#Prosa

Mein Leben. Meine Bücher

Janko Ferk

// Rezension von Walter Wagner

Abseits der klassischen, chronologisch erzählten Autobiografie in der Tradition von Augustinus, Rousseau und Goethe haben sich andere Spielarten des Genres etabliert, welche das eigene Leben gemäß einer alphabetischen, thematischen oder assoziativen Anordnung subjektiv relevanter Ereignisse darstellen. Janko Ferk beschreitet mit Mein Leben. Meine Bücher in diesem literarhistorischen Kontext einen durchaus innovativen Weg der Selbstlebensbeschreibung, indem er seinen persönlichen Werdegang mit den zehn wichtigsten Lektüreerfahrungen als Schriftsteller und Jurist verknüpft. Leben und Lesen, deren inhaltliche Nähe bereits durch die Schreibung begründet erscheint, verschmelzen so zu einer sich wechselseitig bedingenden existenziellen Einheit, die Auskunft gibt über das, was wir landläufig als Identität bezeichnen.

In Ferks persönlicher Bestenliste seiner Lieblingsbücher rangiert Kafkas Der Prozess ganz oben, was zunächst der Tatsache geschuldet scheint, dass der Roman schon den Gymnasiasten in seinen Bann zog. Diese Faszination soll, wie der Autor in Mein Leben. Meine Bücher darlegt, auch bei der Wahl des rechtswissenschaftlichen Studiums eine wichtige Rolle gespielt haben und ihn schließlich dazu motiviert haben, über den Prager Schriftsteller zu dissertieren. Einschlägige Publikationen folgten, so Ferk, der sich mit Fug und Recht als Kafkologen bezeichnet.

Peter Handkes Wunschloses Unglück figuriert als zweites Buch in dieser ‚erlesenen‘ Autobiografie. Ferks Begeisterung für den Landsmann mit slowenischen Wurzeln fand in der mündlichen Deutschmatura, die aus einem Gespräch über Kafka und Handke bestand, seinen ersten Höhepunkt. Später kam es zu persönlichen Treffen mit dem verehrten Kollegen, die ergänzt wurden durch Rezensionen zu seinen zahlreichen Neuerscheinungen. Ferks Beschäftigung mit Handkes Werk tritt indes auch in greifbarer Form zutage, besitzt der Autor doch „eine der größten privaten Handke-Bibliotheken“.

Erich Fried sah und erlebte Ferk zum ersten Mal anlässlich einer Lesung in der Klagenfurter Landhausbibliothek am 10. Mai 1978. Als Student traf er ihn nach einer telefonischen Kontaktaufnahme in London und wurde überaus freundlich aufgenommen. Über den Dialog mit dem verehrten Lyriker schreibt er in Mein Leben. Meine Bücher: „Es war eines der Gespräche, das einen weiterbringt, mich weitergebracht hat.“

Zu den persönlichen Favoriten von Ferks literarischem Kanon zählt auch Das Neue Testament. Dieses Faible für den biblischen Text wurde als Teil von Ferks religiöser Sozialisation durch eine herausragende Lehrerpersönlichkeit verstärkt. Sein Religionslehrer Dr. Janez Polanc ließ die Gymnasiasten ausgewählte Passagen interpretieren und führte sie solcherart in die Kunst der Exegese ein. Für den späteren Autor stellten diese didaktisch klugen Übungen eine wertvolle Vorbereitung auf seine künftige Tätigkeit als Literaturkritiker dar.

Reiner Kunzes Lyrikband zimmerlautstärke bildet einen weiteren Meilenstein in Ferks Lesebiografie, wo der Autor der ehemaligen DDR einen besonderen Platz einnimmt. Kunzes Poetik der Verknappung und Präzision lobend, konstatiert Ferk dankbar: „Diese Gedichte haben mich, mein Denken, mein Schreiben und meine Wahrnehmung ein für alle Mal geprägt.“

Franz von Zeillers Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch aus dem Jahr 1811 besitzt aufgrund seiner Klarheit, das heißt „einer Sprache, die ausdrücken kann, was sie sagen will“, geradezu literarische Qualität. Ferk, der mit dem kritischen Urteilsvermögen eines Schriftstellers und Juristen an Texte herangeht, vermag sich dem ästhetischen Charme dieser herausragenden Gesetzessammlung naturgemäß nicht zu entziehen und weiß dieses Werk auch entsprechend zu würdigen.

Mit der Aufnahme von Hans Kelsens Bundes-Verfassungsgesetz in die Ferk’sche Autobiografie erweist der Autor diesem Kodex, der neben dem ABGB „zum Schönsten“ gehört, was juristische Prosa im deutschsprachigen Raum zu bieten hat, seine Reverenz als Lesender und Schreibender.

Dass Der Exorzist des Amerikaners William Peter Blatty seinen Weg in Mein Leben. Meine Bücher gefunden hat, mag zunächst erstaunen, zeigt indes, dass sich Ferks Geschmack nicht an elitären Kriterien orientiert. Sein Verdikt lautet, dem Prinzip sprachlicher Klarheit folgend, daher kurz und bündig: „Die Romanarchitektur ist ästhetisch und zeitgemäß […].“

Der Brite Frederick Forsyth spiegelt mit seinem Politthriller Die Akte Odessa, in dem Fakten und Fiktion aufeinandertreffen, Ferks Vorliebe für spannend erzählte Geschichten. Von diesem Musterbeispiel narrativer Kunst hat sich der Kärntner, der auch als Romancier in Erscheinung getreten ist, inspirieren lassen, wie er unumwunden erklärt.

Der lebensgeschichtliche Rundgang durch die Welt der Bücher endet mit Niko Grafenauers Lyrikbuch Eingewebte spur/Vtkana sled, das Ferk aus dem Slowenischen übertragen hat. Die Affinitäten zwischen den beiden Autoren liegen zweifelsohne „im Bekenntnis zur eigenen Herkunft und Tradition“, das als Impetus ihrer Werke erachtet werden darf.

Was lässt sich nun abschließend über diese Autobiografie sagen, die sich in zehn originellen Anläufen dem rätselhaften Phänomen des Ich annähert? Wer sich gewagte Selbstenthüllungen erwartet, wird von Ferks locker dargebrachtem Lebensrückblick jedenfalls enttäuscht werden. Fündig werden hingegen jene werden, welche der Erschaffung des Selbst aus dem Geist der Literatur auf der Spur sind. Mein Leben. Meine Bücher demonstriert nämlich auf exemplarische Weise, wie sehr neben Menschen auch Bücher bestimmend für die Entwicklung einer Persönlichkeit zu sein vermögen. All jenen, die den Nutzen von Literatur bisweilen anzweifeln, sei die Lektüre von Ferks Autobiografie aus diesem Grund wärmstens empfohlen. Für literaturwissenschaftlich Interessierte hält dieser Band darüber hinaus sogar einen Fußnotenapparat bereit.

Janko Ferk Mein Leben. Meine Bücher
Erzählung.
Innsbruck: Limbus, 2022.
168 S.; geb.
ISBN 978-3-99039-207-2.

Rezension vom 02.08.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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