#Prosa

Melange an der Donau

Ulrike Kotzina

// Rezension von Jürgen Weber

Nach vier aufsehenerregenden Romanen legt die geborene Wienerin Ulrike Kotzina nun ein Buch mit elf Erzählungen vor, die Lust auf mehr Texte der Schriftstellerin machen. Die Einladung zur Melange an der Donau spielt nicht unbedingt in Wien, sondern könnte auch an jedem anderen Ort Österreichs oder der Welt gelten. Kotzinas Themen sind universell und persönlich zugleich. Ein Spagat, der nur den besten Erzähler:innen gelingt. Ulrike Kotzina ist eine dieser starken Stimmen, es lohnt sich, ihr zu lauschen.

Paare ohne Heimat

In der Titelgeschichte, Melange an der Donau, geht es um Juliane und Viktoria, die sich tatsächlich auf eine Melange treffen wollen, um sich gegenseitig wunderbare Neuigkeiten zu erzählen. Ein Punschkrapfen soll helfen, die anfängliche Unsicherheit zu überwinden, denn die beiden haben sich länger nicht gesehen. Oder sollte man besser sagen: wahrgenommen? Beide schwärmen für ihren neuen Mann, bis sie eine Gemeinsamkeit feststellen, die besser verborgen geblieben wäre. Kotzina lässt die beiden Figuren frohgemut aufeinander zusteuern und an einer Klippe zerschellen. Mächtig ist die Flut, die sie heimholt. Aber jede zu sich selbst, nach Hause. Die Pointen, die Ulrike Kotzina an das Ende ihrer Erzählungen setzt, sind vielversprechend, denn sie lassen alles offen. Wer will, kann die angedeuteten Wege weiterverfolgen oder sich selbst sein Ende bzw. Happy End ausmalen. Hintertür ist eine weitere Erzählung, die ebenso geheimnisvoll wie metaphysisch wirkt. „Gefahr durch Wahrheit“, dieser Satz, gemalt auf einem imaginären Schild, wird mehrmals wiederholt, bis sich die „einzige Tür in dem gemeinsamen Hause öffnet. „Sie“ und „Er“ gehen gemeinsam hindurch. Hier besteht vielleicht auch eine Ähnlichkeit mit der prämierten Erzählung Klaras Porträt, die anhebt wie eine Kriminalgeschichte und am Ende doch zu einer Shakespeare’schen Tragödie wird: „Ich las die paar Sätze ein weiteres Mal und dachte an Amanda und das Gerede der Leute. Und mit einem Mal war mir zum Lachen zumute.“

Haus ohne Hüter

Voller ermutigender Melancholie ist auch die Erzählung Das Haus meiner Eltern. Kotzina schlüpft auch hier in die Rolle der Ich-Erzählerin und lässt so die Kindheit der Protagonistin Revue passieren, eine glückliche Kindheit. Bis eines Tages der Vater immer seltener zum Essen nach Hause kommt. Ihre Mutter schläft mit dem roten Kater am Sofa ein. So wartet sie jeden Abend auf ihn. Als die Bewilligung der Behörden für den Autobahnbau erteilt ist, wird das Haus kurz vor Weihnachten von zwei Baggern und einem Kran abgerissen. Vater zieht in eine städtische Loft, Mutter in eine Wohnung, der rote Kater verschwindet, so die Erzählerin kurz und bündig. Mit dem Ende des Elternhauses kommt aber auch das Ende der Beziehung zu Sascha. Aber die Erzählerin verzagt nicht: Sie erzählt ihre Geschichte.
Einblicke in die Arbeit einer Psychotherapeutin bekommt man wiederum in der Erzählung Austherapiert. Auch hier webt die Autorin ein feines Netz aus Beziehungen zwischen den Protagonist:innen und zeigt, wie wir doch alle miteinander verbunden sind, auch wenn uns vieles trennt. Einer ihrer Klienten leidet unter Schlafstörungen und beginnt eine obsessive Beziehung zu einer anderen Klientin. So wird die Therapeutin unfreiwillig zur Kupplerin, wofür sie vom Vater des Klienten verantwortlich gemacht wird. Denn sein Sohn ist nun tot. „Und dass Lehmann wohl seit gut vierzehn Tagen so lag, in der Hoffnung, gestorben, endlich schlafen zu können.“ Das ehemalige muntere, wache und aufgeweckte (sic) Kind – so der Vater – fand endlich seine Ruhe. Als Kind hätte er fast gar nicht geschlafen, er wäre sogar gespenstisch wach gewesen, hätte viel geschrien, als müsse er auf sich aufmerksam machen. Aber wahrscheinlich wollte er einfach, dass ihm jemand zuhörte.

