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Meine abenteuerlichen Schriften

Edmund Mach

// Rezension von Gerald Lind

Die Grenzen zwischen Vernunft und Wahnsinn sind weit weniger klar, als so mancher vermuten mag. Der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault hat in seinem Buch „Wahnsinn und Gesellschaft“ (1961) dargelegt, dass es sich bei den Zuschreibungen „normal“ und „wahnsinnig“ um durchaus hinterfragbare soziale Konstrukte handelt, die Ergebnisse historisch bestimmbarer diskursiver Machtmechanismen sind. Das Thema der Normalität des Wahnsinns und des Wahnsinns der Normalität beschäftigt den Leser nun auch bei der Lektüre von Edmund Machs Abenteuerlichen Schriften.

Edmund Mach, geboren 1929 in Wien-Leopoldstadt, gestorben 1996 in New York, schrieb seine Texte im vom berühmten Primarius Leo Navratil begründeten Haus der Künstler auf dem Anstaltsgelände des Niederösterreichischen Landeskrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie in Maria Gugging bei Wien. Wir haben es also mit so genannter psychopathologischer oder schizophrener Literatur zu tun, einer Literatur, die polarisiert und von vielen, wie Ernst Jandl oder Gerhard Roth, bewundert, zum Teil jedoch auch vehement abgelehnt wird. Wie überall tut auch hier Differenzierung not, gibt es doch bei schizophrenen Textproduzenten genau so wie bei den so genannten normalen Schriftstellern begabte und weniger begabte. Edmund Mach zählte ohne Zweifel zu den Begabten.

Der Band Meine abenteuerlichen Schriften enthält circa 100 Texte Machs (schon veröffentlichte, aber auch bisher unbekannte aus dem Nachlass), drei Gespräche, die Leo Navratil mit Mach 1977 geführt hat, und einen Bildteil mit Faksimiles und Fotografien. Die Auswahl und Zusammenstellung der Texte sowie das kundige und einfühlsame Vor- und Nachwort besorgte der Germanist Uwe Schütte.
Die Texte selbst weisen nun einige für psychopathologische Literatur besondere Merkmale auf, die mit der Biographie Edmund Machs zusammenhängen, der einige Semester lang Englisch und Geschichte an der Universität Wien studiert hat: So gibt es die in einem originellen Englisch abgefassten Gedichte „American Negro“ (70) und „Fock and Flowers“ (93), sowie eine Reihe weiterer englischer Sätze und Anglizismen. Weiters schöpft Mach aus dem bürgerlichen Bildungsschatz, wie in „Die alten Vorbilder in Rom“ (81), in dem er den Genuss seines Lieblingsgetränkes – Coca Cola – auf einer Fahrt nach Rom zum Ausgangspunkt für einige Überlegungen zu Caesar und Augustus nimmt. Zum Teil werden aber auch beide besonderen Aspekte miteinander verbunden, so endet das Gedicht „Das Telephon“ mit den Zeilen: „Such a nice telephon / (Hat Danton seine / Pflicht erfüllt? / Ja)“ (18).
Aus diesem Beispiel wird deutlich, dass Machs Texte in einem positiven Sinne unberechenbar sind. Nie weiß die Leserin oder der Leser, wie die nächste Zeile lauten könnte, unversehens ist man mit neuen Wörtern („Quicklich steckte sie Ihre Beton-Gage ein“, 76) oder überraschenden Perspektiven auf das Leben konfrontiert, dessen Alltäglichkeit so wieder an Reiz gewinnen kann: „Das Vögel keine hässlichen Tiere / sind das wissen sie“ (19).

