#Sachbuch

Mit fremden Federn

Anett Kollmann

// Rezension von Ulrike Diethardt; Evelyne Polt-Heinzl

Die Literaturwissenschafterin Anett Kollmann hat mit ihrem Buch Mit fremden Federn eine lockere, „kleine Geschichte der Hochstapelei“ geschrieben, die viel Spannendes und Anekdotisches zu berichten und manche Überlieferung auch zu berichtigen weiß. Denn wie der Hochstapler selbst neigen auch die Erzählungen über ihn zur großen Geste.

 

Kollmann präsentiert Fallgeschichten über Hochstapler der Antike, weibliche Päpste, fingierte exotische Prinzen und Prinzessinnen aus der Hochblüte der Kolonialzeit, falsche Könige in den französischen Revolutionswirren, Spioninnen und FinanzbetrügerInnen in den 1920er Jahren und weiter in unsere Gegenwart. Hier hätte man sich etwas mehr gewünscht. Denn wie auch ein Blick in das ausführliche Literaturverzeichnis des Buches selbst zeigt, lassen sich deutlich zwei Höhepunkte in der Debatte um den Hochstapler ausmachen. Seine idealtypische Auftrittsphase waren die Inflations- und Wirtschaftskrisenjahre der Zwischenkriegszeit, und aufgrund der Analogien des großen Finanzcrashs von 2008 zum Schwarzen Freitag von 1929 ist der Begriff, der einige Jahre zuvor kaum einem Journalisten eingefallen wäre, über Nacht wieder aufgetaucht. Wie ebenfalls aus Kollmanns Literaturliste genauso wie aus dem Verzeichnis lieferbarer Bücher ersichtlich wird, sind in der Folge zahlreiche Bücher wie das vorliegende entstanden.

Was Hochstapler interessant macht, ist gerade ihre Zeittypik. Sie „zeigen, was in einer Gesellschaft respektabel, bedeutsam und erstrebenswert ist. Die Geschichten haben deshalb eine historische und kulturelle Dimension, denn sie erzählen nicht nur von den Sehnsüchten Einzelner, sondern auch von den gemeinschaftlichen Regeln und Strukturen.“ (S. 9). Das gilt auch für Wunderheiler oder Heiratsschwindler, macht sie aber noch nicht automatisch zu Hochstaplern. Tatsächlich ist der Begriff hier sehr weit gefasst, was den Blick öffnet, aber den Kern des Phänomens vielleicht nicht immer zu fassen bekommt. Es ist einfach nicht jeder Betrüger oder Schwindler ein Hochstapler, und nicht jede Amtsanmaßung und nicht jeder Etikettenschwindel Hochstapelei. Schon gar nicht passt der Begriff auf jene „europäischen Abenteurerinnen, die zum Schutz und zur Tarnung auf ihren Orientreisen zeitweilig Männerkleidung anlegten“ (S. 62), um einigermaßen sicher durch die Lande zu kommen. Natürlich ist diese Form der Verkleidung für Frauen in patriarchalen Gesellschaften irgendwie ein Upgraden der eigenen Person, aber die Intention ist doch eine ganz andere. Zum klassischen Hochstapler gehört die Intention, sich einer höheren Klasse / gesellschaftlichen Schicht dauerhaft „aufzupfropfen“, wie das Gregor von Rezzori in seinem Hochstapler-Roman „Oedipus siegt bei Stalingrad“ formuliert.

Dass sie „Spiegelbilder“ (S. 9) der Gesellschaft sind, macht Hochstapler zu einem idealen literarischen Sujet. Als literarische Figur im engeren Sinn kommen sie hier im schmalen Abschnitt „Papierhelden“ (S. 196-199) vor, gleichsam mit den Höhenkamm-Hochstaplern von Cervantes bis Thomas Mann und auch Walter Serner. Sehr ausführlich und an verschiedenen Stellen taucht darüber hinaus der Fall Karl May auf oder auch Max Frischs „Gantenbein“.

Skeptisch scheint die Autorin der These gegenüber zu stehen, dass es sich aktuell bei der Wiederkehr des Hochstaplertums um eine „soziale Epidemie“ (S. 199) handle. Doch das ist sie tatsächlich und sie ist gesellschaftspolitisch indiziert, geht also weit über Einzelfälle eines „virtuellen Schabernack“ (S. 30) hinaus. Das „soziale Gebot der Autobiographie als Triumphstory“ (S. 120), der Zwang zur Selbstinszenierung in den sogenannten „sozialen Netzwerken“ wie auf dem Arbeitsmarkt im Zeichen des „Begging and bragging“ (Ursula Huws), also Betteln und Prahlen, hat durchaus pathogene Formen angenommen. Jeder weiß, dass er fortwährend lügt, und alle tun es. Das hat zur Folge, dass sich die Empörung in gesellschaftspolitisch relevanten Fällen in Grenzen hält. Der deutsche Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg musste 2011 wegen der Plagiatsaffäre rund um seine Dissertation – also dem Versuch, sich hochstapelnd dem akademischen Milieu „aufzupfropfen“ – zwar zurücktreten, aber eine Rückkehr in die Politik scheint deshalb noch lange nicht ausgeschlossen.

Fast wie eine Ironie wirkt der Titel des Buches, denn Mit fremden Federn verweist tatsächlich auf fremde Federn, nämlich auf Robert Neumanns berühmte und in zahlreichen Auflagen erschienene Parodiensammlung gleichen Titels. Neumann aber ist DER Autor zum Thema Hochstapler. 1927 plante er eine ganze Serie über die persönlichen und gesellschaftlichen Bedingungen für den Erfolg angemaßter Lebensentwürfe. 1930 erschien seine „Hochstaplernovelle“ – die nicht zufällig 2012 neu aufgelegt wurde –, 1931 die Novelle „Karriere“ über eine Hochstaplerin, die meist nicht so genannt wurde, sondern „Abenteurerin“ hieß, und 1935 publizierte Neumann, schon im Schweizer Exil, als Nummer drei der Reihe die Novelle „Die blinden Passagiere“, die das Thema Hochstapelei in ein Kurhotel verlegt. 1961 ließ Neumann mit dem Roman „Olympia“ ein weiteres Beispiel folgen. Es ist die Lebensgeschichte von Krulls Schwester, mit der er Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ weiterschreibt und dabei ganz bewusst auf den Werbeeffekt einer Plagiatsdebatte mit den Erben setzt.

Anett Kollmann Mit fremden Federn
Eine kleine Geschichte der Hochstapelei.
Hamburg: Hoffmann und Campe, 2018.
252 S.; geb.
ISBN 978-3-455-00067-2.

Rezension vom 14.05.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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