In den fünfzehn Geschichten geht es um heldenhafte Rollenerwartungen und ihre reziproke Umsetzung in die Realität. Je größer das erotische Bild umso kleiner seine Ausführung, und Ausführung heißt unter anderem auch Verführung.
„Warum versucht er nicht, uns zu verführen? Es wäre so leicht!“ (67). Diese märchenprinzhafte Erkenntnis mündet in einen einfachen realitätswinzigen Seufzer.
Pruggers Geschichten sind über Jahre entstanden und einzeln in Zeitschriften oder als Hörerzählung publiziert worden, jetzt hat ihnen die Autorin zusätzliches Futter eingenäht, und der Gewinn ist beachtlich. Die Schicksale hängen nämlich wie in einem Schnitzlerschen Reigen zusammen und ergeben einen dichten Roman, der aber raffinierterweise nicht als Roman bezeichnet ist.
Schon zu Beginn knistert es heftig, als ein Bankräuber eine Frau als Geisel nimmt. Diese erlebt alles wie im Film und bleibt an ihrem Bankräuber kleben, obwohl sie mehrmals die Chance zur Flucht hätte. Ganz cool wird sie schließlich von der Polizei erschossen und wundert sich noch im Sterben, daß sie ihren Tod auf eine Weise miterlebt, wie es in der Erzähltheorie des Realismus gar nicht vorgesehen ist. Faszinierend ist die Doppelbödigkeit der Bewegungen und Reflexionen, denn die Autorin erzählt die Geiselnahme mit demselben Inventar, das sonst für Ehegeschichten gebraucht wird.
Aus Gründen des Gleichgewichtes folgt die nächste Geschichte dem umgekehrten Muster. In einer faden Ehe passiert im fadesten Adriaurlaub aller Zeiten ein kleiner Überfall der sexuellen Art, quasi zwischen Kühlschrank, Tür und Bademantel.
Traumsequenzen, in denen etwa der Faschingsumzug in eine Sackgasse des Lebens abbiegt, dann die Idee eines Jungbrunnens, oder ein verklemmter Tiroler, der verliebt zwischen den Kulturen zappt, und der artige Sonntag eines hyperkeuschen Mädchens bilden immer wieder Anlässe, um die Geschichten unerwartet zu kippen und die Heldinnen und Helden zu entkleiden, bis sie bis auf die Haut der Begrifflichkeit nackt sind.
Irene Pruggers Geschichten stecken voller Überraschungen. Ihre Essenzen sind beim ersten oberflächlichen Hinsehen nichts als kleine Nettigkeiten, die von der Autorin gefällig wie in einer Bonbonniere aufgetischt werden, aber schon beim ersten Aufwickeln der Süßigkeiten stellt sich heraus, daß diese Dinger alle doppelt scharf sind, nämlich scharf an Erotik wie in Ethik.