#Roman
#Prosa

Mein Lieblingstier heißt Winter

Ferdinand Schmalz

// Rezension von David J. Wimmer

Die Rückkehr des Rehragouts

Gut vier Jahre ist es her, seitdem Ferdinand Schmalz mit seinem Text Mein Lieblingstier heißt Winter den Bachmannpreis gewonnen hat. Der Text um den Kühlwagenfahrer Franz Schlicht, der mit seinen „tiefkühlunternehmerischen Möglichkeiten“ beim kryonischen Selbstmord des sterbenskranken Rehragout-Sammlers Dr. Schauer mithelfen soll, hatte die Jury damals in Lob geeint wie kaum ein Gewinnertext seither. Von einem „perfekten“ Text, einem „makellosen“ Text war die Rede, dem Dramatiker Schmalz wurde ein ausgesprochenes Talent für Prosa bescheinigt, dem doch bitte weiter nachzugehen sei. Nun hat der Autor endlich sein gleichnamiges Roman-Debüt vorgelegt, das eben da ansetzt, wo der Preisträgertext von 2017 offen endete:

Das Rehragout gammelt immer noch und das Eisschrankgrab ist auch dieses Mal leer, „kein kalter Schauer“ – der Doktor ist nicht tot, sondern verschwunden, dafür tauchen bald andere Leichen auf, weitere Selbstmörder und vermeintliche Mordopfer, und Franz Schlicht sieht sich unverhofft in einen absurden Kriminalfall verstrickt, der, wie es mehrfach heißt, kein Fall sein will. So entwickelt der Text seine Qualitäten auch weniger durch die narrative Führung des Nicht-Falls als im eigentümlichen Sprachduktus, dieser Schmalz-Sprache, die man schon aus den Dramatexten des Autors kennt. Auch dieser Roman hat diesen deutlich rhythmisierten Sound, der häufig redundant und in verschachtelten Sätzen Manierismen der österreichischen Umgangssprache ausreizt und überzeichnet. Es ist ein Sound, der sofort Referenzen evoziert, dabei aber unverkennbar Schmalz bleibt, ein Sound, der in seiner sprechsprachlichen Kalauerhaftigkeit irgendwo zwischen Jelinek, Wolf Haas und Horváth sein ganz eigenes Plätzchen findet. Dass sich diese Schmalz’sche Kunstsprache auch für Erzähltexte eignet, hat neben dem Bachmanntext auch schon Schmalz‘ Monolog schlammland gewalt unter Beweis gestellt, der mit erzählerischem Gestus ein ländliches Zeltfest zur menschlichen wie ökologischen Katastrophe geraten ließ. Auch in Mein Lieblingstier heißt Winter sind die persönlichen Krisen der Hauptfiguren gekoppelt an Krisen größeren Ausmaßes. So entfaltet sich die Romanhandlung, die Geschichte des „Klimawandelleugners“ Schlicht, die größtenteils in künstlich klimatisierten Räumlichkeiten während der Hitze eines Jahrhundertsommers spielt, vor der subtil gesetzten Folie der Klimakatastrophe zu einer grotesken Doppelung der Wirklichkeit. Ob aus verlagsseitigem oder künstlerischem Kalkül oder einfachem Zufall – dass der Roman gerade inmitten eines tatsächlichen Jahrhundertsommers erscheint, der ganz real etliche meteorologische Rekorde bricht, schafft einen Realitätsbezug, der das bedrohliche Wechselverhältnis zwischen Natur und Mensch auf erfrischend andersartige Weise ins Bewusstsein bringt. Denn: „Es muss das Natürliche, muss nicht das Gute sein auch“, und selten ist einem dieser Umstand so denkwürdig präsentiert worden wie im absurden Selbstmordplan Dr. Schauers, der den natürlichen Tod (Krebs) dem unnatürlichen Freitod („Einfrieren bei langsam schwindenden Bewusstsein“) wertend gegenüberstellt.

