#Prosa

Mutter und der Bleistift

Josef Winkler

// Rezension von Peter Clar

Ein Requiem für die Mutter

More of the same – But different

Klappentexte, Verlagsaussendungen, Titel und Interviews von AutorInnen muss man immer mit Vorsicht genießen. „Ein Requiem für die Mutter“ solle demnach Josef Winklers Mutter und der Bleistift sein, in Anspielung auf Roppongi. Requiem für einen Vater. Doch das ist dieser Text nicht – oder nicht nur. Denn zum einen vereint der Band zwei Texte, Da flog das Wort auf und eben Mutter und der Bleistift; und zum zweiten ist auch der titelgebende, und um einiges längere, zweite Teil keineswegs ein reines „Requiem“ für die Mutter (des Winkler’schen Alter Egos, nicht von Winkler selbst, wie es, alle AutorInnenschaftstheorien der letzten Jahrzehnte ignorierend, manche RezensentInnen behaupten).

Doch der Reihe nach.

In Da flog das Wort auf variiert Winkler einen Ausschnitt aus „seiner“ bereits vielfach erzählten Kindheit, jenen Ausschnitt, dem im Gesamtwerk Winklers insofern eine Schlüsselrolle zukommt, als dass er das Verstummen in seinem Elternhaus, die Sprachlosigkeit, die den Winkler der Texte letztendlich zum Schreiben bringt, darauf zurückführt: die Nachricht vom Tod des dritten der Brüder seiner Mutter, Adam, gefallen in Jugoslawien. Ungewöhnlich genau wird dieser beschrieben: „[A]uch in seiner Todesminute soll er übereifrig gewesen sein und als erster mit einem Maschinengewehr in der Hand – so schilderten es seine überlebenden Kameraden – auf der Suche nach dem Feind eine Tür aufgetreten haben und in einen Keller eingedrungen – und durch eine Mine in mehrere Stücke zerrissen worden sein.“ Neben solchen, im Verhältnis zu früheren Texten neuen Schwerpunktsetzungen, so wird beispielsweise auch die Rolle der Mutter etwas, wirklich nur etwas stärker betont, scheint sich Winklers Text von seinen früheren, die immer wieder dieselbe Kindheitsgeschichte variieren, egal ob ausgehend von Italien, Varanasi oder Japan, in erster Linie durch die den Text in Bewegung versetzenden und strukturierenden Elemente zu unterscheiden. Die Orte, die als Ausgangspunkt für die in die Vergangenheit und nach Kärnten zurückkehrenden Gedanken des Erzählers namens Josef Winkler dienen, sind diesmal die buddhistischen Felstempel Elloras in Indien, die Literatur, die zu den Assoziationen führt, Ilse Aichingers Kleist, Moos, Fasane.

„More of the same“ also?

Mitnichten. Denn der Ton Winklers ist ein anderer geworden. Nicht weniger wortgewaltig, nicht weniger (scheinbar) genussvoll die Rituale des Todes, die Momente des Sterbens in barocker, litaneihafter Sprache beschreibend, die Verbindung von Religion und Gewalt, die versäumte Vergangenheitsbewältigung, die dunklen Seiten des bäuerlichen Lebens zeigend, ist dem Text eine Zartheit inhärent, die es bei anderen Texten Winklers zum Teil schon auch gab, die aber oft im Sprachfuror des Autors untergegangen ist. Es sind hier nicht mehr die faschistischen Greise mit dem Pandapigl um die Augen wie in Wenn es soweit ist, die zu Allerheiligen von Weltkrieg und Tod sprechen; es ist nun doch so etwas wie Liebe im Spiel, wenn der Vater, eben zu Allerheiligen oder zu Weihnachten, von den toten Brüdern seiner Frau spricht, der Vater, der „Ackermann aus Kärnten“ der nun auch, wie schon in Roppongi als verletzlich gezeigt wird: „Der Großvater, den er über alles, wie er sagte, geliebt habe und über dessen Tod er als Kind bitterlich geweint habe, so erzählte es mir der Vater mit Tränen in den Augen – und manchmal auch über seine faltigen, ledernen Wangen herunterrinnenden, uralten Tränen […].“