Paare am Rande des Abgrunds

Das Ehepaar in Lichterloh hat sich schon seit Jahren entfremdet. Er reist viel und sie, Elena, genießt es, „das Haus für sich allein zu haben“. „Sie jubelte förmlich, wenn er wegfuhr“, sie saß dann alleine im Garten, las Liebesromane und versank wie eine Raupe in ihrem Kokon, dem sie Urzeiten später nur ungern entstieg“. Aber sie ist nicht ganz allein, denn sie hat ihre Schildkröte Pauletta. Nur leider geht ein Riss durch ihren Panzer, ein Kugelblitz hatte einst ihren Rücken durchtrennt, derselbe, der jetzt den Apfelbaum in Elenas Garten entzündet. Auch in dieser Erzählung zeigt Kotzina ihr erzählerisches Talent, Dinge anzusprechen ohne sie klar auszudrücken, poetisch anzudeuten, was die Leser:innen dennoch selbst in ihrem Kopf ausbrüten müssen. Denn die Probleme ihrer Protagonist:innen sind dieselben wie die von uns allen: Entfremdung bei gleichzeitiger Sehnsucht nach Liebe.
Besonders brutal zeigt sie dies im Umgang der Mutter mit ihrer Schwester, Tante Trude, die fest darauf beharrt, dass ihr Mann, Onkel Otto, eine Liebhaberin hatte. Die Pointe dieser Erzählung mit dem Titel Es ist Zeit hat es in sich. Aber Kotzinas Geschichten haben auch sehr viel Humor, etwa in Unterirdisch, wo sie die Verstopfungsprobleme ihres Abflusses mit dem Tauchgang ihres Ehemannes auf den Malediven konterkariert. Der Satz „Ich erkundigte mich bei Gregor, als wir telefonierten, wie viele Tauchgänge er seit seiner Ankunft absolviert habe“ wird dadurch zu einem amüsanten Aperçu.

Ermutigende Melancholie

Melange an der Donau enthält Geschichten, die die grauen Zellen anregen und dennoch für gute Unterhaltung sorgen. Sprachlich hat Ulrike Kotzina eine Klarheit, die gleichzeitig verhüllt wie bloßlegt. Wer genau liest, kann sowohl lachen als auch weinen, denn nicht jedes Ende einer Beziehungsgeschichte ist tragisch. „Jedem Abschied wohnt ein Zauber inne“, ist gleichzeitig Verheißung wie Versprechen. Das meinte ich auch weiter oben mit ermutigender Melancholie: die Überzeugung, auch das absurdeste Ende einer Ehe oder Liebesgeschichte überleben zu können, wenn man nur genügend Abstand dazu gewinnt und wieder das Lachen lernt. Genauso wirken die Erzählungen von Ulrike Kotzina im vorliegendem Band, man kann alles überleben, wenn man nur jemanden findet, dem man es auch erzählen kann. Oder man schreibt es auf. Das hat sie getan und damit viele andere ermutigt. Melancholie hin oder her.
Eine perfekte Melange aus „Bitterkeit, Süße, Temperament und Leichtigkeit“, also genau das, was eine „Melange an der Donau“ so auszeichnet.

Ulrike Kotzina Melange an der Donau
Erzählungen.
Innsbruck: Edition Laurin, 2022.
192 S.; geb.
ISBN 978-3-903539-16-7.

Rezension vom 22.08.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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