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membran

Herbert J. Wimmer

// Rezension von Lisa Spalt

„erzählt wird immer, mindestens eine geschichte, eine regel, eine form, eine anordnung, eine struktur, ein konstruktionsplan, eine differenz von vorher und nachher im augenblick der lektüre“, sagt Herbert J. Wimmer im Werkstattgespräch mit Dieter Bandhauer, das seinem Band membran beigegeben ist. Und mit der Differenz lasse ich ihn hier gleich das Moment ansprechen, das aus seinem Textkonvolut, das einem strengen Bauplan von ineinander kragenden Themenfeldern folgt, durchaus so etwas wie einen Roman macht, welche Gattungsbezeichnung hier den Titel begleitet: Das Vorher-Nachher, die Metamorphose von Zuständen, bildet eine Art von Entwicklung aus. Es ist aber der Text selbst, der sich entwickelt, nicht bloß die behauptete Figur, über die ja leicht allerhand erzählt werden kann. Wimmer unternimmt diese Entwicklung unter dem Zeichen der Membran: „in der membran vervielfältigen sich die vokabulare“, heißt es da, scheinbar trocken.

Die Praxis sieht durchaus anders aus und wird von viel Wiener Schlagobers begleitet: Wimmers wohltuend basale Kalauer – „so selbstverständlich schreiben, dass niemand auffällt, dass es selbstverständlich ist“, heißt es im Buch – ergeben sich nicht selten aus dem Diffundieren von Teilchen eines Wortes in ein anderes, in andere, durch kombinatorische Umordnung, durch eine Art von Verdauung, in der Wienerische Ausdrücke genauso Platz finden wie umgangssprachliche und Slang-Wendungen. Da finden sich so schamlose Konstellationen wie – in einer der fast rituellen Versuchsanordnungen – „das all: dallas“ oder Variationen à la „liaison“ versus „läsion“. Und die Dienerin (wir befinden uns in diesem Buch ziemlich oft im Kaffeehaus) mutiert in der Gestalt der Bedienung im Demel – ein Zitat nach Torberg – zur Demelinerin. –

„sich finden als muster von wahlentscheidungen“ – der Satz aus dem Konvolut D des Buchs könnte durchaus als Motto über dem Text stehen. Oder aber der Anfang dieses ins Buch aufgenommenen Gedichts: „zusammenhänge/zerfallen zu vorhängen: musterstoffwechsel.“ – Wir sind hier beim Wählen, das die Gegenwart des Textes ausmacht, stets dabei. So finden wir dem erzählenden Ich eine Stimme, einen Charakter, wenn die besagte Figur auch folgerichtig ständig und teilchenweise in andere übertritt, vornehmlich aber in jene andere des Blaunsteiner, den sich Wimmer aus seiner eigenen Literatur geborgt hat: „manchmal kann ich mich, manchmal muss ich mich offen lassen – als blaunsteiner, beispielsweise.“

Wie auf einem Filmstreifen differieren die einzelnen Textmomente vom nächsten, die mit Buchstaben und Zahlen bezeichnete Kader bilden Linearität aus. Manchmal erwischen wir im Inneren der Membran die Teilchen gerade im Moment ihrer Verschmelzung: So entstehen Amalgame wie das „Olfaktotemtier“. Oder es werden  Homonyme und Mehrfachbedeutungen eines Wortes als Umschaltmembrane genutzt – so kippt die Restauration, verstanden als Speiselokal, über das Restaurations-Brot, das Körper und Geist wiederherstellt, mit einem Mal ins politische Begreifen des Begriffs, das Wort wird zur Gegenwart, die sich im Text verschiebt, oder: Letztlich ist der Text als Gegenwart, die durch sich hindurchgeht, selbst Membran; ein Punkt, in dem Vergangenes gegenwärtig und die Gegenwart fortwährend Vergangenheit wird. Oder die Welterfahrung ist überhaupt eine Membranerfahrung: „zieh die oberfläche ab von dieser oberfläche, dann zieh die oberfläche ab von dieser oberfläche, von der du dann“ usw., bis sich im Abschnitt L-08 die Realmembran des Textes an der des Papiers aufreibt: „gegen papier sprechen, / gegen papier auf das papier sprechen, / gegen papier mit dem papier sprechen […]“ – Wimmer reizt die Variation quasi-konkret aus, bis die Bedeutung sich zugunsten des Objekts völlig aufgelöst hat oder jene in das Wort übergegangen ist.

Durch eine Membran schließlich, die er durch den Text gelegt hat, hat Herbert J. Wimmer, einem System einander zugeordneter Zahlen und Buchstaben folgend, noch eine, alles Unbill bändigende, ewige Gegenwart schaffende Membran produziert: In geradezu fröhlichen Einschaltungen von Originalzitaten durchwandert seine 2009 verstorbene Gefährtin Elfriede Gerstl den Text – sie eröffnet bzw. schließt ihn, darf wieder auftreten, so oft der Text gelesen wird. In Reminiszenz an sie fehlt der Buchstabe E im System des Textes, in dieser feinen „phänomenologie des transitorischen“. Dazu ein Zitat, das beinahe genau die Mitte des Textes bildet und von jenem geradezu umschlossen wird, Elfriede Gerstl: „mir fällt kein ersatz für mich ein.“

membran.
Roman.
Wien: Sonderzahl, 2013.
224 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-85449-392-1.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 01.01.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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