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Mozarts Vision

Franzobel

// Rezension von Antonella Cerullo

Franzobels neues Buch ist eine kleine Sammlung von diversen Texten, die der Autor in letzter Zeit publiziert hat. Den Kern bildet das Theaterstück „Mozarts Vision oder das totale Theater“; um das Stück herum sind „Materialien“ und „Collagen“ gruppiert, insgesamt ergibt das eine amüsante und abwechslungsreiche Lektüre.

Auf den ersten Blick scheint es, als ob man schon wieder in eine der alten Debatten über die österreichische Identität geraten sei. Die Mittel, auf die Franzobel zurückgreift, sind „klassisch“: Sprache und Mythos. Einerseits handelt es sich um die Sprache als Trägerin einer österreichischen Identität, andererseits geht es um die Tendenz, prominente Österreicher zu Identitätsvertretern des Landes zu machen. Diesmal ist die Rede nicht vom „Habsburgischen Mythos“, sondern von Mozart.

Und es geht letzten Endes auch um das Verhältnis der Österreicher zu ihrer Identität. Franzobel ironisiert dies besonders in: „Österreich ist schön oder über Identität und Sprache“. Hier stellt er das „Deutsche“ und das „Österreichische“ gegenüber, beklagt den Verlust der österreichischen Sprache und verschärft schließlich den Diskurs rund um die Identität anhand des Gedichtes „Österreich ist schön“, das durch die ständige Wiederholung des Satzes „Österreich ist schön“ die LeserInnen / ZuhörerInnen (das Gedicht ist Teil eines Vortrages, den der Autor im September 2002 gehalten hat) zum Lachen bringen soll.

Ähnliche Aspekte zeigt das Plädoyer am Anfang des Buches. Darin verteidigt der Autor „eine sportfreie Zone“, die in Wien das mythische Wiener Kaffeehaus ist – eine sehr originelle Art über das Kaffeehaus zu berichten, das Franzobel quasi als unverändertes, stressfreies Überbleibsel hochhält.

Einerseits also der Verlust der Identität, andererseits das Festhalten am Mythos, der die Veränderung der Geschichte überlebt und die Gegenwart verschönt. Sollte das eine Kritik an der Verweigerung der Gegenwart durch die Flucht in die Vergangenheit sein? Franzobel präsentiert und collagiert auf amüsante Weise, beispielsweise durch die vehemente Hervorhebung der Vermarktung des weltberühmten Komponisten und die Anspielungen auf Mozartkugeln oder das Geburtshaus Mozarts. Die Ironie des Autors kommt im Theaterstück voll zu tragen, wenn halbtote Japaner auf die Bühne „geregnet“ werden, die im Chor sagen „Gott sehen heißt stelben“ und am Ende des Stückes sagt Magdalena, eine der Figuren: „er stirbt. […] Armer Wolfgang. Wo sind jetzt die Leute vom Musikverein, die Philharmoniker und die, die Kugeln aus dir machen wollen? Wo denn? Wo?“

Die Opposition Wien / Provinz scheint mir ein weiterer wichtiger Aspekt, den Franzobel aufgreift. So erzählt Mozart am Anfang des Theaterstückes seine Vision: „Ich will nicht untergehen. Karriere will ich machen. Eine Kunstratte will ich werden. Euch steht ja das Wasser der Provinzialität schon bis zum Hals. Ich aber habe eine Vision, ich sehe mich in Wien.“ Wenn man diese Szene im Bezug auf Mozarts Schicksal betrachtet – so lässt sich ableiten -, kann in Wien, der Kulturhauptstadt Österreichs, dem Künstler nicht jener Ruhm im Leben gewährt werden, der ihm versprochen wird. Mozart bleibt ein Visionär. Auch dieser Aspekt ist ein Topos, der in der Wien-Literatur, beispielsweise bei Thomas Bernhard und Ingeborg Bachmann, immer wieder vorkommt.

Im letzten Beitrag des Buches berührt Franzobel das Thema Künstler und Staat bzw. Freiheit der Kunst und Staat: „Wenn alle Brünnlein fließen“ trägt den Untertitel „Anmerkung zur Salzburger Provinz-Pimperl-Posse um eine Gelatine-Skulptur bei den Salzburger Festspielen“. Der Autor hat den Text im „Standard“ am 1. August 2003 zum ersten Mal publiziert und nimmt darin Stellung zur umstrittenen Gelatine-Skulptur in Salzburg: „Wien ist anders, Linz lebt auf, Graz ist Kulturhauptstadt, aber Salzburg ist Paradies. Doch jedes Paradies braucht seine Schlange. Nur ist die Schlange hier keineswegs das Plastilin-Zumpferl, […] Das Vergiftete an solchen Debatten nämlich ist, dass es nur noch pro und contra gibt, für oder gegen den Knetmasse-Zipfel, Eigenstiller oder Goldhaubengesinnung, Brunzer oder Bücherverbrenner – und sofort ist man in der Schlangengrube der Parteinahme, die alle Nuancierung tot beißt“.

Franzobel Mozarts Vision
Stück, Materialen, Collagen.
Wien: Passagen, 2003.
141 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-85165-611-3.

Rezension vom 27.11.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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