#Sachbuch

NachBilder der RAF

Inge Stephan, Alexandra Tacke (Hg.)

// Rezension von Sabine Zelger

Nicht auf die Spuren der Roten Armee Fraktion, sondern auf die Spuren literarischer, filmischer und künstlerischer Auseinandersetzungen mit ihr macht sich dieser Band, der 18 literatur- und kulturwissenschaftliche Beiträge versammelt. Die Suche verläuft ausgesprochen erfolgreich und belegt eine erstaunliche Bandbreite sowie die Kontinuität eines Interesses, das sich gegen das Jubiläumsjahr von 2007 noch beträchtlich steigert. Indem zwar der Fokus auf neueren bis aktuellsten Arbeiten liegt, diese aber stets im Kontext früherer Produktionen gelesen sowie auch Neubetrachtungen älterer Filme und Texte angestellt werden, zielt der wissenschaftliche Blick auf den Bruch mit einem politisch kämpferischen Damals, der heute spielerisch deutungsoffene Beschäftigung erlaubt.

Er wird zwischen den Autoren der ersten und zweiten Generation ausgemacht, also einerseits den Zeitzeugen und „Sympathisanten“ sowie andererseits deren Kindern, den Nachgeborenen, die ohne persönliche Betroffenheit und eigene Erinnerungen ziemlich frei mit der deutschen Terrorgeschichte umzugehen scheinen.
Verlässlich verortet in den oft polarisierten Reaktionen der Medien und Kritik bemühen sich die AutorInnen um Sichtweisen jenseits von Mythisierung und Dämonisierung und legen ihr Hauptaugenmerk auf die Bedeutung vielfältiger, oft provokanter Darstellungsformen. Damit schärft sich der Blick auf die Vermitteltheit und Bedingtheit der Bilder, die nur „nachbilden“ und an die historischen Ereignisse und Visionen nicht herankommen wollen und können. Stattdessen wird die Demontage von Wahrheiten und Gewissheiten sichtbar und deren Konstruiertheit herausgearbeitet, wodurch die revolutionäre Haltung der Terroristen als präpotent oder naiv erscheint. Die Fortschritte in den Repräsentationstechniken werden, im Kontrast zu Aussagen und Perspektiven der Terroristen sowie Werken von Autoren der 1. Generation, in der Entideologisierung und Offenheit der Texte ausgemacht, die Räume für Auseinandersetzungen schaffen und ihre Inszeniertheit selbst reflektieren.

Mit solchen wissenschaftlichen Zugängen wird die Rote Armee Fraktion natürlich austauschbar. Wenn Ideologie und politischer Kampf als überholte Denk- und Handlungsweisen angesehen werden – „die politischen Ausführungen“ in Ensslins Gefängnisbriefen bleiben „den meisten Lesern wohl doch tendenziell fremd“ (101) – haftet der RAF nur mehr eine Radikalität an, die sie v.a. mit anderen Terrorgruppen zusammendenken lässt, aktuellerweise mit der Al Kaida. Dass die RAF bereits mit den Medien umgehen konnte – als ob eine Terrororganisation mit dem technisch medialen Stand ihrer Gegner nicht zumindest mithalten müsste – macht sogar aus ihrem Kampf gegen die „Bild“ ein moralisch fragwürdiges Unternehmen. Wo Konstruiertheit und der Charakter der Performance die wesentlichen Differenzen hervorbringen, erübrigt sich der Blick auf ökonomische Macht- und Herrschaftsverhältnisse, der ganz andere Unterschiede sichtbar machen könnte.

Wenn die Herausgeberinnen die Auffassung vertreten, dass mit der Aufarbeitung der RAF-Geschichte erst begonnen wurde, so führt dieser Band vor, dass es ihm gar nicht (mehr) um ihre Geschichte oder die hegemonialen Diskurse der Postnazizeit, sondern ganz generell um die Gegenwart geht, die sich einfach der historischen Bilder, Figuren, ihrer Liebesgeschichten oder ihres revolutionären Gestus bedient. Gelesen als Gegenwartsdiagnose erweist sich das Buch allerdings als höchst aufschlussreich. Indem die Beiträge ziemlich heterogene Werke in den Blick nehmen, bietet das Buch ein spannendes Kunst- und Kulturpanorama samt den derzeit dominanten Diskursen der Kulturwissenschaften, gerade weil es implizit die prekäre Indifferenz veranschaulicht, mit der eine intellektuelle Elite an den herrschenden Ungleichheits- und Unterdrückungsmechanismen mitträgt. Das künstlerische und wissenschaftliche Interesse bündelt sich stattdessen in einem ganz anderen Fokus: So verdeutlicht bereits die einleitende Zusammenschau der Ausstellungen, Film- und Performance-Projekte zum Jubiläumsjahr 07 die Nationalisierung des historischen Phänomens und der Auseinandersetzung damit. Wie der Holocaust und die Wende, deren NachBilder in derselben Reihe erschienen sind bzw. demnächst erscheinen sollen, wird auch die RAF – jenseits all ihrer internationalen Zusammenhänge und Interessen – als zentrales Trauma genuin deutscher Geschichte gedeutet. Ihrer Inszeniertheit forschen die WissenschafterInnen nach und fördern statt ökonomisch politischer Hintergründe und Globalisierungsstrukturen jede Menge Facetten eines nationalen Selbstverständnisses zutage.

