#Sachbuch

Michael Scharang

Gerhard Fuchs, Paul Pechmann (Hg.)

// Rezension von Alfred Pfabigan

Für die Beschäftigung mit der zeitgenössischen österreichischen Literatur sind die Dossiers des Droschl Verlags ein unverzichtbarer Arbeits- und Verstehensbehelf; das gilt auch für den mittlerweile neunzehnten Band der Reihe, der dem heute 62jährigen Michael Scharang gewidmet ist. Wie die VorgängerBände (etwa zu Aichinger, Artmann, Bauer, Drach, Falk, Jelinek, Jonke, Lebert und Rosei) enthält auch dieser Band biographische Materialien, essayistische und analytische Kommentare zum Werk, Nachdrucke publizierter Kritiken wichtiger Werke und eine umfassende Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur.

In ihrer Gesamtheit bieten die kommentierenden Texte ein gelegentlich überraschendes Bild eines Autors, der – ohne Medienstrategien, als gelegentlich scheinbar verstummter Meister der „splendid isolation“ und mit Verzicht auf die hierzulande obligate „Übertreibungskunst“ – in seiner wechselhaften schriftstellerischen Karriere immer für eine Überraschung gut war. Das Spektrum des Scharangschen Schaffens ist sehr weit: nicht nur ist die Gesellschaftskritik seiner Prosa, wie Elfriede Jelinek anmerkt, durch sein theoretisch-essayistisches Werk abgesichert, sondern er hat sich auch als Hörspiel- und Fernsehautor in die Mediengeschichte der Zweiten Republik eingeschrieben.

Mit den Titeln seiner erfolgreichen Erstlinge, „Verfahren eines Verfahrens“ und „Schluss mit dem Erzählen und andere Erzählungen“ hatte sich Scharang scheinbar als einer der wichtigsten Autoren der experimentellen Literatur der sechziger Jahre festgelegt – doch vom „Lebemann“ bis zum „Jüngsten Gericht des Michelangelo Spatz“ scheint Scharang gegen das schriftstellerische Credo seines Frühwerks anzuschreiben.

Peter Bekes verwendet in diesem Zusammenhang das Wort „Paradigmenwechsel“ und Geoffrey Howes beschreibt diese Entwicklung durch Scharangs Absichtserklärung, „nicht mehr Realität ab(zu)bilden, sondern Realität (zu) erfinden“. Howes diagnostiziert an den vielfältigen Protagonisten Scharangs eine Gemeinsamkeit: sie spüren die Sinnlosigkeit ihres Lebens und versuchen, diesem einen Sinn zu geben. Auch sei die gleichsam massenweise erzeugte Wirklichkeit gar nicht so interessant für den Autor, wie es vor allem das Frühwerk suggeriert: Scharang interessiere sich mehr für die „Ausnahmemenschen“.

Auch in seiner politischen Haltung scheint sich dieser Autor geändert zu haben: das ehemalige Mitglied der KPÖ hat sich nicht nur vom „Widerstand“ gegen „Schwarz-Blau“ ferngehalten, sondern sogar mit dem Staatsekretär Franz Morak verhandelt und dessen Wirken in einem mehrfach skandalisierten Brief an den Kanzler gelobt. Macht er – wie Wolf Lepenies schon 1971 gemeint hat – wieder einmal die „Misere“ der „ästhetischen Linken“ sichtbar?

Scharang hat auch hier ein äußerst differenziertes Selbstbild: „Die sechziger Jahre“, meint er in einem Gespräch mit Hans Haider, „waren nicht so großartig, wie man heute tut …“. Und weiter: das heutige künstlerische Schaffen sei keineswegs so apathisch, wie es scheint. Das klingt nach einer Absage an 1968, doch Scharang selbst definiert sich ironisch als einen „unverbesserlichen Achtundsechziger“. Die wahren Spuren von 68 seien allerdings nicht in der Politik zu finden – Scharang erwähnt sein Desinteresse am „realpolitischen Quatsch“ und nennt als sein zentrales, durchgängiges Interesse die Gesellschaftsveränderung als ästhetische Idee. Das, was wir unter „Kultur“ verstünden, sei eng an eine untergegangene Klasse, das Bürgertum gebunden, und dieser Untergang hätte der Kunst eine Freiheit gegeben, die sie noch in ihren heutigen Ausprägungen nütze. Diejenigen, die ihn – wie Thomas Rothschild – auf die Rolle des Chronisten der „österreichischen Verluderung“ festlegen wollten, hat er gründlich enttäuscht. Doch auch Rothschild, dem bei dem Gedanken an den „ausgewiesenen Linken, der sich in den vergangenen Jahren zwischen Floridsdorf und Amerika pendelnd (Erwin Riess‘ Beschreibung der Reisen mit Scharang ist ein kleines Kabinettstück, A.P.) dort zunehmend heimisch fühlt“, nicht wirklich wohl ist, attestiert den Scharangschen Büchern „Tauglichkeit“.