Absurd ist der Text auch ganz im philosophischen Sinne, so steht im Zentrum der Krimihandlung nicht nur die Frage nach dem Verbleib des suizidalen Doktors und dem Verhältnis von Mensch und Natur, sondern auch die Frage nach dem Sinn und Unsinn des Lebens und Sterbens. Dabei entwickelt sich ein schräger Plot mit skurrilem Figurenpersonal, das ganz in volkstheatraler Tradition mit sprechenden Namen und stets genannter Berufsbezeichnung – von der Palliativmedizinerin Frau Dr. Bitter über die ehemalige Putzfrau Sabine (Schimmel-)Teufel bis zum Feuerwerker Fabian – hinter der schnell hochgezogenen Fassade der „kleinen Leut“ stets auch universal Menschliches zum Vorschein bringt. Dabei ist es einmal mehr die Sprache, der eine zentrale Rolle zukommt. So zeichnet Schmalz seine Figuren, die er selten psychologisierend-erklärend in den Blick nimmt, vor allem durch deren Ausdruck und Sprache. Dass das Bewusstsein, das menschliche Ich der intuitiven Handlung folgt, wie es an einer Stelle heißt, und demnach der Mensch mit seiner Wirklichkeit der Sprache folgt, ist eine Grunddisposition der Schmalz’schen Erzählwelt – so spricht es immer wieder „heraus“ aus den Figuren, die ihrer eigenen umständlichen Sprache, die immer noch und noch ein Attribut anfügt, schutzlos ausgeliefert sind.

Schmalz, der Philosophie und Theaterwissenschaften studierte, geht es in seiner Literatur, wie er selbst sagt, um eine Übersetzung des Theoretischen ins Haptische – in einem seiner ersten Theatertexte thematisierte er Technisierung und naiven Fortschrittglauben am beispiel der butter und ihres veränderten Geschmacks. Auch in seinem Roman-Debüt übersetzen sich komplexe theoretische Überlegungen in deftige Bilder von einer unmittelbaren Materialität und Haptik: Eisbrandiges Wildfleisch, aufgedunsene Wasserleichen, bamstige Ministerialratsbacken, dahinfaulende Bettlägerige und saftiges Endlosgulasch – mit seinem ausgeprägten Hang zur Brachialkulinarik schafft Schmalz eine Bilderwelt von „gammliger Erhabenheit“. Diese Bilder wirken aber nicht in ihrer unmittelbaren Plastizität allein, sie fügen sich immer wieder zu sorgsam angeordneten Motivketten, die Foreshadowing betreiben und ganz nebenbei der Erzählung Struktur geben. So wird beispielsweise ein verlassener Dinosaurierpark, der auf dem Areal eines aufgelassenen Friedhofs gebaut wurde, wiederum zur Grabstätte eines toten Kanarienvogels, der als Vogel zu den evolutionär engsten noch lebenden Verwandten der Dinos zu zählen ist. Die Logik dieser Bild- und Motivfolgen scheint die Handlung teilweise stärker zu strukturieren als die Logik der Erzählung selbst. Zum Teil geht das so weit, dass der eigentliche Krimi-Plot so sehr in den Hintergrund gerät, dass man als Leser:in beginnen könnte, das Interesse daran zu verlieren. Man verliert sich ohnehin lieber in den kleinteiligen Figurenzeichnungen, den mehrbödigen Kalauern und der bildlichen Materialisierung komplexer Theorie. Aber dennoch will man an manchen Stellen ‚Plot-Holes‘ rufen und zugunsten der Spannung etwas mehr sprachliche Prägnanz fordern, auch wenn man weiß, dass der Text nicht so operiert. Wie der Mensch der Sprache folgt, folgt eben auch dieser Plot einer vorgelagerten Instanz. Man könnte auch fragen, warum der Text überhaupt so breit zum Erzählen ansetzt, wenn von vornherein klar ist, dass sich Plot und Form nicht ganz die Waage halten, aber der Text funktioniert auch so.

Man tut dem Text keinen Gefallen mit dem Versuch, ihn an den Attributen „makellos“ und „perfekt“ zu messen, die in Klagenfurt wohl noch berechtigterweise genannt wurden, denn beides ist er nicht. Die vermeintliche Vollkommenheit und Dichte der Erzählung, die übrigens das furiose zweite Kapitel des Romans bildet, hat sich nicht zur Gänze übersetzen lassen in die lange Form des Romans. Nichtsdestoweniger ist Mein Lieblingstier heißt Winter ein eindrucksvolles Prosa-Debüt eines eindrucksvollen Autors, an dessen Sprachmächtigkeit, Weltverständnis und Einfallsreichtum kein Zweifel besteht.

Mein Lieblingstier heißt Winter.
Roman.
Frankfurt: S. Fischer, 2021.
192 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-10-397400-3.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 17.08.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.