Wie Geschichte bewusst manipuliert und konstruiert werde, wird etwa im Beitrag Sven Glawions verdeutlicht, dem durch die Analyse der Textmuster eine überzeugende Neulektüre von Vespers Autobiographie gelingt. Neben einem Beitrag zu Nicolas Stemanns Jelinekinszenierung „Ulrike Maria Stuart“ mit interessanten kulturgeschichtlichen und intertextuellen Bezügen v. a. in den Fußnoten, sind es insbesondere die Filmanalysen, die unter Heranziehung verschiedener Vergleichswerke über veränderte Sehgewohnheiten auf die RAF einen Wandel deutscher gesellschaftlicher Klimata ableiten. In den Filmanalysen der ersten Generation, zwei Produktionen Fassbinders, geht es Jörn Ahrens um die Rolle der Sympathisanten, deren Feindbilder in der Presse sowie die verdeckte Erkenntnis einer „Bigotterie der Linken, die keinesfalls besser ist als ihre Antipoden“ (133). Die von ihm kritisierte Undifferenziertheit der „politischen“ Vergangenheit wird hingegen anders lesbar, wenn Wolfgang Kabatek auch unter Heranziehung kritischer Philosophen wie Benjamin und Marcuse die Veränderungen im Blick auf die RAF im Oeuvre Fassbinders als RWF entlarvt, als „Revolte Weltanschauung Fasching“.

Als aufschlussreiche Gegenwartsdiagnose erweisen sich daneben auch die Auseinandersetzungen mit den neueren Filmproduktionen, die zusammen mit Theaterinszenierungen und Romanen gedeutet werden. Claudia Breger etwa arbeitet über die Ästhetik und Politik Schlöndorffs eine aktualisierende Historisierung der RAF-Geschichte heraus, Anne-Kathrin Griese sowie Kirsten Möller setzen sich mit dem „familiären Blick“, dem Privaten sowie dem Thema der Generationen auseinander und nehmen damit jene Aspekte in den Blick, unter denen Motive für den Terror sowie eine moralische Haltung zu ihm heute bevorzugt diskutiert würden.
In den „Bilderpolitiken“ wird die RAF in ihrer Vorreiterrolle im Bildterrorismus ausverhandelt, werden Bedeutungen und Wirkungen ihrer geschlechtlichen Codierung vorgeführt. Die AutorInnen reflektieren die Formen der neueren NachBilder, in Abgrenzung oder Überblendung mit kanonisierten Größen wie Shakespeare und Schiller oder zeitgenössischen Texten der RAF, als anders strukturierte Orte der Erinnerung, die keine kohärente Lesbarkeit und Interpretation mehr zuließen. Während in Peltzers „Bryant Park“ die Demontage des Konzepts originärer Autorschaft ebenso wie des Mythos der Zäsur betrieben werde, wird die Installation „Konspiratives Wohnkonzept ‚Spindy'“ als ebenso brauchbarer Erinnerungsort des RAF-Phantoms interpretiert, der sich jedoch eindeutiger Bedeutungen entziehe. Evelyn Annuß liefert in diesem Diskurs einen interessanten „Versuch über Isolationszelle und Guckkasten“ und lotet in der Ästhetik H. Müllers und E. Jelineks das politische Potential aus.

Dass die ProtagonistInnen der RAF längst auch poptauglich und somit auch interessant für das Geschäft geworden sind, wird abschließend anhand verschiedenster Bücher, Fotobände, Songs und Devotionalien belegt. Dabei kommen einzelne Beiträgerinnen zum Schluss, dass es sich nicht immer um unreflektierte Verklärung und Mythisierung, um den Ausdruck nicht zielgerichteter Bewunderung eines bestimmten Habitus handle. Im parodistischen Umgang, wie bei Erin Cosgrove, würde, so Karin Bauer, die Vermarktung bloßgestellt, die Hoffnung auf revolutionäre Veränderung bliebe also erhalten. Problematisch werde diese, wo, wie in den Texten Bessings und Staffels, gelesen von Anne Lena Mösken, der Terrorismus zwar als Mittel der Gesellschaftskritik fungiere, letztlich aber keine Utopien mehr verfügbar wären. Wenn die im Popkontext neu geschaffenen „Mythen“ der RAF die Rezeptionspraxis reflektieren oder Terrorismusängste unterlaufen, liefern sie, so Helena Dawin, sehr wohl genuin gesellschaftskritische Beiträge und Gegenwartsbefunde.

Allerdings zeigt sich auch im „Prada-Meinhof-Abschnitt“, wie im gesamten Buch, dass die RAF mitsamt ihren HeldInnen austauschbar ist, da Ideen, politische Ziele und ihre Handlungen nicht „nachgebildet“ werden oder ihnen von der Kritik nicht nachgegangen wird. Sie sind inkompatibel geworden mit den aktuellen Diskursen der Kultur und ihrer Wissenschaften, weil man damals noch zwischen links und rechts differenzierte, über Visionen und Pläne verfügte und sich deshalb auch an deren Umsetzung versuchen konnte. An dieser Zeit, da es noch unhinterfragte Autorschaften, Ideologien und interpretier- sowie kritisierbare Herrschaftsverhältnisse gab, die jeden nationalen Kontext sprengten, scheint die Lust abhanden gekommen zu sein. Würde nicht ab und an gegen ihre radikalste Gruppe – stellvertretend für kaum zur Sprache gebrachte andere Bewegungen – moralisch der Zeigefinger erhoben. Fast wie in alten Tagen, wo man auch zwischen gut und böse sich zu unterscheiden wagte.

Inge Stephan, Alexandra Tacke (Hg.) NachBilder der RAF
Literatur – Kultur – Geschlecht. Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte. 24.
Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2008.
328 S.; brosch.
ISBN 978-3-412-20077-0.

Rezension vom 18.11.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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