#Roman

Napule

Kurt Lanthaler

// Rezension von Peter Landerl

Kaum ist der Lebenskünstler Tschonnie Tschenett, ehemaliger Matrose und LKW-Fahrer, in Neapel angelangt, geht alles drunter und drüber. Ciro, ein Kriminalinspektor in Neapel, der von seinen Bekannten ehrfurchtsvoll , ‚o prufessore genannt wird, findet in seinem Büro einen geköpften Hahn. Nicht schön anzuschauen und eine mordsmäßige Sauerei (das viele Blut!), aber auch eine Drohung. Die Mafia vielleicht? Als er kurz darauf den Kofferraum seines Autos voller Mist vorfindet, stinkt die Sache zum Himmel. Irgendetwas hier in Neapel ist faul. Tschonnie, du Unglücksbringer! Wo du auftauchst, gibt es Ärger!

Dabei ist Tschonnie doch nur von seinem Freund Toto eingeladen worden, an einem Polizeikongress teilzunehmen. Nach fünf Jahren im Hafen von Saloniki bei Schnee und Sturm nach Neapel übergeschifft. Tschonnie, der alte Kumpel, geht nachts aus, trifft Sera, die bildhübsche Stieftochter von Ciro, trinkt mit ihr. Am nächsten Morgen ist Sera verschwunden, dafür findet er in seinem Hotelzimmer präparierte Hühnerfüsse. Was soll das nun wieder, Tschonnie? Schöne Scheiße. Ciro, Angela (Seras Mutter, die ziemlich hartnäckig sein kann), Tschonnie, Toto und Seras alte Tante Zia Teresa – ein ziemlich ungleiches Quintett – machen sich auf die Suche nach Seras Verbleib. Ob sie sie finden?

Polizeikrawalle, Demonstrationen, ein Kreuzfahrtschiff, die Odessa, die seit Jahren beschlagnahmt im Hafen liegt, brennende Weihnachtsbäume, opulente Speisen, die Katakomben, Aberglaube, Fernseh-Magier, ein verwunschener Palazzo: Neapel gleicht einem heillosen Durcheinander. Ciro, ein frustrierter Polizist, sagt Sätze wie: Tatsächlich gibt es das große, kapitale Verbrechen nicht mehr, spätestens seit Andreotti freigesprochen, Berlusconi verjährt und der eine oder andere Faschist an der Regierung ist. Die Ordnung der Neuen Zeiten macht unsereinen überflüssig. Und: Vergeßt eines nie: Jedes Auge hat seinen blinden Fleck. Jedes.

Viel ist die Rede von den politischen Zuständen in Italien: Soll ich dir sagen, was zur Fahne dieses Landes geworden ist, längst? Der Damenstrumpf, den die Kameras sich zum Weichzeichnen überzustülpen hatten vor dem ersten TV-Auftritt ihres Herrn und Meisters.
Natürlich ist der Medienzar, Ministerpräsident, Fußballklub-Eigentümer S. B. damit angesprochen, der sich sein Geld früher orgelnd auf Ozeandampfern mit Schmalz im Haar verdient hat.
Ein Buch über Italien, den Süden, über Neapel, seine Ober- und Unterwelt, über die mannigfaltigen Götter und den Aberglauben, garniert mit Weisheiten wie: Wenn der Arsch schwer wird, kriecht man zu den Heiligen. Oder: Wer für den Galgen geboren ist, ertrinkt nicht.

Napule besticht durch Lanthalers unnachahmlichen Sprachstil, die gekonnten Perspektivenwechsel, die genaue Kenntnis Italiens und vor allem durch das umfangreiche Glossar (über 40 Seiten!) am Ende des Buches, das nicht einfach ein Wörterverzeichnis ist und mit gescheiten Erklärungen aufwartet, sondern die Geschichte(n) fortschreibt, kunstvoll, liebevoll ausschmückt, einen Blick hinter die Kulissen zulässt.

Kurt Lanthaler Napule
Ein Tschonnie-Tschenett-Roman.
Innsbruck: Haymon, 2002.
220 S.; geb.
ISBN 3-85218-401-0.

Rezension vom 30.09.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.