#Roman
#Debüt

Mit Gottes Kraft

Andi Wahl

// Rezension von Helmuth Schönauer

Auf dem Umschlag verschränkt ein kopfloser Rustikal-Jedermann seine Arme und posiert im rot-weiß-kleinkarierten Seppl-Hemd. Und hemdsärmelig und kleinkariert geht es dann auch im Bauernroman zu, Gottes Kraft ist auf jeder Seite anwesend. Zwei Handlungsstränge zielen unablässig auf einander zu, um sich dann offensichtlich im open end zu vereinigen.

Hier vertraut der Bauer Gustl seinem Tagebuch die intimsten und wildesten Landwirtschaftsgedanken an, dort flötet die Schwärmerin Sabine P. ihre frisch gezogenen Embryonen im Reagenzglas an. Beider Sprachstil ist vollkommen, aber in gewissem Sinne auch vollkommen daneben. Gustl spricht mit seinem Tagebuch wie mit seinen Tieren, hart aber lieb, er nennt es „liebes Tagebuch“, um dann über seine frische Kotze unterm Bett und seine verloren gegangene Hygiene zu klagen. Aber auch der Landeshauptmann von Oberösterreich macht an gewissen Tagen ins Waschbecken, vermutet er und relativiert seinen ungepflegten Lebensstil. Auf dem leicht erhöht liegenden Landwirtschaftsanwesen ist ständig etwas los, alle Zeitgeistströmungen enden nämlich am Land und auf dem Bauernhof.

Die EU liefert zwar tapfer ihre Euro aus, aber man muß dafür schon ordentlich bluffen und satten Papierkram erledigen. Wer seinen Hof heruntergewirtschaftet hat, geht anderntags als sogenannter landwirtschaftlicher Berater herum und versucht, andere Höfe herunterzuwirtschaften. Zwischendurch schwärmen die „Bios“ wie fette Fliegen ein und nehmen alles ökologisch unter die Lupe, Esoteriker umarmen Bäume und sprechen mit den Tieren, wer in der Stadt einen Dachschaden eingefangen hat, fährt stracks aufs Land, um die sprichwörtliche Sau rauszulassen. Einmal kommen sogenannte Tierliebhaber auf den Hof, sie nennen sich Sodomisten und machen sich gleich über die Kühe her. Gustl ist beeindruckt vom Glück der Kühe und beschließt, ebenfalls ein Sodomist zu werden. Letzter Schrei in der Landwirtschaft ist die Organzuchtanstalt. Gustl wird auf diesen hoffnungsvollen Zweig setzen und Organe aller Art biologisch einwandfrei und EU-konform heranzüchten.

Während Gustl aus rein wirtschaftlichen Überlegungen beim Klonen von Menschen und Menschenteilen landet, kommt Sabine P. aus Gründen der Herzenswärme und der Menschlichkeit zum künstlichen Reproduzieren des Menschen. Sabine P. geht auf einen authentischen Fall zurück, der in den „Oberösterreichischen Nachrichten“ ergreifend dargestellt worden ist. Sabine P. entführt ihre eigenen tiefgefrorenen Embryonen, nachdem der Primar ihres Vertrauens vom Dienst abgezogen worden ist. In einem Singsang aus Innigkeit, Lebensbejahung und spiritueller Eiablage entwickelt Sabine P. eine eigenartige Ode an die Menschlichkeit. Bereits den tiefgefrorenen Kindsteilen will sie Pippi Langstrumpf vorlesen, um sie für ein hellhöriges und belesenes Leben vorzubereiten. Als sie davon hört, daß auf Gustls Bauernhof Embryonen in Landluft gezüchtet werden, macht sie sich auf den Weg, die Kinder zum Leben zu erwecken.

Andi Wahls rustikale Schöpfungsgeschichte ist fein austariert zwischen realistischem Wahnsinn und wahnwitzigem Realismus. In Gestalt naiver Bauernmalerei treten die krudesten Wirtschaftstheorien auf, um im Schmalz der regionalen Berichterstattung jeweils kontakariert zu werden.

Mit Gottes Kraft ist ein witziger Heimatroman, voller Gegenwartsbezug und Schärfe!

Mit Gottes Kraft.
Ein Bauernroman.
Klagenfurt: Sisyphus, 2002.
90 Seiten, broschiert.
ISBN 3-901960-07-4.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 24.09.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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