Am verbindlichsten eingelassen auf diese scheinbaren Widersprüche hat sich im vorliegenden Band Gerhard Scheit mit seinem Text über die Essays Scharangs, „Der Antiessayist?“. Ungeachtet seiner Mitgliedschaft in der KPÖ hat Scharang nie deren Denkweise übernommen – das „Bürgertum“, von dem er spricht, lässt sich nicht auf eine dem Empirismus verpflichtete Klassentheorie und Soziologie festlegen. Der Begriff ziele auf Totalität und erweise sich letztlich als eine kritische Theorie der falschen Einheit. Damit wird Raum für eine überraschende – von Bert Rebhandl bestätigte – These: trotz mehrerer Mitbewerber sei Scharang „der einzige bekannte Schriftsteller Österreichs, den die Kritische Theorie nachhaltig geprägt hat.“

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To whom it may concern
Woher will Alfred Pfabigan wissen, dass Michael Scharang mich gründlich enttäuscht habe? Woher will er wissen, dass mir bei einem Gedanken nicht wirklich wohl sei? Woher will Michael Hansel (in der Rezension von „Frauen verstehen keinen Spaß“) wissen, aus welchem Grund ich Aussagen gemacht habe? Woran sieht er, dass ich, wie er genau zu wissen meint, gekränkt sei? Womit hat er meine angeblich fahrlässigen ,jedenfalls aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen widerlegt? Warum lässt die Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur zu, dass Rezensenten ihre Plattform verwenden, um Privatkriege zu führen, von denen der Angegriffene nur durch Zufall erfährt? Alle zitierten Behauptungen sind nachweislich falsch. Ich gehe davon aus, dass Sie diese Reaktion ins Netz stellen, damit Ihre Nutzer wissen, wie es um die Neutralität des Dokumentationszentrums bestellt ist.
Mit freundlichen Grüßen

Ich bitte Sie um eine Reaktion. Ich habe nicht die Absicht, mir solche unfairen Angriffe widerspruchslos gefallen zu lassen. Ich nehme an, dass Sie dafür Verständnis haben und in meiner Lage nicht anders verführen. Um eins klarzustellen: natürlich bin ich dafür, dass jeder – unabhängige! – Rezensent unzensiert schreiben darf, was er für richtig hält. Aber wenn Hansel meine Aussagen fahrlässig als fahrlässig qualifiziert, so soll er das belegen. Etwa damit, dass es ebenso normal wäre, wenn eine Forschungsstelle für Frauenliteratur ausschließlich mit Männern besetzt wäre, wie es offenbar widerspruchslos hingenommen wird, dass in der Klagenfurter Forschungsstelle für jüdische Literatur kein einziger Jude mitarbeitet. Wenn er das nicht belegen kann – worin läge die Fahrlässigkeit meiner Behauptung, dass die Ausgrenzung von Juden anders wahrgenommen wird als die Ausgrenzung von Frauen? Und was Pfabigan angeht, so ist Scharang selbst kein schlechter Zeuge. Er hat sich in kolik 21 zu Pfabigan und zu mir geäußert. Ich bitte Sie also, ohne es persönlich zu nehmen, um Verständnis dafür, dass ich mir nicht jeden Schmutz gefallen lassen kann. Sie kann ich nur fragen, warum Sie ausgerechnet einen Mitarbeiter der Nationalbibliothek eine Publikation derselben zur Rezension geben und ausgerechnet einem ausgewiesenen Befürworter der gegenwärtigen Regierung ein Buch über Scharang. Prompt muss Scharang da zu einem Morak-Freund hochstilisiert werden. Halten Sie das für qualifiziert? Das kann ich mir einfach nicht denken.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Rothschild

Gerhard Fuchs, Paul Pechmann (Hg.) Michael Scharang
Dossier. 19.
Graz, Wien: Droschl, 2002.
340 S.; brosch.
ISBN 3-85420-612-7.

Rezension vom 03.02.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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