Und auch die Beziehung zwischen Vater und Mutter bekommt etwas Freundliches, ja Erotisches: „Die Anekdote mit der Holzleiter, die mein Vater im Garten erstieg, […], um zur jungen, schönen Frau zu gelangen, geisterte jahrzehntelang durch die Verwandtschaft zur Erheiterung meines Vaters und zur Verlegenheit meiner im Gesicht rot anlaufenden und sofort schneller den Löffel im Kochtopf rührenden Mutter.“

Diese Tendenz wird im zweiten, dreigeteilten Teil des Buches, Mutter und der Bleistift beibehalten. Natürlich rückt, und insofern kann man den Interviews, den Klappentexten und Verlagsaussendungen zumindest zum Teil Recht geben, die Mutter stärker in den Vordergrund als in anderen Texten Josef Winklers. Doch gibt es wenig, was inhaltlich wirklich neu wäre. Die Geschichte der jüngeren, streng gläubigen Frau, die verstummte, als sie erfuhr, dass auch ihr dritter Bruder gefallen war, ist jedem, der sich mit Winkler beschäftigt hat, bekannt. Und plötzlich erkennt man in der Rückschau – ein Beweis, dass nicht nur ältere Texte jüngere beeinflussen, sondern, dass es zeitlich auch umgekehrt sein kann -, wie präsent in den älteren Texten Winklers die Figur der Mutter eigentlich war. Auch der Tod der Großmutter, die Geschichten über Winklers Taufpatin, das überfahrene Kind aus dem Nachbardorf, all diese Geschichten kennt man. Was aber neu ist, ist auch in diesem Text Winklers Tonfall und der Blickwinkel. Die Depression der Mutter wird da endlich wirklich als Depression bezeichnet, die Beziehung zwischen den Geschwistern und dem Erzähler hat auch durchaus ihre liebevollen Momente, selbst der in vielen Texten als unnahbar gezeichnete Vater wird in manchen Szenen als liebevoll und stolz gezeigt, sowohl im Umgang mit Josef „(Immer wenn der Vater davon erzählte, war er stolz auf meine kindliche rebellische Haltung […]) als auch im Umgang mit den anderen Kindern: Mit dem männlichen Nachzügler hatte mein Vater eine kindische Freude und kokettierte mit ihm oft in der Kindersprache.“

In Toulouse und Lagrasse, in Pune und in Kiew sich aufhaltend und Peter Handke lesend, schweifen die Gedanken des Erzählers zurück nach Kärnten, vermischen Gesehenes, Gelesenes und Erlebtes, verweben es, erzählen nichts Neues, aber bereits wieder und wieder Erzähltes neu (und was anderes ist Literatur, als bereits Erzähltes zu erzählen, aber eben neu und anders).
Dieser neue Text, der eine mit den vorgängigen Texten nicht idente Wiederholung darstellt – aus dem die Jesusstatue gestohlen habenden, dafür seine Arme im Zweiten Weltkrieg verloren habenden Frevler werden in diesem Text beispielsweise gleich zwei, als wolle der Autor uns darauf hinweisen, dass das alles Literatur, keine Autobiografie ist, dass er erfinden darf und kann – fügt Winklers Schaffen eine weitere Facette hinzu, hinterfragt damit die älteren Texte (und die älteren Texte diese neuen), und unterläuft damit die Idee, dass es sich bei Winklers Texten um „Autobiografien“ handeln könnte. Winklers Texte, so auch diese zwei, umkreisen das zu Erzählende, engen es ein, variieren Worte und Sätze ohne jemals zum Ziel zu kommen. Die Sprache, und der Prozess des Schreibens ist es, der bei Winkler zählt, nicht allein die Geschichte. Und diese Sprache ist es auch, die Mutter und der Bleistift so lesenswert macht.

Mutter und der Bleistift.
Berlin: Suhrkamp, 2013.
90 Seiten, Klappenbroschur.
ISBN: 978-3-518-42358-5.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

 

Rezension vom 01.05.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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