So vielfältig wie seine Perspektiven und sein Vokabular sind auch Machs Themen, die allerdings zum Teil von Leo Navratil als Schreibimpulse vorgegeben wurden: die Kunst, die Sprache, die Religion, das Schreiben, das Leben an und für sich, die eigene Biographie und Familiengeschichte, „Arzt und Patient“ (25), die Tierwelt, die nationalsozialistische Vergangenheit, Rauchen, Trinken, Sexualität, soziale Verhältnisse, Tennis und immer wieder Amerika, sein sehnsüchtig herbeigeschriebenes Traumland. Diese Themen werden von Mach unverstellt und direkt abgehandelt, oft spricht er aus, was sich viele Menschen – zum Beispiel Schriftsteller – zwar denken, aber nicht zu sagen getrauen.
In dem Text „Warum ich so gut schreibe“ heißt es: „Allzeit wurde ich bewundert / wegen gutem Schreiben.“ (29) Uwe Schütte wiederum berichtet im Nachwort von Machs Antworten auf die Frage nach dem Stellenwert seines (ersten) Gedichtbandes in der Gegenwartsliteratur: „Na, an erster Stelle!“ und nach seinem Lieblingsautor: „Ja, ich habe doch selber Bücher geschrieben, Mach, ja!“ (169) Auf eine solche Weise unverblümt stellt sich Mach in seinen Texten ebenso den materiellen Aspekten des Lebens: „Für Mach ist Geld alles.“ (82)
Der schizophrene Dichter hält den so genannten Normalen einen Spiegel vor, in dem sie sich und die Zwänge, in denen sie leben, ungeschminkt erkennen können, ja müssen: „Unbarmherzig war in / Amerika ein Vergnügen / ausgemacht.“ (31) Er beschreibt die Auswüche von Ideologien: „Der Haß den man philosophisch / fördert kann einen zugrunde richten“ (43) oder ironisiert sie: „The German beats everythink.“ (45) Er erfasst das Wesen von Religionen: „Religionen gehen / und stellen das Gebiet Ihres / Machthabens gut vor. / Wir glauben und hoffen / auf ein Gegebenes was wir / zum Erfolg nachbeten können.“ (69) und beschäftigt sich mit Gott: „Er ist eine mannigfaltige Figur / oft lächelnd / Oft seinen Charakter ausschüttelnd / über die human beeings.“ (107)

Auf die Vergangenheit bietet Mach einen Blick, in dem die Ambivalenz des österreichischen Gedächtnisses, die Gleichzeitigkeit von Verherrlichung und Verdammung des Nationalsozialismus auf repräsentative Weise enthalten ist: „Hitler selbst war kein gewöhnlicher / Mensch er war ein bißchen / für sich emanzipiert / er förderte viel er war ein Trottel.“ (87) Folgerichtig lautet die Conclusio dieses mit „Hitler (2)“ betitelten Textes: „Er war eine Persönlichkeit / wie Steffi Graf.“ (87) Natürlich sind diesen Texten zur Vergangenheit auch Spuren der eigenen Biographie eingeschrieben, Mach wurde wahrscheinlich gegen Ende des Krieges zur SS zwangsrekrutiert und thematisierte diese SS-Mitgliedschaft wiederholt. Schütte sieht darin den „auch bei anderen Schizophrenen feststellbaren Wunsch […], sich als permanenter Außenseiter mit einer Elitegruppe zu assoziieren, um einmal als gefährlich-berüchtigter Täter dazustehen statt immer nur als hilfloses Opfer.“ (155)
Jedoch sind nicht nur die Vergangenheitstexte mit der Autorbiographie eng verschränkt. In vielen Passagen wird die eigene, als problematisch empfundene Gegenwart thematisiert, denn sogar in Gugging selbst war Mach in einer Außenseiterposition, galt doch der als Alexander berühmt gewordene Ernst Herbeck als die ungleich größere Begabung. Allerdings war Mach dabei durchaus zu kleinen Spitzen gegenüber dem Konkurrenten fähig, wie an dem Gedicht „Ernst Herbeck“ ablesbar: „Er ist nicht Maler nicht Dichter / er ist Literat. / Meistens liest er vor / Mach meint er ist kein Sportler.“ (63) – schreibt der ehemalige Tennislehrer Mach.

Edmund Machs Texte berühren in ihrer Verzweiflung und Ironie, überzeugen in ihrer Direktheit und Eloquenz, überraschen in ihrer Originalität und Unberechenbarkeit. Hier führt die Lektüre trotz der Roland Barthes’schen Rede vom „Tod des Autors“ genau zu diesem hin, fühlt sich der Leser dem Autor und seiner Gedankenwelt immer vertrauter und näher. Man empfindet Mitgefühl für Machs Hoffnung auf ein Entkommen aus der psychiatrischen Klinik: „Es war schön hier. Jetzt möchte ich in die Mitte des Lebens, des Wiener Lebens wieder einsteigen.“ (73) Man wünscht ihm alles Gute für seine Pläne, nach San Franzisco zu „fahren wo mich / eine Tennisstelle als Sportlehrer / erwartet. / Das ist oder liegt im Park / von San Franzisco. Soweit / meine Planung.“ (99)
So ist es bei aller Tragik tröstlich, aus Uwe Schüttes Nachwort zu erfahren, wann und wo Mach schließlich verstorben ist: Am Tag vor der Rückkehr von seiner ersten USA-Reise in seinem Hotelzimmer in New York.

Edmund Mach Meine abenteuerliche Schriften
Gedichte und Prosa 1965-1996.
Hg.: Uwe Schütte.
Wien: Picus, 2009.
184 S.; geb
ISBN 978-3-85452-643-8.

Rezension vom 02.09.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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