#Roman
#Prosa

Nackte Väter

Margit Schreiner

// Rezension von Daniela Strigl

Es ist eine ganz und gar unaufdringliche Geschichte und „Roman“ wohl ein zu großes Wort dafür. Sie beginnt, geradezu klassisch für ein rückblendendes Portrait, mit einem Begräbnis – und einem monströsen, über drei Seiten hin sich zergliedernden Gliedsatz, der endlich Erlösung findet in der Feststellung „da steckte mir meine Mutter plötzlich etwas Hartes, Spitzes, Glattes zu.“ Wir ahnen, was das ist, denn zu Grabe getragen, besser gesagt, vor der Einäscherung verabschiedet wird der Vater, und das erste Kapitel heißt „Die Zähne meines Vaters“.

Der beherzte Griff nach dem Banalen und Allzumenschlichen ist typisch für Margit Schreiner: Hier löst sie damit die (sprachlich nachempfundene) kumulierende Spannung, die unabweisbare Macht der Abschiedszeremonie geschickt auf. Allerdings nimmt sie in dieser Geschichte nicht Zuflucht zur Ironie und stiehlt sich nicht mit einem Augenzwinkern davon. Nach dem atemlosen Einstieg beruhigt sich die Sprache, wird leise und sachlich. Es ist eine traurige Geschichte, von Anfang an, das Motto stammt von Michel de Montaigne: „Das Ziel unseres Lebenslaufes ist der Tod.“ Die Erzählung beginnt also am Ziel und verfolgt den Lebenslauf des Vaters zurück, nicht chronologisch, sondern in Episoden. Glück und Unglück der Kindheit, Verwirrung des Heranwachsens, Schock des augenscheinlichen Verfalls. Hinter alldem steht die unausgesprochene Frage der Ich-Erzählerin, was und wen sie nun eigentlich verloren hat.

Die „nackten Väter“ sind dabei nur Erscheinungsformen des einen Vaters, der einmal so stark war und so schwach enden mußte. Nackt steht er bei offener Badezimmertür vor der Waschmuschel und bläst in das eingelassene Wasser wie ein Nilpferd. Nackt macht er seine Morgengymnastik, nackt springt er in eiskalte Gebirgsseen. Nackt liegt er nach einem Kollaps unter einer Wolldecke, da er „sich oben und unten entleert“ hat. Nackt geistert er Jahre später durch die Wohnung, als er, an der Alzheimerschen Krankheit erkrankt, nicht mehr weiß, was er tut. Der Vater, auf dessen Schoß die Tochter als Mädchen so gerne gesessen ist, will sich zu ihr ins Bett legen und verschreckt und verstört sie in seiner unbeirrbaren Hilflosigkeit zutiefst.

Weil Schreiner vor dem Peinlichen und dem Peinigenden nicht zurückschreckt, beschreibt sie auch die Pflegeheimwirklichkeit mit schmerzhafter Konsequenz. Der Versuch von Mutter und Tochter, dem alten Mann, der kaum noch trinken kann, ein Glas Sekt einzuflößen, im Ambiente des Verfalls noch einmal Nähe herzustellen – er gelingt in einem Augenblick des Wiedererkennens und führt zugleich seine Vergeblichkeit vor Augen. Nackte Väter ist eine rührende Erzählung.

Sie demonstriert nicht nur die Vergänglichkeit väterlicher Kraft, sondern entblößt den letzten Grund der Existenz schlechthin. Margit Schreiner hat ihrem Vater einen schmucklosen und liebevollen Epitaph geschrieben und ihren Lesern ein eindrucksvolles Memento mori. Als die Erzählerin vom Begräbnis nach Berlin heimkehrt, wird sie von ihrem Mann und ihrer Tochter willkommen geheißen: „Meine Tochter sitzt auf der Schulter meines Mannes, trommelt mit den Fersen auf seiner nackten Brust und lacht. Auch mein Mann lacht und zeigt sein vollständiges, makelloses Gebiß.“ (S. 135)

Nackte Väter.
Roman.
Zürich: Haffmans, 1997.
135 Seiten, gebunden.
ISBN 3-251-00372-0.

Rezension vom 18.02.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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