Im ersten Teil dieser Nachprüfung wird die Erzählgegenwart gewissermaßen als Endstation eines allmählichen Abgleitens in die Kommunikations- und Beziehungslosigkeit geschildert, die erfüllt ist von obsessiver Introspektion und nostalgischer Rückwendung zu vergangenen Zeiten, da die Vereinzelung noch abwendbar erschien. Von seiner im Keller liegenden Behausung blickt ein Mann hinauf auf die Straße, betrachtet die vorbeirollenden Autos und nimmt, gefangen im Netz seiner Gedanken, den Straßenlärm oben vor dem Fenster wahr.
In diese Versponnenheit dringt unerwartet eine Frau ein, die ihn aus der Kellerwohnung und hinaus ins Freie lockt. Er lässt sich von ihr entführen und gleichzeitig überreden, von jenen Umständen zu berichten, die zu seinem Rückzug ins Souterrain geführt haben. Jemand also, der engelsgleich von oben kommt, will verhindern, dass er sich „in dieses Ende hier schicke“.
Der zweite Teil der Erzählung berichtet in seriellen Rückblenden von einer zufälligen Begegnung mit einer ausländischen Frau während einer Zugfahrt. In knappen, surrealistischen Strichen beschreibt der Mann seiner Zuhörerin die unbekannte Reisegefährtin: „Ihre Brauen waren dick nachgezogen, ihre Augen waren wie kleine Scheiben aus schwarzem Lack; das gab dem Gesicht etwas Maskenhaftes, Böses […].“
Als der Zug im Provinznest Absdorf hält, entschließt sich die Frau, nachdem sie einen verflossenen Liebhaber aufgesucht hat, im einzigen Hotel zu nächtigen. Der Mann überlegt, ob er nicht bei ihr bleiben solle, besteigt aber in letzter Minute einen Güterzug und verlässt den nächtlichen Bahnhof. Abermals ist er vor einer möglichen Beziehung davongelaufen, doch wider Erwarten empfindet er kein Bedauern: „Ich hatte das Gefühl, nicht allein zu sein. Es hielt vor. Die Frau hatte etwas Richtiges gesagt: ich war allein. Aber nun war ich es nicht, am Ende dieser Fahrt.“
Kommt der Protagonist in der ersten Geschichte „noch gut weg“, so geraten die im dritten Abschnitt vorgetragenen Erinnerungssequenzen zur genuinen Selbstanklage. Dabei ist es nicht etwa seine Gefühlskälte, die ihn daran hindert, sein Alleinsein zu beenden, sondern eine geradezu autistische Selbstsucht, die den Sprung vom Ich zum Du konterkariert: „Früher habe ich auf andere nicht, sondern nur auf mich selbst geachtet; davon erzähle ich nicht gerne.“
Erst der Besuch jener zu Beginn unvermittelt auftauchenden Frau deutet auf eine mögliche Entwicklung hin und lässt erstmals die Befreiung aus der emotionalen Einzelhaft als reale Option erscheinen. Insofern kommt dem letzten Monolog eine besondere Bedeutung zu. Noch einmal schlägt der Ich-Erzähler ein Kapitel seiner vertrackten Biografie auf und führt uns an einen verschneiten Ort an der Grenze zu Südtirol, wo er gemeinsam mit seiner damaligen Freundin auf die Übergabe persönlicher Dokumente wartet. Die winterliche Szenerie in diesem Gebirgsdorf am Ende der Straße korrespondiert auf beklemmende Weise mit der ersterbenden Liebesbeziehung, die in die unvermeidliche Trennung mündet, als die Frau den Wunsch zu heiraten äußert und er mit ihr bricht.
Die Suche nach den Gründen für sein Verhalten erweist sich in literarischer Hinsicht als sprachkritische Reflexion über das, was sagbar und mithin verlässlich Auskunft über die Welt zu geben vermag. Indem sich der Ich-Erzähler im Gestus der Liebe wähnt, übersieht er, dass er in Wahrheit nur schauspielert: „Aber ich drang nicht vor bis zu dem, was die Frau war; ich sah nur, daß sich ein anderes Wesen genähert hatte. Ich machte etwas, das der Liebe täuschend ähnlich sah.“
Mit diesem späten Eingeständnis des Scheiterns gibt der Ich-Erzähler Aufschluss über das enigmatische Eigenleben der Seele, die sich eigensinnig den Machbarkeitsansprüchen des Einzelnen entzieht. Man mag alles ‚richtig machen‘ und es dennoch nicht schaffen, zum Anderen vorzudringen, könnte man schlussfolgern. Tumlers Nachprüfung eines Abschieds führt uns mit sparsamen stilistischen Mitteln exemplarisch das Dilemma des in sich verstrickten passiven Beobachters vor, der weder in sich noch in der Welt ganz zu Hause ist und von daher wie selbstverständlich zum Beschreiben und Schreiben findet. So tritt die ästhetisierte Existenz an die Stelle des gelebten Daseins, das nach der Summierung aller Abschiede als defekt empfunden werden muss. Ob die auf knapp neunzig Seiten vorgenommene Abrechnung mit der Vergangenheit zu einer Erneuerung führen wird, bleibt letztlich der Phantasie des Lesers anheimgestellt. Tumlers Zurückhaltung schmälert jedenfalls nicht den Glanz dieser großen Prosa, die es für viele noch zu entdecken gilt.