#Roman

Michaels Verführung

Sabine M. Gruber

// Rezension von Simone Czelecz

„Meine Aufgabe bescheidet sich darin, die Vorgänge im Inneren jenes Hauses und im Inneren seiner Menschen wahrzunehmen, sie zu durchdringen, sie zu erinnern und sie aufzubewahren.“

Diesen Auftrag hat der Erzähler im Roman von Sabine M. Gruber. Die interessante und raffinierte Figur des Erzählers ist der Erzengel Michael. Er befindet sich an einem Tor im Garten des Hauses und soll der Beobachter und Erinnerungshüter aller Vorgänge in diesem sein. Doch wie weit lässt sich nur beobachten? Der Erzengel ist die moralische Instanz in diesem Text. Seine Versuchung ist es, mit zu fühlen und zu urteilen. Es wird deutlich, welche Ereignisse und Menschen der Geschichte ihm zusagen, und was ihm missfällt. Sein ganzes Wohlwollen gilt Helga, sie ist seine Verführerin.

Die Hauptfigur des Textes trägt ebenso den Namen Michael. Im Spiel der Namensgebung wird im Laufe der Geschichte Mike aus ihm, wie aus Helga Huberta wird. Michael ist der verträumte Dichter, Mike der kühle Werbetexter. In Helga ist er verliebt, sie ist seine Muse. Huberta verrät er für sein Ansehen. Dieser Michael wird verführt von Gedanken an Ruhm und Macht.

Zentral ist die Idee der Transformation – die Wandlung durch Verführung, wenn man so will. Die Autorin entwickelt in der Person des jungen Mannes zwei entgegengesetzte, aber klassische Figuren. Zu Beginn stellt Michael die Figur des klassischen Dichters dar. Er hat das Verlangen, nur aus Eigenschaften eines „wahren Dichters“ zu bestehen: in altmodischen Kleidern wandelt er verträumt durch den Garten und durch ein romantisches altes Haus, aus dem die Geschichte, die früheren Bewohner, Mönche, Asketen duften. Sein Blick ist liebevoll auf Details gerichtet, wie zum Beispiel auf die einst goldenen Füße seiner alten Badewanne. Er ist voll von Romantik und Zweifel über seine Versuche zu dichten. Und so wie er in seinem Heft für Dichtungen seine Gedanken durchstreicht, so lässt Sabine M. Gruber dies auch grafisch im Buch nachvollziehen.

Die Wandlung von Michael wird radikal und umfassend durchgeführt. Nur sehr selten überfallen ihn Unbehagen und Scham. Er findet eine Anstellung als Werbetexter und gestaltet sich zur Figur eines kühlen und groben aber immer noch sprachgewandten Menschen. Er wird nun getrieben von der Gier nach Anerkennung und Macht. Liebe verwandelt sich in Prestige. Das Lachen, das aus einem Lächeln geboren wird, wie sich der Erzähler ausdrückt, wandelt sich zu einem groben, boshaften, freudlosen Lachen. Er verliert die Liebe zum Haus und wünscht sich ein repräsentatives Penthaus in der Stadt. Er nennt sich Mike statt Michael und er verrät Helga, die er nun Huberta nennt. Aus einem, der zaghaft Dichtung in seiner Seele sucht, wird einer der großspurig Werbe-Worte aneinander reiht.

Die figurative Gestaltung von Michael oder Mike wirkt an manchen Stellen stark plakativ, es passt alles zu perfekt zusammen: die Zaghaftigkeit des Dichters Michael, verbunden mit dem Gefühl der narzisstischen Überhebung, die Großspurigkeit des Reklametexters, die Angst vor Misserfolg, welche zu Drogenmissbrauch führt, die Schwangerschaft von Helga, die er kühl abstreiten möchte, der Sex mit einer körperlich perfekten, sonst aber wenig reizvollen Werbe-Schauspielerin. So schleichen sich Gemeinplätze unterschiedlicher Lebensstile ein.

Die Sprache als Thematik steht bei Sabine M. Gruber im Vordergrund. Die Suche nach Worten und Erkenntnisse über Worte. Die Sprache reflektiert das Geschehen. Aus einer wunderbar poetischen und sinnen-farbigen Sprache, die reich ist an Ausdrücken für Geräusche, Düfte, Details für das Auge, wird eine kalte, absichtsvolle Sprache bei Mike.

Die Namensgebung verweist auf Identität. Angefangen von Werbetexten, wie „Trag deinen eigenen Namen: Idiot“ oder „Trag den Namen der zu dir passt“, bis hin zur Änderung der Namen der ProtagonistInnen. In den wenigen Augenblicken, in denen die Chance besteht, dass die Veränderungen wieder zurück kippen könnten, greift die Autorin auch wieder auf die Namen Michael und Helga zurück. Diese Inhalte weisen auf die Problemstellung von Identitätsstiftung durch Namensgebung hin.

Der Text ist sehr fein strukturiert durch Wiederholungen: Die Plakatwand gegenüber dem Haus, welche Michael immer wieder neu inspiriert; seine Ideen, die ihn an Erkenntnisse glauben lassen, welche mehrmals in derselben Wortabfolge von der Autorin eingebaut werden. Diese Wiederholungen bewirken Vertrautheit mit dem Text und den ProtagonistInnen.

Michaels Verführung von Sabine M. Gruber ist ein Roman, der durch ihre eigensinnige Sprache viel Freude bereitet. Die Autorin verbindet Sprachgebrauch mit Lebensstil, kontrastiert ein lyrisches Leben von einem modernen Reklame-Leben. Der Text ist wunderbar poetisch und ein guter Versuch, die ausdrückliche Liebe für alte Dichtung, für alte Sprachwendungen in ein zeitgemäßes Umfeld zu verlegen.

Sabine M. Gruber Michaels Verführung
Roman.
St. Pölten: Literaturedition Niederösterreich, 2003.
230 S.; geb.
ISBN 3-901117-63-6.

Rezension vom 07.01.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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