Bedächtig und ruhig legt Haidegger in der titelgebenden Erzählung die beklemmende Atmosphäre eines kleinfamiliären Haushalts offen, die Handlungen des älteren Ehepaars sind starr und von ständigen Bemühungen und Ängsten geprägt. Abends folgen die Abläufe klaren Richtlinien, die der Mann entworfen hat. „Er stellt den Fernseher an, rollt ihn mit dem Teewagen nach rechts, öffnet die Küchentüre ganz und nimmt den Platz auf der Eckbank ein, Fernbedienung in der Hand. Die Frau trägt das Essen auf, bedacht nicht zwischen ihn und den Bildschirm zu kommen. Der Mann kommentiert die Nachrichten nicht. Die Frau trinkt Mineralwasser, füllt sein Glas automatisch nach, der Wein hat die richtige Temperatur.“ Die Hoffnung durch möglichst routiniertes und reibungsloses Handeln ein Gefühl der Zufriedenheit und des Halts zu erfahren, entpuppt sich als Farce. Zu stark wirken die inneren Handlungsanweisungen auf „den Mann“ und „die Frau“, die vorerst namenlos bleiben. Nach dem Fest beschreibt auf parabelhafte Weise die Ängste und Zwänge einer mitteleuropäischen Kleinfamilie, die Personen leben auf engem Raum, teilen ihr Leben und das Bett, sind sich jedoch fremd. „Sie umarmt und küsst die Kinder, seine Umarmungen erträgt sie mit geschlossenen Augen und hinterher wird sie „Schlaf gut, Harald“ sagen. Er sieht seine Familie an, als sei sie ihm fremd.“ Und auch die Frau bleibt einsam, ein beklemmendes Geheimnis muss sie für sich behalten, möchte sie doch niemandem zur Last fallen.
1976 veröffentlichte die in Salzburg lebende Autorin Christine Haidegger ihren ersten Lyrikband „Entzauberte Gesichte“, auf ihn folgten Romane, Erzählungen, Reiseberichte und Hörspiele. Zuletzt erschienen „Herz. Landschaft. Licht“ (2009) und US-Reiseskizzen mit dem Titel „Texas Travel“ (2010). Ihr Ende der 1970er Jahre veröffentlichter Debutroman „Zum Fenster hinaus“ wurde 2016 neu aufgelegt. Im nun vorgelegten Erzählband „Nach dem Fest“ zeigt die Autorin, dass sie in unterschiedlichen Gattungen versiert ist. Ihre Texte zeichnen sich durch Wandelbarkeit in puncto Sprachstil, Tempo und Perspektive aus.
In rasantem Tempo etwa entwirft der Ich-Erzähler in „Zwischenraum“ in einfachen, kurzen Sätzen seinen Blick auf die Welt. Und lässt die LeserInnen erst einmal im Unklaren über seine Identität. „Technikraum. Ich hasse Aufschriften. WC. Büro. Büro. Büro. Ich hasse die Firma.“ Letzteres könnte auf einen nicht unwesentlichen Teil der Bevölkerung zutreffen. Doch die Figur verbringt nicht nur die Arbeitstage in der Firma, sondern auch die Nächte, in der Putzkammer. Denn das Einkommen ist, wenn man Geld sparen möchte, als Reinigungskraft für eine eigene Unterkunft zu gering. Auf wenigen Seiten gelingt es der Autorin nicht nur treffend eine Figur und ihre Wahrnehmung zu skizzieren, sondern auch einen präzisen Blick auf das gegenwärtige Prekaritat einzufangen. Erzähltempo und die einfachen, kurzen Sätze entsprechen der Figur. Etwas zu schemenhaft und simpel gerät hingegen die Hauptfigur in „Anna in Venedig“, die zu den längsten Erzählungen im Band zählt. Sie hält sich für längere Zeit in Venedig auf, kennt sich aus und weiß wo es preiswerte Küche gibt. Darauf bildet sie sich auch etwas ein. Es häufen sich die Formulierungen der „grinsenden“ Anna, die „schelmisch“ bravurös den Alltag in Venedig meistert.
Neben der Vielzahl an Orten des Geschehens – so führen die Erzählungen nach Ägypten, Italien oder in die österreichische Provinz – sind auch die zeitlichen Verortungen vielfältig. „Mutterbrot. Vaterstaat“ beginnt 1942 in einer winzigen Küche und erzählt die Geschichte des Kindes Dora, das mit ihrer Mutter in den Nachkriegsjahren hamstern geht. Nach einem Autounfall wird die nun ältere Frau rund um die Feierlichkeiten zu „sechzig Jahre seit dem Staatsvertrag, siebzig Jahre nach dem Kriegsende“ als Rollstuhlfahrerin von einem älteren Mann auf der Straße angeklagt: „Solche hat’s früher ned geb’n, da hat’s a Programm geb’n für solche und des gherat glei wieda eigführt, wann’s nach mia gang, aba glei aa nu!“
Haidegger stellt in ihren Erzählungen die Brüche und Kontinuitäten der österreichischen Zeitgeschichte dar, unternimmt aber auch einen Ausflug in mögliche künftige Szenarien. In „Der Traum von Salzburg“ hat die Stadt Salzburg eine Maßnahme gegen den übermäßigen Tourismus ergriffen. Nun wuseln keine Massen mehr durch das Zentrum, dafür gibt es lange Schlangen vor den Ticketschaltern „wo der Eintritt in die mit mönchsberghohem Plexiglas durchsichtig abgeschirmte und überdachte Altstadt zu bezahlen ist“. EinwohnerInnen dürfen die Stadt zwar gratis betreten, jedoch nur solange das Kontingent in dieser Kategorie nicht ausgeschöpft ist.
Schonungslos und präzise richtet die Autorin ihren Blick auf prekäre soziale und familiäre Gefüge. Sie spannt dabei den Bogen von unmittelbaren Nachkriegserfahrungen bis hin zum gegenwärtigen Krisenmodus. Den unterschiedlichen Jahrzehnten ist die beklemmende Atmosphäre gemein, stets sind die Anlässe für Feste und ausgelassene Stimmung äußerst überschaubar. Neben dem versierten Einsatz von raschen Perspektivenwechsel, Sprachstilen und unterschiedlichen Erzähltempi punktet „Nach dem Fest“ damit, den Blick auf gewaltsame Komponenten in sozialen und familiären Gefügen freizulegen, ohne dabei in Zurechtweisungen abzudriften. Die Erzählstimme besticht mitunter durch eine sachliche Grundhaltung: „Die Frau will alles richtig machen (…). Dieses Fest muss perfekt sein.