#Interview

Morak u.v.a.

Julius Deutschbauer, Gerhard Spring

// Rezension von Arno Rußegger

Wer vereinnahmt wen? Die Politik die Kunst bzw. die Politiker die Künstler oder jeweils umgekehrt? Solche Fragen schienen – zumindest in Österreich – bis vor kurzem in aller Eindeutigkeit längst beantwortet zu sein. Man brauchte sich bloß den propagandistischen Erfolg ins Bewußtsein zu rufen, den rechtskonservative Kreise mit ihrer Propaganda gegen sogenannte „Staatskünstler“ oder „Subventionsschmarotzer“ jederzeit beim Wahlvolk zu erzielen vermögen, dann wusste man Bescheid. Aber dann, rechtzeitig zur politischen Wende im Jahre 2000, begannen Julius Deutschbauer und Gerhard Spring, gemeinsam Dialoge rund um das Kernthema Kunst zu verfassen und zu geeigneten Anlässen szenisch vorzulesen.

Sie schlüpften dabei in die Rollen von Franz Morak, dem amtierenden Kunststaatssekretär der schwarz-blauen Bundesregierung, und von Repräsentanten des Kulturbetriebs (z.B. Alexander Pühringer, Agnes Husslein, Peter Weibel oder Ioan Holender). Waren diese laienhaften Aufführungen zunächst nicht mehr als Insidertipps, avancierten sie in der Zwischenzeit zu allgemeines Aufsehen erregenden Aktionen wie im Falle der Lesung im Rahmen der diesjährigen Eröffnung der Biennale in Venedig.

Die ersten sechs der von Deutschbauer und Spring fingierten Zwiegespräche sind nun in Buchform erschienen. Es handelt sich um keine philosophischen Dialoge im Platon’schen Sinn, keine Sketches fürs Kabarett und auch um keine Dramolette im Stil von Antonio Fian. Eher erinnern sie an die Dialoge der Kirchenväter; ging es jenen um das rechte Verständnis der Bibel, wird nun (kultur)politische Rechtgläubigkeit gepredigt. Sollte das bei den Betroffenen Verärgerungen hervorrufen, kann es jedenfalls nicht an den explizit kommunizierten Inhalten liegen, die zum größten Teil aus Originalzitaten collagiert worden sind. Dem Wortlaut nach wird man keinerlei Beleidigungen oder sonstige Invektiven entdecken, im Gegenteil: Die jeweiligen Diskussionspartner scheinen einander grundsätzlich sehr wohlwollend gegenüberzustehen. Der ungeheure Witz der Sache liegt im spezifischen Kontext, den bestimmte Aussagen in der konkreten Zusammenstellung erhalten.

Darin liegt auch der literarische Wert der Texte, der über tagesaktuelle Belange hinausreicht. Man wird das vorliegende Buch bestimmt auch dann noch mit Gewinn lesen, und zwar als Dokument für die Mentalität der österreichischen Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wenn Franz Morak einmal längst kein Staatssekretär mehr sein wird. Vermutlich wird durch ihre Verwandlung in literarische Figuren so mancher der herbeizitierten Personen erst bewusst geworden sein, dass Kunst immer noch anders ist, als sie in ihrer institutionsbedingten Beflissenheit meinen. Deutschbauer und Spring machen bewusst, dass die eingangs gestellten Fragen letztlich falsch formuliert sind; dass es ein veritabler Mehrfrontenkampf ist, der im Dienste der Kunst zu führen ist, nicht nur gegen die Vereinnahmung und Instrumentalisierung seitens der Politik, sondern ebenso durch Kunstvermittler, -vermarkter und -theoretiker.

Das vielleicht könnte jemanden wie Franz Morak (und seinesgleichen) innerlich schmerzen. Verstünde er sich nämlich noch als der Künstler von einst, müsste er einen Doppelgänger ausschicken, um ihn alles sagen und vertreten zu lassen, was er bisher gemäß seiner neuen beruflichen Stellung in völlig distanzloser Weise von sich gegeben hat. Ein Doppelgänger wäre das Mindeste an ästhetischer Verfremdung, das der echte Morak sich schuldig wäre; er könnte sich einstweilen im Hintergrund halten, quasi zu Hause sitzen und in Ruhe warten, bis der Spuk vorüber ist. Seine Vergangenheit als Schauspieler und Musiker ist es, die Franz Morak von seinen unambitionierten Amtsvorgängern unterscheidet. Während sich Letztere frei von Skrupeln gegenüber der Kunst fühlen durften, darf ein verkapptes Allround-Talent das nicht! Wenn es etwas gibt, das Franz Morak den beiden Autoren nachtragen oder ankreiden könnte, dann ist es der Umstand, dass Deutschbauer ihm nicht nur die Double-Idee abgenommen hat, sondern zusammen mit Spring auch die lästige Mühe, die deren praktische Umsetzung verursacht.

Einerseits markieren Morak & Co. also durchschnittliche, typische Positionen im Netzwerk (pseudo)intellektueller Diskurse, andererseits erfolgte ihre Auswahl keineswegs nach x-beliebigen Kriterien. Reden und Gegenreden sind subtil und dramaturgisch gewieft aufeinander abgestimmt und entlarven mitunter aufkeimende Unstimmigkeiten als naseweises Vorlautsein und Imponiergehabe, Engagement als Eitelkeit und vorgebliche Sachargumente als rhetorische Versteckspiele mit Hilfe von Klischees. Doch darum geht es, wie oben festgestellt, primär nicht. Deutschbauer und Spring repräsentieren vielmehr das Vermögen der Kunst, sich zu entziehen, unter allen Umständen, radikal. Ihr haftet etwas an, das sich weder verwalten, kuratieren, populistisch verwerten noch paraphrasieren lässt. Indem sie öffentliches Gerede beim Wort nehmen, verhelfen sie jener Gesinnung zum Durchbruch, die stets verneint; ihnen gelingt, woran man hierzulande nach katholischer Manier nicht glauben mag: Sie treiben sozusagen den Teufel mit Beelzebub aus.

Im Grunde genommen eignen sich Deutschbauer und Spring nicht als Bannerträger einer zivilen Verweigerung, nicht als Zeugen für ein „anderes“ Österreich, das derzeit oft beschworen wird. Zu bescheiden ist die Geste, mit der sie ihre Kritik vorbringen. Sie sind vielmehr eine Art letzte Mohikaner ihrer selbst, einsam im Widerstand gegen geistige Kurzschlüsse, und nie so innig bei sich wie in der Rolle anderer Leute.

Julius Deutschbauer, Gerhard Spring Morak u.v.a.
Gespräche.
Wien: edition selene, 2001.
167 S.; brosch.; mit zahlr. Abb.
ISBN 3-85266-170-6.

Rezension vom 19.06.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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