#Roman

Mutterseele

Gabriele Kögl

// Rezension von Daniela Völker

„Wenn ich mir das Hochzeitsfoto anschaue von meinem Mann und mir, dann hätte man glauben können, daß wir ganz andere Kinder hätten kriegen müssen.“ Die Erzählerin aus Gabriele Kögls neuem Roman Mutterseele muss die bittere Erfahrung machen, dass Kinder nicht immer so werden, wie man das als Eltern gerne möchte. (Fast) am Ende ihres Lebens angelangt, wirft sie einen Blick zurück und erzählt ihre beklemmende Familiengeschichte, die ihren Ursprung in der österreichischen Provinz, genauer in Steiern, hat. Im Mittelpunkt stehen dabei meist ihre drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter.

Der uneheliche Sohn, der in den Nachkriegsjahren in einem Keller „aus Liebe“ gezeugt wurde, wuchs vater- und zeitweise auch mutterlos auf, weil die Mutter nicht zu ihrem Kind stehen und den Vater des Kindes, den Nachbarsjungen, heiraten durfte. Die Familie hatte Größeres mit ihr vor. Die anderen beiden Kinder, eine Tochter und ein weiterer Sohn, stammen vom Ehemann, der zum Zeitpunkt der Erzählung bereits verstorben ist.

Alle Berichte über die Familie haben eines gemeinsam: sie zeigen die Unzufriedenheit einer Mutter, die an ihrem Lebensabend in Armut alleine vor sich hin vegetieren muss. Denn alle haben sie verlassen: Der ledige Sohn wanderte nach Deutschland aus und erweist sich schließlich als zu schwach für die Welt: Er hat sich erschossen, nachdem sich seine zweite Ehefrau einen Neuen gesucht hatte; die Tochter ist schon in frühen Jahren nach Wien gezogen, das zwar nicht so weit weg ist wie Amerika, wo die Nichte der Mutter inzwischen wohnt. Dort hat sie gefaulenzt, wie die Mutterseele immer wieder betont, nie hat sie sich die Hände schmutzig gemacht, immer hat sie sich nur für Bücher interessiert. Die Tochter fing an zu studieren und verschrieb sich schließlich der Schauspielerei. „Schauspielerin ist sie geworden und spielt jetzt lauter greisliche Sachen, die sich ein anständiger Mensch sowieso nicht anschauen würde.“ So berichtet die Mutter von einer Fernsehübertragung der „Präsidentinnen“, wo die Tochter die ganze Zeit nur auf dem Klo gesessen und übers kacken philosophiert habe, so dass man sich als Mutter schämen musste und tagelang nicht vor die Haustüre treten konnte. Dabei hätte die Tochter es so einfach haben können. Sie war zwar in den Augen der Mutter schon immer eine seltsame Person, die nicht gerne redete, dennoch waren die Männer an ihr interessiert, u. a. der Tierarzt aus dem Dorf. Dass diese kurze Liason gescheitert ist, wirft die Mutter ihrer Tochter immer wieder vor; denn durch eine Heirat mit dem Tierarzt wäre die Familie in ganz andere Kategorien aufgestiegen, so dass die neidischen Nachbarn „nur so“ geschaut hätten.

Über das dritte Kind, den ehelichen Sohn verliert die Mutter nur wenig Worte; er betreibt mit ihr und seiner Frau den Familienbetrieb weiter; allerdings macht er alles anders, als sie es machen würde. Der Ehemann ist bereits verstorben, ein Mann mit einem Hang zum Alkohol, der gefressen hat „wie ein Drescher“. Der anfänglichen Verliebtheit folgte in dieser Ehe auch schon bald eine kalte Ernüchterung. So galt es die Ehe auszuhalten, wie es das Leben als Mutter in der österreichischen Provinz auszuhalten gab. Aushalten, das war das Lebensziel einer Mutter, die schon von Kindesbeinen nichts anderes kannte als die körperliche Arbeit und die alles und jeden verdammte, der anders war. Arbeit war für die Mutter die physische Arbeit auf dem Bauernhof; diesen Hof verließ sie äußerst selten. Sie wusste ja schließlich, wo die Heimat sei – im Gegensatz zu ihren Kindern. Sie brauchte keine Großstadt und kein Meer.

Das Jammern der Mutter geht immer so weiter; nichts gibt es in ihrem beschränkten kleinbürgerlichen Leben, das nicht von ihr kritisch beäugt wird. Nichts, worüber sie wirklich glücklich ist, – was schwer fällt, wenn man bedenkt, dass sich der eigene Sohn umgebracht hat (immerhin im eigenen Mercedes!) und immer auch ein wenig die eigene Schuld mitschwingt. Ungeniert denkt, fühlt, schimpft, kritisiert und jammert hier eine Mutter – ohne dabei sich und ihre Taten in Frage zu stellen.

„Mutterseele“ ist in einem einzigen Monolog geschrieben, was eintönig sein könnte – ist es jedoch nicht. In der Person der Mutter, in ihren Aussagen und Werten steckt pure Provokation, aber auch eine gewisse Realität und ein hohes Identifikationspotential. Wer Kögls 1994 erschienen Roman „Das Mensch“ kennt, erkennt in der Ich-Erzählerin die Mutter der kleinen Karla wieder, eine Geschichte wird weitererzählt.
Was den Roman „Mutterseele“ ausmacht, ist seine Sprache. Hier spricht eine Seele in der Tradition einer Elfriede Jelinek und Marlene Streeruwitz. Eine idiomatische, mündliche Kunstsprache, eine grammatikalische Gesteltztheit sowie die aggressive Tönung der Aussagen erinnern vor allem an die Nobelpreisträgerin von 2004. Das Prosastück wäre problemlos als Bühnenmonolog einsetzbar und lässt sich somit mühelos in die Tradition der österreichischen Tiradenprosa einreihen.

Auffallend sind zudem die vielen Widersprüchlichkeiten, die in der Person der Mutter angelegt sind. In sexuellen Dingen zeigt sich die Mutter beispielsweise recht generös, etwa wenn sie der jungen Enkelin bald ein Baby wünscht, damit sie ihren reichen Freund an sich binden kann; auf der anderen Seite redet sie ihrer Tochter durchaus in ihr Liebesleben hinein (sie solle doch noch den Tierarzt nehmen). Sie selbst hat schnell die Freude an der körperlichen Liebe verloren, bei ihrem immer fülliger werdenden Mann. Der erhobene Zeigefinger, der sich insbesondere an den Wert der Heimat klammert und der sich durch den Roman zieht, perfektioniert schließlich das Bild dieser „Mutterseele“: Die Erfahrungen der Mutter und das Scheitern der Menschen offenbaren, dass man das Glück nicht in der Fremde finden kann, wie das ihre Nichte und ihre Kinder versucht haben. Ob man es in der Heimat finden kann, muss aufgrund des mütterlichen Jammerns fraglich bleiben.

Gabriele Kögl Mutterseele
Roman.
Göttingen: Wallstein, 2005.
155 S.; geb.
ISBN 3-89244-926-0.

Rezension vom 29.12.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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