#Sachbuch

Nach dem Ende der Welt

Michaël Foessel

// Rezension von Christian Zolles

Der französische Philosoph Michaël Fœssel veröffentlichte unter dem Titel Après la fin du monde/Nach dem Ende der Welt 2012 resp. 2019 in der gelungenen Übersetzung von Brita Pohl eine Kritik der apokalyptischen Vernunft. Ihm zeigt sich allgemein das Denken vom Ende der Welt als ein Missverständnis, da sich der diffuse „Welt“-Begriff lediglich als konsensuale Metapher und „Wahrnehmungsglaube“ (Maurice Merleau-Ponty) zwischen verschiedensten Milieus und Wissensbereichen etabliert habe, ohne in realiter verankert zu sein. Auszugehen sei vielmehr seit gut zweihundert Jahren von einem Weltverlust, von einem Akosmismus, schließlich von einer „Erfahrungsarmut“ (Walter Benjamin), bei der sich das Individuum in diskursive, mediale, technisch-industrielle Ordnungen gestellt sieht, in denen ihm die Fähigkeit abhandenkommt, seine Handlungen in Narration zu übersetzen und sich in signifikanter Weise auf die Welt zu beziehen. Man könne davon ausgehen, dass mit dem Verlust des Vertrauens in den Kosmos „die Neuzeit aus einer Katastrophe entstanden ist“ (50f.) und die Moderne von einer Furcht zur nächsten taumle. Der ständige Alarmismus und Katastrophismus sei aber „von seinen ersten konterrevolutionären Erscheinungen bis zu seinen zeitgenössischen ökologischen Ausdrucksformen fast immer antimodernistisch“ gewesen, ohne bei der pauschalen Fortschrittskritik zu hinterfragen, „ob das Ende der Welt als Kosmos oder als abgeschlossene Natur nicht eine Gelegenheit ist, ein neues Denken und neue Praktiken hervorzubringen.“ (13f.) Dem Weltverlust nicht mit der Suspendierung aller Hoffnung, sondern mit einer Aktualisierung der aufklärerischen und emanzipatorischen Kräfte zu entgegnen, hat sich Fœssel – erfolgreich und sehr lesenswert – zum Ziel gesetzt.

Um an den Punkt zu gelangen, an dem nicht Mitteln der Expertise, sondern der Weltwiederaneignung aus dem Verlust hinausführen, wird dieser im ersten Teil der Studie recht klassisch ausgehend von der Figur des absoluten Souveräns bei Thomas Hobbes nachgezeichnet, mit einigen Seitenschwenks u. a. zum dem politischen Konzept des Apokalyptischen entgegenstehenden Messianischen. Besonders bedenkenswert ist die auf Pierre Bourdieu aufbauende Argumentation, wonach das Denken in symbolischen „Welt“-Kategorien immer auch ein privilegiertes Vertrauen in Gegenwart und Zukunft voraussetzt, welches eben den Deklassierten fehlt. Insofern spiegelt sich in den Reden vom Ende der Welt immer auch schon das symbolische Kapital derjenigen, die überhaupt einen öffentlichen Status zu verlieren haben – die apokalyptische Vernunft erweist sich damit immer auch grundlegend als system- und erwartungserhaltend, während andere, radikalere oder unschickliche Stimmen ausgeschlossen bleiben müssen. Im philosophischen Diskurs lässt sich das anhand von Immanuel Kants Ausführungen über Das Ende aller Dinge zeigen, in dem vor dem Hintergrund der französischen Revolution und der Terreur das aufklärerische Denken der Gegenwart auf der Probe steht und als Ausweg eine Neutralisierung des Motivs des Weltuntergangs erfolgt.

Nach der genealogischen Herleitung nicht nur über Kant, sondern auch über Max Weber, Hannah Arendt, G. W. F. Hegel und schließlich auch Martin Heidegger wird im zweiten Teil eine philosophische Diagnose des Weltverlustes in der Gegenwart gestellt. Erfrischend auch hier Fœssels essayistischer Stil, der trotz zahlreicher Querverweise und Intermezzi, zuweilen auch mancher Redundanzen doch niemals ermüdend wirkt und immer klar auf sein Ziel hinarbeitet: Argumente zu liefern, um „einen Raum zu errichten, in dem Leben nicht nur geschützt werden müssen, sondern als authentische Anfänge auftauchen können.“ (S. 247) Der zu propagierende Kosmopolitismus ist also nicht esoterisch zu verstehen, sondern in der Auseinandersetzung mit den starren Regulierungs- und Repressionssystemen, wie sie institutionell etwa von NGOs vorgeführt wird: „Ihr Verdienst hat nichts mit Gefühlsduselei zu tun …. Er hat mit dem Kampf zu tun, den diese Organisationen gegen die Gefühllosigkeit gegenüber Rechtsbrüchen führen ….“ (S. 292)

Fœssel hält eine dreifache Verschiebung im Umgang mit dem modernen Katastrophismus für notwendig: das Vorrücken von offenen demokratiepolitischen Perspektiven, anstatt den Wissenschaften alleine die Autorität für einen sukzessiven Kontingenzabbau angesichts der drohenden Zukunft zuzugestehen; die Fokussierung nicht auf „Welt“ und ihr Ende, sondern auf „Leben“ und seine Gestaltung; sowie drittens nicht nur die Notwendigkeit einer Kritik des Denkens an und für sich, sondern der Wiedererlangung all jener durchtechnisierten und -automatisierten Prozesse des Lebendigen, die das Mögliche in der Gegenwart „katastrophisch“ verstellen. „In dieser Hinsicht entspringen die Illusionen der apokalyptischen Vernunft aus der Tatsache, dass sie als ein Ende interpretiert, was ebensogut ein Anfang sein könnte.“ (S. 297) Ein notwendiges Buch über die Begründung von Anfangszeiten.

Michael Fœssel Nach dem Ende der Welt. Kritik der apokalyptischen Vernunft.
Übersetzt aus dem Französischen von Brita Pohl.
Wien: Turia + Kant, 2019.
309 Seiten, broschiert.
ISBN: 978-3-85132-936-0.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 14.07.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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