#Lyrik

Moira

Bettina Galvagni

// Rezension von Susanna Rupprecht

„Nur eine Zeitlang schrieb ich Gedichte, die ich jetzt aus dem Fenster werfen würde, wenn nicht auch ihnen die schwarze Prophetie ins Gesicht geschrieben stünde“, schreibt Bettina Galvagni in „Melancholia“, jenem Erstlingsroman, der die Aufmerksamkeit der Medienwelt auf die junge Autorin lenkte. Zumindest die „schwarze Prophetie“ ist eine zutreffende Eigenbeschreibung der hier veröffentlichten Gedichte – herausgegeben als Privatdruck in der Reihe „Werkgruppe Lyrik“ -, die sich insgesamt als gedrängtes Stimmungsbild, als eine Art intensives Substrat des ein Jahr später veröffentlichten Romans lesen lassen.

Doch das erzählende „Ich“ taucht hier fast vollständig unter, und nur selten kommt es in der verdeckten Form des „Wir“ zum Vorschein. Die Betonung liegt auf dem Allgemeinen. Solcherart des erzählerisch Autobiographischen entkleidet, eröffnen sich neue Möglichkeiten der Interpretation, und mit der Unbestimmtheit dieser Gedichte kristallisieren sich langsam Bedeutungsschichten heraus, die mehr im Bereich des Unerklärlichen bleiben: wie ein Leben, ein Schicksal, das Rätsel und Schmerzen aufgibt, die besser nicht gelöst werden -, die ein Scheitern beinhalten, das wie ein Ende dem Anfang zustrebt.

Auf einem unbestimmten Hintergund stehen einander eine antike griechische und eine gegenwärtige Welt gegenüber. Verstreut wahrnehmbar sind Bausteine einer mythischen Welt, ein Leben gegen das Schicksal und mit ihm, und all die Unmöglichkeiten, die sich fortwährend ertränken und wider besseren Wissens auf eine Wiedergeburt hoffen. Es sind von mythischen Gespenstern durchtränkte Gedichte: wie Sehnsüchte, verlorene Träume, innere Kerne in der äußeren Schale der Zeit, wie Kontraste, die an der Wirklichkeit verbleichen und brechen; wie blutleere Gedanken, die durch ein verlassenes Heute geistern: mythische (Spuk-)Figuren …

Das Denken (die Sprache) verschränkt sich zwischen Mythos und Apokalypse. Der bestimmende Aussagemodus ist ein apokalyptisches Futurum, ein prophetisches „wird“, das alles wie einer unbezwingbaren, unabwendbaren Schicksalsmacht ausgeliefert erscheinen läßt. Eine Apokalypse, die keine Zeit kennt, die immer schon geschehen ist, immer schon in den Dingen präsent ist. Bestimmend ist auch die Form des „ist“, das die Feststellungen gleich einem unveränderbaren Ist-Zustand einzementiert. Ein „ist“, das wie mit Röntgenaugen das Gehäuse der Dinge aufbricht und in sie eine Welt der Essenzen, ihren eigenen Tod in sie projiziert. Ein Ist-Zustand, der einer nicht wieder gutzumachenden Enttäuschung entspricht, Sätze, die ein Bedauern aussprechen.

Gleichzeitig offenbart dieses „apokalyptisch-mythische“ Denken eine diffuse Sehnsucht. Das Bedauern schließt einen Wunsch mit ein. Undeutlich wahrnehmbar ist eine Zeit jenseits aller Zeiten, bzw. eine Gegenwart jenseits der Apokalypse, die mit den alten Mythen spielt, sie wie Bausteine einer erlösten Zeit neu zusammensetzt. Die Zeit ist eine Sehnsucht, sie zu besiegen oder unbewußt in sie zurückzukehren. Die andere Seite ist die Hinfälligkeit all dieses Sehnens, eine Reflexion über ihre Nutzlosigkeit, eine Melancholie des Denkens und Existierens: eine Melancholie der Sehnsucht.

Unentwegt vermischen sich alle Zeitebenen und möglichen Seinszustände. Formal über Vergleiche, die ungewöhnlich, aber beliebig, letztlich unwichtig erscheinen; Vergleiche, die nicht ankommen, sich auf halbem Wege aufzehren oder sich wie in einer Kettenreaktion schließlich im Nirgendwo verlieren; über Sätze, deren Syntax zwar intakt ist, die aber dahintreiben ohne Ziel, als wäre das Ende der Zeit erreicht und als würde man aus einem großen Wörterbuch der Zeit schöpfen.

Absolutes und Bedeutungslosigkeit. Dazwischen ein Individuum, das sich nicht mehr definieren kann, sich an eine Sprache klammert, die sich ihrer Bezeichnungen nicht mehr sicher ist. Eine Sprache wie ein verstreutes Puzzle. Ohne Anfang und Ende. Kein Dialog zur Potenz: „die Monologe, die wir schreiben sind nicht zu verstehen.“ Alles ist unmöglich, Sein wie Schein, Monolog wie Dialog. Nur noch ein Gratwandern an der Sprache und den Vergleichen, den Möglichkeiten, die ihre Unmöglichkeiten herausschreien und ihr Ersticken.

Manchmal scheinen die in einer verästelten Mythen- und Literaturwelt beheimateten Vergleiche zu befremdend überladen, zu sehr an den Haaren herbeigezogen, als wollten sie sich auszeichnen. Aber sie geben nicht vor, mit sich ident zu sein. Außerdem brechen in diese eigenwilligen ausgesuchten Wörter und Metaphern ständig einfache Theoreme und Bilder ein: Feststellungen, die ihre Einsamkeit, ihre Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit erkennen lassen, eine Isolation bestätigen. Es ist, als schriebe jemand von zwei extremen Polen auf eine leere Mitte zu, auf etwas Undefinierbares, ein Glück oder einen Schmerz. Ein Schmerz wie eine unvermeidbare Suche: „Im Hals schreit das Meer und hustet“. Auch: „J’ai perdu cette Aura“ – in diesem eindringlichen letzten Gedicht „Dans ses yeux verts“, das wie ein Bekenntnis klingt und die Anorexie anspricht, das unentschiedene Driften zwischen Leben und Tod, und die Orientierungslosigkeit, die kommt, wenn einer sich aufdrängenden Wahrheit abgeschworen wird zugunsten eines Lebens, das eher einem Kompromiß als einer Gewißheit gleichkommt.

Es geht um die Schwierigkeit Wege zu finden (heute und überhaupt) zu leben: „Manches schreit danach, besser gemacht zu werden.“ Dies ist ein Pol, der diese Zeilen dichtet, und der andere, vorausahnend, auf Grund sinkend: „Vielleicht geschehen die Dinge grundlos, die man Dinge nennt.“ Die beste Umschreibung wäre vielleicht: Ich möchte nicht mehr tot sein. Wie ist das möglich, obwohl wir manchmal wissen, daß es so ist?

Bettina Galvagni Moira
Gedichte.
In: Werkgruppe Lyrik – Neuauflage.
Hg.: Werkgruppe Graz.
Graz: edition Keiper, 2013.
64 S.; geb.
ISBN 978-3-902901-29-3.

Rezension vom 26.04.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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