Jeder der Texte hat Gegenwartsentrückungspotenzial und bietet einen probaten Alltagsfluchtweg an. Einmal kurz eingetaucht und schon abgehoben. Um Eindeutigkeit geht es dabei nicht, vielmehr ist Bedeutungsüberschreitung und Regelbruch Programm, um im Lesenden das individuelle Kopfkino anzuknipsen. Manche Vorlagen laden zu längerem Verweilen ein, manche eher zum Drüberhinwegeilen, aber Traumansätze sind sie allesamt. Und die Selbstverständlichkeit in der diese alles andere als geerdeten Geschichten präsentiert werden, die verblüfft vom Anfang bis zum Ende.
„DER frisch gebackene visionär nahm den verband von seiner wunde und sah, daß ihm ein stück elfenbein gewachsen war. Er bedeckt es rasch mit dem hemd um nicht den neid andersdenkender zu erregen und geht auf seinen ersten windfang. Bald füllt sich die aufgespannte hand, er überlässt sich dem heftigen blasen und steigt auf unter zurücklassung einer nicht ganz weissen weste.“ (S. 39)
Versteigt sich da einer in Abwegigem? Ja und zwar einzigartig. Zurück zum Start mit der Vorgabe die ersten fünfzehn Texte irgendwie einzufangen.
Immense Erleichterung – das Fortkommen in der Afterwelt betreffend – wird einem gleich eingangs versprochen. Eine Kuh flüstert für den Metzger Unverständliches in des Engels Ohr und es bleibt ein Hinterglasbild. Herzlich Willkommen in der Welt Dominik Steigers. Eine potenziell gute LeserIn habe heutzutage zig Möglichkeiten, so komme es, dass oft auf „ungereimten mauerblümchen“ sitzengeblieben werden müsse. Ein zärtlicher Eibote im Außendienst mit Perspektive führt dann wieder in andere Gefilde. So wie auch ein kulinarisches Softporno-Setting in legerer Atmosphäre. Dennoch flüchten grüne Äpfel, um dann zu den Mongolen zu wandern, auf dass alles befriedet bleibe. Ein Wigwam mit Zutrittsbeschränkung, Zugeknöpftheit statt Flatterhaftigkeit und das alles trotz kullernder Käse. Dann ein Boboprinz im Schrebergarten und ein Froschschenkel mit schlankem Fuß im Kartenhäuschen. Man hat ausgesorgt. Platzte da nicht ein tönener Samniterflegel in den Feierabend. Von wegen Ruhe. Ein Märchen mit Schlussproblem und mindestens moralisch verwerflichem Ende. Schwere Geburt nach andauerndem Brabbeln und das Resultat: gestelzte Angsthasen! Der Heiland mit Bratpfanne kommt angestorcht, das Meer hat’s gesehen. Trautes Geisterglück im heimlichen Eigenheim.
mon dieu es geistert bezaubert Seite für Seite. Steiger selbst ist vielseitig, quasi ein Rundumkünstler mit Wurzeln im Wiener-Gruppe-und-Wiener-Aktionisten-Umfeld, sein jüngstes Werk unter anderem gepflegte semantische Anarchie, hermeneutisches Schulterklopfen und sonniges Assoziationsgewitter.
„es ist genug, dachte er gestern und hauchte allem was lebt das geistige ende in die seele. die arbeit hörte sogleich auf. Die berge kamen zu liegen, männernachthemden rieselte leise der schnee.“ (S. 23)
Für Freaks. Alle Neune!