Um den Hass in der Literatur geht es ihm und auch da fällt einem zunächst einiges ein. Unbestritten sind die bösen Figuren meist die interessanteren, Romeo ist als Figur psychologisch wirklich nicht sehr spannend, Lady Macbeth hingegen schon. Doch auch um eine solche „psychologische Identifikation“ (S. 8) geht es Bohrer nicht. Es geht ihm um den Hass und die hasserfüllte Rede als literarische Ausdrucksmöglichkeit, weniger auf inhaltlicher Ebene, wiewohl Hassreden zwangsläufig mit Hass auf inhaltlicher Ebene korrespondieren, sondern um den Hass als Emphase, als Gipfel der poetischen Emotion.
„Der poetische Hass-Ausdruck, so wird sich zeigen, bedarf eines doppelten Grundes: des Antriebs zum Pathos des Ungewöhnlichen und der existenziellen Hass-Empfindung im Dichter selbst.“ (S. 8) Das ist schon mal eine gewagte These, die Autor und Werk untrennbar miteinander verbindet und eine sehr spezifische Rezeptionsrichtung vorgibt, die entweder viele Texte aufgrund der friedfertigen Gemütsverfassung ihrer Autor*innen ausschließt, oder zumindest sehr spekulativ bei der Bewertung psychologischer Effekte agiert.
Bohrer verfasst daher auch keine Motivgeschichte des in Literatur verpackten Hasses, sondern widmet sich ausführlich exemplarischen Untersuchungen. In 12 Kapiteln verfolgt Bohrer Beispiele der Hass-Rede von Thomas Kyd, Christopher Marlowe und William Shakespeare über Heinrich von Kleist und August Strindberg bis hin zu Michel Houellebecq. Aus österreichischer Sicht besonders interessant ist das Kapitel: „Hassen nur Österreicher auf deutsch? Bernhard, Handke und Jelinek versus Goetz und Brinkmann“ (vgl. 411-425). Bohrer konstatiert im Laufe der Jahrhunderte eine „Säkularisierung der Hassobjekte“ (S. 411). Wurden lange die großen Ideen, Politiken und Institutionen gehasst, schlägt das mit Autoren wie Strindberg, Céline und Sartre laut Bohrer ins Private und Banale um, ein Prozess, der sich nach dem Zeiten Weltkrieg wieder umkehrt bzw. spaltet und beides miteinander vereint, wobei sich die „österreichischen Schriftsteller besonders hervorgetan“ (S. 411) hätten. Bohrers Beispiele Bernhard, Handke und Jelinek überzeugen in diesem Kontext freilich. Und doch wirken Bohrers Zugeständnisse, wer denn nun ein Repräsentant der „Hass-Rede im imaginativen Verständnis“ sei, mitunter willkürlich. Das imaginative Moment unterscheidet Bohrer vom diskursiven, dem ein engagiertes Element innewohnt, während die imaginative Hass-Rede an die Emotion appelliert und sich dem Gefühl hingibt. Daher schließt Bohrer Karl Kraus nachvollziehbarerweise vom literarischen Hass-Effekt aus und Handke mit ein. Was aber ist mit Bernhard und Jelinek? Hier wird Bohrers Argumentation dann tatsächlich ausgesprochen subjektiv. So schreibt er über Jelinek: „Aber es ist ein Hass, der nicht – wie bei Handke oder Bernhard – einer reinen Innerlichkeit erwächst. Er provoziert durch eine abstoßende Weltordnung, in der das weibliche Opfer, sei es Erika, die Klavierspielerin, sei es Gerti, die Frau des Direktors, niemals zu ihrem Recht kommt“ (S. 441). Das Beispiel illustriert das Problem von Bohrers Ansatz: Ein nachvollziehbares und anwendbares Muster für eine Kategorisierung liefert er nicht, vielmehr urteilt er einmal so, einmal anders, ohne dass dies klar begründet wird, denn welcher Hass „einer reinen Innerlichkeit“ entspringt, muss spekulativ bleiben.
Schade ist auch, dass Bohrer mit Elfriede Jelinek nur die literarischen Dolche einer einzigen Autorin für untersuchungswürdig hält, und auch sie bekommt kaum Raum zugestanden.
Ein bisschen fehlt dem Autor die Distanz, man merkt ihm seine Freude am Bösen und Derben bei den ausführlichen Beschreibungen der hasserfüllten Ansprachen und der Gewalt an. In einem solchen gesellschaftspolitischen Klima über die poetische Kraft des Hasses zu schreiben, ist mit Sicherheit nicht en vogue. Natürlich beschäftigt sich Bohrer schon seit Jahrzehnten mit dem Thema. Das Böse, Tragische, Grauenhafte hat es ihm angetan, das zeigen Schriften wie Die Ästhetik des Schreckens (1978), Imaginationen des Bösen (2004) oder Das Tragische. Erscheinung, Pathos, Klage (2009). Und doch scheint es kein Zufall, dass er sich ausgerechnet jetzt dem Hass widmet. Es erscheint wie eine Gegenrede, die den Hass ein Stück weit rehabilitiert und sich einem gesellschaftlichen Moralismus widersetzt. Eine Brise Provokation gehörte schon immer zu Bohrers Stilmitteln. Das mag erfrischend sein. Vor allem die genaue Textanalyse, die ohne viele Seitenblicke auf andere Interpretationen auskommt, ist eine Freude zu lesen und eröffnet neue Perspektiven auf einige (nicht alle) der behandelten Texte und Autoren. Das und nicht mehr kann man sich von Bohrers sprechenden Dolchen also erwarten: Spannende, gut geschriebene textimmanente Interpretationen. Eine Motiv-Geschichte oder eine kulturgeschichtliche Einordnung des Hasses war nicht sein Ziel, also kann man ihn auch nicht daran messen. Insgesamt bleibt der Erkenntnisgewinn dennoch überschaubar.