möglichkeit, aus nichts methodisch perfektioniert etwas zu machen und diesem Nichts hohe Priorität einzuräumen. Die routinemäßige Ausführung und Überwachung abstruser Vorgaben schafft dergestalt ein strukturelles Bollwerk gegen den Horror Vacui, vor dem kein Bewohner dieser Parallelwelt gefeit ist. Vielleicht ist gerade dieses permanente Gefühl der Sinnlosigkeit der ideale Nährboden für jene Komik, mit der „dieses heiter-gelassene Buch“ nicht geizt. Die Lektüre von Hammerbachs Naqoura garantiert jedenfalls exquisit-vergnügliche Augenblicke, wie sie uns die heimische Literatur schon seit Längerem vorenthält, und stimmt nur in einem Punkt nachdenklich: „Es ist alles real.“

Franz Hammerbacher Naquora
Miniaturen.
Wien: Edition Korrespondenzen, 2018.
158 S.; geb.
ISBN 978-3-902951-22-9.

Rezension vom 30.12.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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