Von MUTTER BRENNT, ihrem wohl bekanntesten Titel, gibt es so gut wie keine Besprechung. Das verwundert und irritiert. Denn – und das sei hier vorweg genommen – es gehört wohl zum Spannendsten, was ich in der letzten Zeit gelesen habe. Zum Spannendsten und zum Mutigsten. Und zum Schwierigsten. Sophie Reyer hat sich in MUTTER BRENNT dem Wahnsinn verschrieben. „Mir ist das Ganze nicht geheuer“ heißt es da am Ende von einer Nebenfigur. Und in der Tat: Als Leser fragt man sich von Abschnitt zu Abschnitt, was ist die Geschichte?
Es geht um Luise, 34. Sie hat zwei Kinder, Clemens und Ina, zu denen es auch einen EX, den Kindesvater, gibt. Und schon beginnt das Rätselraten, denn der behauptet doch tatsächlich, Luise hätte gar keine Kinder. Und sie hat nach einem Urlaub in Cannes einen Lover. Clemens, den es nun gibt oder auch nicht, hält nächtens Zwiesprache mit der toten Großmutter. Bald auch unter Tags als „Klarsichtfolie“. Ina, die Tochter, die es nun gibt oder nicht, „verkriecht sich in den Worten“. „Alles, was du tust, ist lesen“, sagt ihre Mutter und „Die Sprache lächelt“. Die Sprache, sie ist der Motor dieser Geschichte, die von der „Unmöglichkeit einer Geschichte“ erzählt. Die Sprache steht einmal „daneben und sieht zu“. „Die Sprache hilft, dass die Zeit vergeht.“ Es wird hinter ihr hergelaufen. Und sie haut mitunter ab.
Dann folgt entweder wie im Film ein Schnitt. Oder es tritt Stille ein. Dann wird gerne auch mal „geguckt“, „gestiert“, „gegiggelt“, oder es „knarzt“ mal eben wieder ein Fußboden. Neben der Sprache gibt es noch etwas Zweites, das diesen Text trägt: die Farbe ROT. Rot ist die Angst, Feuer, die Trauer, der Schock und auch schon mal der Weihnachtsmann. Das ist das Trügerische an MUTTER BRENNT. Alles erscheint so real, ist in einer knappen, präzisen Diktion so wirklichkeitsnah erzählt, dass auch das „Ungeheure“ als unaufgeregte, nüchterne Selbstverständlichkeit daherkommt. Selbst dann, wenn Ina psychisch erkrankt, in den See und damit in den Wahnsinn geht. Oder wenn am Ende auch noch eine gewisse Elmira ins Spiel kommt, eine Zaunreiterin (sprich:Hexe) aus dem Heimatdorf von Eva, der Mutter von Luise. Zu kompliziert? Nicht genug der Irritation, dann verrate ich auch noch, dass sich Mark, Luises französischer Lover, am Ende als „so einer, der früher Frauen verbrannt hat“ outet. Je näher Sophie Reyer ihren Figuren kommt, umso mehr tritt sie mitleidslos in Distanz zu ihnen. Hilfreich ist da vielleicht der Epilog. Vom Fallen ist da die Rede, aber ein Fallen nach oben. Sophie Reyer hat mit MUTTER BRENNT auch unsere Lesegewohnheiten gehörig auf den Kopf gestellt. Und gezeigt, wie Literatur geht, die nicht so wirklich von dieser Welt ist.